Kretschmann ist doof! („Das wird gemeldet! Das wird gemeldet!“)
Wie immer, wenn ein grüner Politiker etwas sagt, wetteifern die notorischen Grünenhasser um den dämlichsten Kommentar in einem der Internetforen, und das zumeist in einer Schriftsprache, wie sie vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten offenbar künftig geduldet wird.
Kretschmann hat vor wenigen Tagen die Ansicht vertreten, dass die Bedeutung, „Rechtschreibung zu pauken“, abnehme, „weil wir heute ja nur noch selten handschriftlich schreiben“, zumal es „kluge Geräte“ gebe, die die Grammatik und Fehler korrigierten. „Ich glaube nicht, dass Rechtschreibung jetzt zu den großen, gravierenden Problemen der Bildungspolitik gehört.“ Dass Kretschmann längst eine Politik betreibt, die alles andere als grün ist, ist für aufrechte Wutbürger dabei völlig belanglos.
Wenn man deren Kommentare im Internet liest, wird einem umgehend plastisch vor Augen gehalten, wie notwendig eine korrekte Rechtschreibung wäre (OT: „… ich wahr mal Gans anderer Meinung“). Kretschmann, der sich auf Grammatik- und Fehlerkorrektur „kluger Geräte“ beruft, übersieht dabei völlig, dass man auch die Korrekturen erst einmal verstehen muss, wenn man sie fehlerfrei anwenden möchte. Das heißt, nur wer richtig Schreiben und Lesen kann, wird auch etwas mit den gepriesenen Korrekturhilfen anfangen können. Grundlegendes sprachliches Wissen wie Texterschließung, Grammatik oder Rechtschreibung bleiben sonst völlig auf der Strecke.
Sprache ist etwas Lebendiges
Rechtschreibung als eine eherne, auf alle Zeiten gegen Neuerungen festgemauerte Trutzburg zu betrachten, ist dennoch absoluter Unsinn. Nichts ist lebendiger als Sprache. Sie befindet sich im steten Wandel. Täglich, stündlich, jetzt, in diesem Moment entsteht irgendwo eine neue Redewendung oder Wortschöpfung. Ob uns oder dem Duden das gefällt oder nicht, ist dabei völlig unerheblich.
Da mutet es fast als widersinnig an, Schriftsprache überhaupt in Regeln zu fassen, sozusagen lebenslänglich in Ketten zu legen und dann für ewig und immer auf die Einhaltung dieser Regeln zu pochen.
Bei all den Rechtschreibdiskussionen der letzten Jahrzehnte wurde völlig übersehen, den Duden selbst in Frage zu stellen, ob alt oder neu. Eine echte Rechtschreibreform hat nämlich bis heute nie stattgefunden. Wäre dies der Fall, könnte man alle notwendigen Regeln auf einem einzigen DIN-A4-Zettel zusammenfassen.
Drei einfache Regeln, die wirklich eine Reform wären
1. Eine Reform wäre es, wie in der ganzen Welt üblich, endlich die Kleinschreibung einzuführen. Satzanfang und Eigennamen groß. Fertig! Das funktioniert überall ganz prächtig, nur nicht im deutschsprachigen Raum. Und das ist mehr als ärgerlich, zumal über die Hälfte aller Fehler in Diktaten auf unkorrekter Groß- und Kleinschreibung beruhen.
2. Und warum führt man nicht die Kommaregel nach skandinavischem Muster ein? Die haben da oben eine einzige Regel und die lautet: „Immer dann, wenn du in Gedanken atmest, setzt du ein Komma.“ Schluss, aus, fertig, das war’s! So einfach ist das – ist natürlich schlecht für Schluckatmer, aber deswegen heißt es wohlweislich „in Gedanken“.
Und wie wäre es mit meiner Regel drei, die da lautet: „Zusammen- oder Getrenntschreibung immer dann, wenn es logisch ist.“ Das wäre zwar die erste logische Regel im Duden, würde aber die Fehlerquote in Diktaten um weitere 20% senken.
Und wenn beispielsweise die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung unsinnige Kommaregeln schon immer ignoriert, dann sind diese Regeln eben tot – basta! Das bombt uns ganz bestimmt nicht zurück in die Steinzeit.
Das Gegenteil ist sogar der Fall. Hätten nämlich die Anhänger all der alten und ach so neuen Duden schon zu Höhlenzeiten Oberwasser gehabt, dürften wir ja bis heute nicht mehr als ein gestammeltes „Agga! Agga! Agga!“ von uns geben. Schließlich gäbe es für alles andere keine einzige in Stein gemeißelte Regel. (Okay, für das Osnabrücker Urvolk würde die Sonderregel „Kär! Kär! Kär“ gelten).
Die Gralshüter der deutschen Sprache
Ich erinnere mich noch an die Warnungen der kleinkarierten Sprachpuristen von Grass bis Ratzinger, denen selbst die jämmerlichste aller Rechtschreibreformen bereits ein Dorn im Auge war. „Wir ruinieren die Sprache von Goethe und Schiller“, tönte Grass in einer Fernsehdiskussion mit Ratzinger, der seinerseits meinte, die Reform bombe uns zurück in die Steinzeit.
Wenn also schon zurück, dann gefälligst auf den Stand zu Goethes oder Schillers Zeiten, oder was? Das hieße, dem „H“ nach dem „T“ bitte wieder Thür und Thor öffnen, denn schon das Streichen des „H“ nach dem „T“ war ein ästhetisch kaum zu verschmerzender Sprachverlust, unter dem wir heuthe noch furchthbar leiden.
Hätten sich diese Herrschaften wenigstens mal die Mühe gemacht und sich nur einen einzigen Goethe-Text im Original angeschaut: Mit der Rechtschreibung in den Duden-Versionen von 2008, 1958 oder gar 1908 haben Goethes Werke genauso wenig zu tun wie mit der Rechtschreibung in der allerneuesten Fassung von 2018.
Und was Ratzingers Zurückbomben in die Steinzeit angeht: Der größte Schandfleck war natürlich der mittelalterliche Übergang vom wohl strukturierten Latein ins hässliche Deutsche. Was wehrte sich einst der katholische Klerus gegen die Übersetzung der Bibel ins lesbare Deutsch – wenngleich ich dem Klerus diesbezüglich ein einziges Mal Recht gebe: Eine Nichtübersetzung der Bibel hätte nachfolgenden Generationen womöglich viel Leid erspart.
Immerhin ist die Bibel seit ihrer Erstauslieferung unzählige Male umgeschrieben worden, da widerspricht nicht einmal der Vatikan. Und wir wissen ja, was für ein Mist dabei herauskommt, wenn man jemandem ein Gerücht ins Ohr flüstert und der erzählt es anderen Leuten weiter. Und die stille Bibel-Post lief sogar über zig Jahrhunderte!
Folglich stand in der Urbibel wahrscheinlich nur: „Im Anfang war das Wort und das Wort war: „Agga! Agga!“
So ähnlich muss auch Schwäbisch entstanden sein.
Eine schöne Woche wünscht euch Kalla
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