Wiedergeburt der Bundesliga oder Tod auf Raten?
Über zweieinhalb Monate lief im Fußball so gut wie nichts außer an Peinlichkeit grenzende Doppelpass-Talkrunden und vermeintliche Fußball-Highlights der letzten Jahrzehnte in Dauerschleife. Wer die WM-Siege der Nationalmannschaft oder Europapokalerfolge von Vereinsmannschaften bislang verpasst hatte, konnte sie sich gleich mehrfach zu Gemüte führen.
Um mich innerlich auf die Unzeit der Geisterspiele vorzubereiten, schaute ich mir, schon aufgrund meiner familiären Verbindungen zur „Blume im Revier“, am vergangenen Samstag den VfL Bochum gegen den 1. FC Heidenheim an.
Ich erinnerte mich an das 1:1-Hinspiel mit unserem VfL und die prickelnde Atmosphäre als Grönemeyers Song „Bochum“ erklang, in dem Herbert mit respektvoller Liebe seine Heimatstadt mit all ihren Macken und Unzulänglichkeiten besingt und auch ich eine VfL-Gänsehaut bekam. Was für ein geiler Song, der mit den Reaktionen der heimischen Fans sogar noch besser klingt – allein dafür lohnt sich der Besuch des Ruhrstadions. Gedankenverloren textete ich damals mit: “Du bist keine Schönheit, der Neumarkt ganz grau …”
Doch was da am Samstag kurz vor 13.00 Uhr aus der Surround-Anlage durch mein Arbeitszimmer drang, klang wie der Widerhall einer verballermannhornten Coverversion von Micky Krause aus den Gewölben einer mallorquinischen Geisterbahn namens Megapark oder Ballermann 5 bis 7.
Nein, ich kann und will mich an den Anblick dieser TV-Bilder und den Klang der TV-Übertragungen nicht gewöhnen. Nach wenigen Minuten schalte ich ab. Auch der spätere Versuch, mir Dortmund gegen Schalke einfach schönzuglotzen, scheitert kläglich. Das ständige Beteuern und Heucheln der Offiziellen, wie toll doch so ein Derby sei, ertrug ich einfach nicht mehr. Nach nur zwei Minuten hatte ich die Schnauze gestrichen voll, switchte noch durch die anderen Spiele und erstarrte, als ich die ersten Werbebanner mit chinesischen Schriftzeichen sah. Es geht also um die weltweite Bespaßung von Fußballfans und um vermutlich horrende Werbeeinnahmen.
Demnächst dann Bundesligaspiele in Peking oder gleich in Wuhan?
Herzlichen Glückwunsch, Sky!
Eine durchaus geistreiche Pressekonferenz aus dem Äther
Und nun stand für mich die erste Teilnahme an einem Geisterspiel bevor. Der VfL trat gegen Arminia Bielefeld an. Schon die Pressekonferenz am Freitag hatte etwas Ungewöhnliches: Sie fand per Videokonferenz statt und war, und das empfand ich als erstaunlich, alles andere als unangenehm, zumal sie vom VfL-Pressesprecher Sebastian Rüther sehr unaufgeregt und sympathisch moderiert wurde.
Natürlich ist auch Daniel Thioune und Benjamin Schmedes klar, dass das alles nur noch wenig mit dem Fußball zu tun hat, den wir alle lieben oder zumindest zu schätzen wissen. Aus den Statements der beiden war klar herauszuhören, dass sich ihre Begeisterung über die Fortsetzung der Spiele zwar in engen Grenzen hält, sie diese aber im Grunde trotz aller Unwägbarkeiten schon aus existenzieller Sicht befürworten, was durchaus verständlich ist.
Die verwaiste Alm mit Trauerflor
Am Sonntag bot die Alm dann ein surreales Bild und ich kam mir wie in einem Science-Fiction-B-Movie vor.
Alle trugen Masken. Erkannte man jemanden, grüßte man sich mit in jeder Hinsicht vorgeschriebener Distanz. Bevor ich das Außengelände betreten konnte, wurde meine Temperatur gemessen. Ich hatte coole 36,2° Grad, obwohl ich innerlich wegen der ungewöhnlichen Umstände ziemlich aufgeregt war.
Die beiden großen Kaffeebecher, bei Geisterspielen muss man sich selbst versorgen, rettete ich immerhin bis in den Innenraum, wo sie hoch oben in der 25. Reihe dank eines Problems mit einer Stufe eine perfekte Pfütze hinterließen. Ein Leben ohne Kaffee ist zwar sinnlos, aber ein Geisterspiel ohne Kaffee erschien mir in dem Moment noch sinnloser.
Trotz meines Oberstufenproblems ein großes Lob an die Organisatoren: Sämtliche Beteiligten waren ohne Ausnahme stets hilfreich und zuvorkommend und verhielten sich durchweg sehr freundlich. Irgendwie hatte man das Gefühl, dass alle in einem Boot saßen. Die Befürchtung, es könnte sich dabei um die Titanic handeln, konnte ich allerdings nie richtig abschütteln.
Die Arminia hatte alles wirklich perfekt und vorbildlich schon im Vorfeld gemeinsam mit dem VfL organisiert. So gab es gleich zwei Whatsapp-Gruppen für eventuelle Fragen an die Organisatoren vor und während des Spiels und eine für die Pressekonferenz nach dem Spiel.
So ein leeres Stadion ist kein schöner Anblick, wenn man weiß, dass eigentlich gleich ein Spiel stattfinden soll, bei dem kein einziger Platz frei geblieben wäre.
Die mit viel Liebe aufgehängten Transparente in der Fankurve der Arminen erweckten bei mir Mitleid und unwillkürlich den Eindruck einer Beerdigung, jedes einzelne stand für eine Beileidsbekundung oder einen Trauerkranz.
Live is life
Das Erlebnis des Spiels selbst war dann lange nicht so schlimm wie einen Tag zuvor bei den Spielen im TV. Zwar wirkte das ganze Geschehen etwas befremdlich und entsprechend gewöhnungsbedürftig, doch mit der Zeit blendete ich die klinische Stadion-Atmosphäre einfach aus, was mir mit fortlaufender Spieldauer und Kopfhörern immer besser gelang. Da sich da unten die 22 Spieler und zwei Trainer auf dem Rasen richtig reinhängten, ließen sie den Eindruck eines Trainingsspiels unter Ausschluss der Öffentlichkeit schnell vergessen.
Das Spiel war zwar nicht besonders berauschend – wie auch? –, aber durchaus spannend, da der VfL dem Tabellenersten bis zum Schluss Paroli bot, was schließlich durch den verdienten Ausgleich in der 93. Minute belohnt wurde.
Und da flammte sogar auf der Pressetribüne ganz kurz so etwas wie Begeisterung auf, auch wenn die Osnabrücker Medienvertreter die Fankurve niemals ersetzen können. Aber für einen Moment brach dieser Jubel aus mir heraus, der mir die letzten Wochen offenbar doch mehr gefehlt hatte, als ich es zugeben möchte.
Mein Lehre daraus: Geisterspiele sind live lange nicht so schwer zu ertragen wie im TV, können vor Ort sogar spannend und unterhaltsam sein.
Doch was nützt das dem Fußballfan?
Eben. Rein gar nichts, aber dazu später mehr.
Ich wünsche allen eine schöne Restwoche, Kalla Wefel
Kallas Kolumnen aus dem Jahr 2019 gibt es auch als Buch
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