Danke, Merkel!
Bei mir klingelte es eben an der Haustür. Angela Merkel stand davor und fragte mich allen Ernstes, ob sie einen strammen Max haben könne, bevor sie in Quarantäne gehen müsse, denn sie habe wahnsinnigen Hunger.
Ich gebe zu, ich war ein wenig irritiert, allerdings schlafe ich ständig bei irgendwelchen Diskussionsrunden oder Reden vor dem Fernseher ein, so dass Irrungen und Wirrungen in der Aufwachphase dazugehören.
Heute am frühen Abend ging es natürlich um Corona: Angela Merkel erklärte auf ihrer Pressekonferenz, dass sich die 16 Bundesländer allen Unkenrufen zum Trotz über ein gemeinsames Vorgehen geeinigt hätten, lediglich in Bayern und Sachsen gebe es die totale Ausgangssperre.
Zu allem Überfluss hatte ich heute Nachmittag in der ARD-Mediathek eine Aufzeichnung von „hart aber fair“ über Armut in Deutschland gesehen. Bei solchen Themen bekomme ich automatisch Hunger, zudem hatte ich schon ein paar Stunden zuvor bei vollem Bewusstsein überlegt, dass ich ruhig mal wieder einen strammen Max essen könnte.
Doch nun war ich wach und Angela stand leibhaftig vor mir, wobei sie mit einem Zollstock geflissentlich einen Abstand von zwei Metern einhielt. Ich bat sie herein und sie setzte sich samt biegsamen Abstandshalter in meine Küche. Ich stülpte mir Einweghandschuhe über und bereitete den strammen Max im Nu zu. Detailfragen wie „mit oder ohne Gurken?“, „wie viele Eier?“ und so weiter wurden nebenbei geklärt und dann saßen wir uns auch schon mit gebührendem Zollstock-Abstand gegenüber. Ich schenkte ihr ein Glas Mineralwasser ein, dann ließ Angela es sich schmecken.
Ich beobachtete sie genau. So in Natur wirkte sie zu meiner gar nicht mal allzu großen Überraschung in ihrer ganzen Art auf mich sehr sympathisch.
„Na und sonst so?“ wollte sie irgendwann von mir wissen.
„Wie und sonst so? Was für ’ne blöde Frage.“
„Na ja, die meisten Leute wollen sonst immer was von mir, da kann ich ja auch mal ruhig blöd fragen …“, erwiderte sie lächelnd.
„Moment mal! Immerhin wollten Sie ja wohl gerade etwas von mir, nämlich einen strammen Max. Aber gut, wenn Sie darauf bestehen … Also, Frau Merkel, ich finde Sie gar nicht mal so schlimm und ich habe auch nie dämliche Witze über Ihre Haarfrisur und diese herzhafte Händehaltung gemacht, wirklich, zumal ich Witze über Äußerlichkeiten generell abscheulich finde …“
„Jaja, wer im Glashaus sitzt …“, warf sie mit vollem Mund grinsend ein.
„… sehr lustig, Frau Merkel, aber egal, das mit den Niedriglohnjobs und der Armut hier in Deutschland, das müssen Sie noch dringend ändern.“
„Ach, ehrlich? Und wie?“
„Na ja, also Hartz IV gehört abgeschafft, der Mindestlohn muss verdoppelt werden und führen Sie endlich eine Mindestrente von 1.200 Euro ein.“
(Im Traum waren es wohl 2.000 €, aber das würde ich mich in der Realität niemals zu schreiben trauen.)
„Na gut, mach ich“, antwortete sie kurz und sehr präzise.
„Aber nicht irgendwann bitte, sondern sofort“, hakte ich nach.
„Ja, kein Problem, gleich morgen.“
„Okay, und wo wir gerade dabei sind: Diese sogenannten systemerhaltenden Berufsgruppen, die zum großen Teil von unterbezahlten Frauen ausgeführt werden, sollten Sie lieber mal belohnen, statt sie ständig nur mit frommen Worten zu belobigen. Das ist zwar alles ganz nett, was Sie da sagen, aber erhöhen Sie die unteren Gehaltsklassen sofort um 1.000 €, und zwar steuerfrei, und dann gestaffelt bis 500,00 € und das …“
„Nun lassen Sie mich doch wenigstens mal in Ruhe aufessen! Das alles kann ja wohl bis morgen noch warten, oder? Ich erledige das gleich morgen, also nach dem Frühstück, versprochen!“
„Im Ernst …?“
„Klar, und da ich dann in Quarantäne bin, kann mir keiner mehr widersprechen. Prima, oder? Das Ding ist durch.“
Daraufhin tauchte ich kurz in eine etwas trotzige, von leichter Skepsis begleitete REM-Phase ein, in der ich träumte zu träumen und der wunderbare Song Losing My Religion erklang, doch Angela, offenbar duzten wir uns mittlerweile, bestand längst selbst darauf, unterbezahlte Jobs und die Armut in Deutschland sofort zu beseitigen.
Nachdem das geklärt war, packte ich ihr aus Dank für ihr Entgegenkommen Mehl, Zucker, Eier, Backpulver und Margarine in eine Aldi-Stofftüte. Dann spazierten wir gut gelaunt noch ein wenig durch meinen Garten und sie erklärte mir, für den alle Pflanzen der Welt seit Ewigkeiten „Primeln“ heißen, einige dieser bunten Frühgewächse.
Irgendwann begleitete ich sie zu ihrer schwarzen Limousine – einem zwanzig Jahre alten Ford KA, der bis auf das Panzerglas meinem eigenen sehr ähnelte. Ein rauchender Fahrer in Chauffeuruniform ging vor der Beifahrerseite auf und ab.
Ich bat Angela, ihn in Ruhe aufrauchen zu lassen, schließlich sei ich bis vor zwanzig Jahren selbst Kettenraucher gewesen und wisse ganz genau, wie angenehm beruhigend und euphorisierend zugleich das Nervengift Nikotin wirken könne.
„Ich als Chemikerin[1] kenne da noch ganz andere Substanzen, Kalla“, sagte sie mit verständnisvollem Lächeln und ich hatte kurz das Gefühl, dass sie plötzlich eine knallrote Lederkluft trug. „Und danke für die Backzutaten, Kalla, da kann ich nun wenigstens in der Quarantäne etwas Kuchen backen.“
Dann ging sie um das Auto herum und saß plötzlich auf einem dahinter parkenden weißen Motorrad und rauschte winkend in Richtung Quarantäne-Autobahn davon.
Der Fahrer entpuppte sich als Freund Wolfgang. Er trat die Zigarette grinsend auf dem Bordstein aus, riss die Tür auf und fragte: „Heute zu Penny, Aldi oder zu Lidl? Und damit eins klar ist: Morgen spielst du wieder den Chauffeur!“
„Pöh, heute mal vornehm zu Edeka“, widersprach ich. „Ach nee, fahr mal zu Netto, die Armut wird ja erst morgen abgeschafft.“
Warum ich das alles schreibe?
Weil ich etwas Ähnliches tatsächlich im Halbschlaf geträumt habe und finde, dass Angela Merkel und die Regierung mitsamt Jens Spahn und den vielen klugen Beraterinnen und Beratern einen ganz hervorragenden und wunderbar unaufgeregten Job machen.
Danke, Merkel!
PS: Ihrem Arzt wünsche ich eine gute Besserung, Frau Merkel. Und hoffentlich ist im Kanzleramt genug zu essen vorhanden.
[1] Liebe Klugscheißer: Ich weiß, dass Angela Merkel Physik studiert hat, aber was kann denn ich dafür, dass sie mir im Traum gesagt hat, sie sei Chemikerin? Immerhin hat sie am Institut für physikalische Chemie gearbeitet. Also kam sie nicht einmal im Traum darauf, mich anzulügen.
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