Früchte der allergikerfreundlichen Apfelsorte ‚ZIN 168‘. / Foto: Hochschule Osnabrück
Seit fünf Jahren forschen die Hochschule Osnabrück, die Technische Universität München und die Charité in Berlin an allergikerfreundlichen Äpfeln. Die Sorten ZIN 168 und 186 erhielten nun als erste Apfelsorten das ECARF-Qualitätssiegel. Bis die Äpfel in den Handel kommen, dauert es allerdings noch.
An apple a day keeps the doctor away – an das englische Sprichwort ist bei manch einem Allergiker gar nicht zu denken. Denn beißt er erst einmal in die süße Frucht, muss er schleunigst einen Arzt aufsuchen: Schleimhautschwellungen, Atemnot oder Juckreiz sind die Folge. Eine aktuelle Befragung von 1.000 Personen in Deutschland ergab, dass fast 15 Prozent der Befragten auf den Verzehr von Äpfeln mit allergischen Symptomen reagieren. „Jede zweite Person von über 6 Millionen Menschen, die auf Birkenpollen allergisch reagieren, vertragen auch keinen Apfel, da die Allergene ähnlich sind“, erklärt Prof. Dr. med. Karl-Christian Bergmann von der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Doch das könne mit den Apfelsorten 168 und 186, die an der Hochschule Osnabrück gezüchtet wurden, nun ganz anders aussehen.
Von Osnabrück nach München und wieder nach Berlin
An der Hochschule Osnabrück werden unter Prof. Dr. Werner Dierend, Professor für Obstbau, über 3.000 Apfelsorten angebaut und geprüft. „Das muss man sich wie ein großes Puzzle vorstellen“, sagt Dierend. „Ein Puzzleteil steht zum Beispiel für Größe oder Geschmack des Apfels. Je mehr Puzzleteile passen, desto spannender wird die Sorte für uns.“ Doch das ist nicht die Regel: 99 Prozent aller Sorten seien schlecht. Das heißt: Gerade einmal 30 Sorten kommen in die weitere Prüfung, die rund acht bis zehn Jahre dauert. Hier werden unter anderem die Haltbarkeit, die Resistenz auf Schädlinge und eben auch die Allergikerfreundlichkeit getestet. Diese guten Sorten werden dann im nächsten Schritt an die Technische Universität München, genauer zu Prof. Dr. Wilfried Schwab, Professor für Biotechnologie der Naturstoffe, geschickt. Dieser isoliert aus den Äpfeln die Proteine, zu denen auch Allergene gehören. Aufgrund des Allergengehalts erstellt er eine Rangliste, die wiederum zu einer erneuten Selektion der Proben führt. „Wie auch bei Corona gibt es verschiedene Varianten bei Allergenen und unterschiedliche Allergiker reagieren auf unterschiedliche Varianten“, erklärt Schwaab. Deshalb sei es wichtig, möglichst viele Varianten herauszufiltern, damit so viele Menschen wie möglich die Apfelsorten problemlos vertragen können. Einen komplett allergenfreien Apfel zu züchten, sei allerdings – Stand heute – nicht möglich. Denn die Proteine seien auch für die Resistenz der Äpfel im Anbau verantwortlich.
Im letzten Schritt erhält die Charité die wenigen Sorten, die es durch die verschiedenen Tests geschafft haben. Im ersten Jahr wurden 19 ZIN-Sorten getestet und im Folgejahr 22 Sorten, davon 17 zum zweiten Mal. Hier führt Bergmann Geschmacks- und Verträglichkeitstest mit Allergikern durch. „Leute, die jahrelang keinen Apfel gegessen haben, haben das hier zum ersten Mal wieder gemacht“, erzählt er. „Die Menschen haben zum Teil geweint.“ Und auch geschmacklich konnten die allergikerfreundlichen Äpfel überzeugen: Den Testern habe der wenig säuerliche, dafür aber süßliche Apfel ausgesprochen gut geschmeckt.
2026 im Supermarkt erhältlich
Auch Ulrich Buchterkirch von der Züchtungsinitiative Niederelbe (ZIN), zu der rund 160 Obstbauern zählen, ist überzeugt, dass „das crunchige Ess-, das gute Lagerverhalten und der augewogene Geschmack“ ankommen wird. „Wenn wir von den drei bis sechs Millionen möglichen Kunden des allergikerfreundlichen Apfels nur jeden zweiten oder dritten für den neuen Apfel begeistern können, haben wir einen neuen Markt erschlossen“, ergänzt Matthias Schmoldt, ebenfalls von der ZIN. Ein großer Erfolg, denn im Obstbau gebe es kaum neue Märkte. Aber: Der Weg zu einer neuen Sorte ist lang. „Wir müssen aus bisher zehn Bäumen nun 250.000 bis 300.000 Bäume machen“, so Buchterkirch weiter. 2024 wolle man die erste Menge des allergikerfreundlichen Apfels pflanzen. Frühstens 2026 sei deshalb damit zu rechnen, den Apfel im Supermarktregal zu finden. Unter welchem Namen die Sorte letztlich erhältlich ist, ist noch unklar. Man sei derzeit mitten im Prozess der Namensgebung. Dazu wolle man ein ähnliches Verfahren wie bei der 2020 entwickelten Sorte Deichperle nutzen.
Von der Europäischen Stiftung für Allergieforschung (ECARF) erhielten die beiden neuen Sorten nun das ECARF-Siegel. Mit diesem werden verschiedene allergikerfreundliche Produkte und Dienstleistungen ausgezeichnet. Nun wurde erstmals eine Apfelsorte mit dem Siegel versehen. Die Forschungsergebnisse zeigen unter anderem, dass die neuen Äpfel sogar noch besser von Allergikern vertragen wurden als die allergikerfreundliche Vergleichssorte „Santana“.
Gefördert wurde das Projekt vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft mit rund 385.000 Euro im Programm zur Innovationsförderung in der Deutschen Innovationspartnerschaft Agrar (DIP).