Er kam einfach nicht mit den Mädels klar, die ohne ihn an der seiner Meinung nach richtigen Position anzuordnen, eine neue Rangordnung eingerichtet hatten. Wegen andauerndem Stress mit den ebenfalls recht dominanten Mädels, bekommt Schimpanse Tatu (30), ein gebürtiger Osnabrücker, nun Asyl in der neutralen Schweiz.
Nach anhaltenden Spannungen in der Schimpansengruppe im Zoo Osnabrück reiste Schimpansenmännchen Tatu am vergangenen Montag in den Zoo Basel. Die Osnabrücker Schimpansengruppe bleibt vorerst ohne Männchen bestehen.
14 neue Kumpels in der Schweiz
„Sehr lange Zeit war unsere Schimpansengruppe äußerst harmonisch. Nachdem jedoch die Weibchen die Rangordnung neu festlegen wollten, gab es in den vergangenen zwei Jahren immer wieder Spannungen in der Gruppe“, berichtet Tobias Klumpe, Biologe und wissenschaftlicher Kurator über die Hintergründe des Transfers. Begleitet wurde der Prozess durch ein mehrköpfiges europäisches Schimpansen-Expertenteam bestehend aus den Mitgliedern des Europäischen Erhaltungszuchtprogramm für Schimpansen und dem sogenannten „Species Committee“. Dies sind Biologen anderer Zoos, die ebenfalls sehr erfahren in der Haltung von Schimpansen sind. „Wir haben die Gruppe nun längere Zeit in verschiedenen Untergruppen getrennt gehalten. Außerdem haben wir versucht durch zwei neue Weibchen die Gruppenstruktur neu aufzubauen. Leider hat sich die Situation aber nicht entspannt, weswegen wir nun unseren Mann Tatu abgeben“, so Klumpe. Schimpanse Tatu ist inzwischen wohlbehalten im Zoo Basel eingetroffen. Dort leben insgesamt 15 Schimpansen.
Männliche Verstärkung für Zoo Osnabrück gesucht
Der Zoo Osnabrück wartet nun auf geeignete männliche Verstärkung für die Schimpansengruppe. „Auch in der Natur übernehmen Männchen eine Gruppe von Weibchen. Um den passenden Schimpansen aus einem anderen Zoo zu finden, sind wir weiterhin mit den zuständigen Stellen in Kontakt“, berichtet Klumpe. „Allerdings kann es passieren, dass es bei der Zusammengewöhnung zu Streitigkeiten kommt. Leider können Schimpansen dabei recht aggressiv werden, sodass die Tiere sich eventuell auch gegenseitig Verletzungen zufügen“, so Klumpe. Auch in der Natur überfallen Schimpansen andere Artgenossen oder töten diese sogar. Der studierte Biologe hat sich in den vergangenen zwei Jahren sehr tief in die Thematik eingearbeitet und mit der Kommunikation und Gruppenstruktur von Schimpansen befasst: „Dennoch bleibt das Verhalten häufig eine Interpretation – so wie wir manchmal auch bei unseren Mitmenschen nicht genau wissen, warum sie sich nun so verhalten und nicht anders. Deswegen kann man auch keinen festen Plan entwickeln oder ein Zeitfenster festlegen. Wir müssen uns einfach nach den Tieren und ihrem aktuellen Verhalten richten.“
Abschied fällt schwer
Die Osnabrücker Schimpansengruppe besteht nun noch aus neun Schimpansen: Weibchen Lady und Tochter Tisa, Weibchen Vakanga mit Tochter Tamika und Sohn Mshango sowie Weibchen Vanessa und Sohn Helmut sowie die Weibchen Buba und Amelie. Männchen Tatu lebte seit seiner Geburt im Jahr 1989 im Zoo Osnabrück, dementsprechend schwer fiel den Tierpflegern der Abschied: „Tatu war ein liebevoller Vater. So eine Persönlichkeit abzugeben ist für uns Tierpfleger immer schwierig. Aber ihn hier zu behalten war keine Option. Die ständige Trennung der Gruppe ist auch für die Tiere selbst keine dauerhafte Lösung“, betont Tierpfleger Wolfgang Festl. Im Moment sei die Weibchengruppe recht ruhig und schaue noch, ob Tatu sich irgendwo anders in der Anlage aufhält. „Ich gehe aber davon aus, dass sich die Gruppe ab Anfang nächster Woche an die neue Situation gewöhnt hat und dann auch eine neue Rangordnung erarbeitet. Dabei kann es nochmal etwas unruhig werden“, vermutet Festl.
Zoos unterstützen bei Arterhaltung
Die Haltung von Schimpansen ist aufgrund der Rangordnung und der rabiaten Vorgehensweise der Tiere manchmal herausfordernd, aber sehr wichtig, betont Biologe Klumpe: „Auch, wenn Zoogegner die Haltung von den Menschenaffen kritisieren, muss man der Entwicklung in der Wildbahn ins Auge sehen: Die Bestandszahlen in der Natur sind dramatisch zurückgegangen. Grund dafür sind die Abholzung der Wälder, Wilderei und auch illegaler Handel mit dem Fleisch. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir uns der Herausforderung stellen, um diese vom Aussterben bedrohte Tierart zu erhalten.“ Insbesondere die Westafrikanischen Schimpansen, die auch im Zoo Osnabrück leben, seien stark betroffen: Deren Bestand sei in den letzten zwanzig Jahren um 80 Prozent zurückgegangen. In Zoologischen Gärten könne man durch Nachzucht, Aufklärung der Besucher und wissenschaftliche Erkenntnisse über das Zusammenleben der Schimpansen große Anteile zur Arterhaltung leisten, so der Biologe. Die Schimpansenanlage im Zoo Osnabrück gehört mit der 500 Quadratmeter großen und etwa 12 Meter hohen Schimpansenhalle, davon 6 Meter nutzbar für die Schimpansen, sowie der über 2.500 Quadratmeter großen Außenanlage zu den größten in Europa.
Wissenswertes zum Schimpansen (Pan troglodytes)
Schimpansen leben in Zentral- und Westafrika in Berg- und Trockenwäldern sowie in der Savanne. Sie haben eine Standhöhe von bis zu 140 Zentimeter und wiegen zwischen 30 und 65 Kilogramm. Sie sind Allesfresser und ernähren sich von Blättern, Knospen, Früchten und Fleisch. Schimpansen sind gute Kletterer. Mit Vorliebe laufen sie auf allen Vieren, wobei sie sich auf den Fingerknöcheln abstützen. Sie leben im Familienverband, in dem es sehr temperamentvoll zugeht. Die Freude am Spiel und an harmlosen Neckereien ist stark ausgeprägt. Als Hordenführer fühlt sich das Männchen für den Schutz der Seinen verantwortlich. Schimpansen eignen sich nicht nur sehr schnell einen großen Erfahrungsschatz an, sie sind auch ausgezeichnete Beobachter und Künstler in der Herstellung selbst gefertigter Werkzeuge. Der Westafrikanische Schimpanse ist eine der vier Unterarten der Schimpansen. Sie sind unmittelbar vom Aussterben bedroht aufgrund von Wilderei, Jagd, Regenwaldzerstörung und der landwirtschaftlichen Entwicklung. Von den Westafrikanischen Schimpansen gibt es noch 15.000 bis 20.000 Tiere in der Wildbahn.