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Über 140 Jahre nach ihrer Ausrottung durch den Menschen leben wieder Bartgeier in den deutschen Alpen. Der bayerische Naturschutzverband LBV hat am 10. Juni zusammen mit dem Nationalpark Berchtesgaden zwei junge, noch nicht flugfähige Bartgeier in einer Felsnische im Klausbachtal erfolgreich ausgewildert.
Das Projekt soll über die nächsten zehn Jahre die Zukunft der zentraleuropäischen Population dieser seltenen Vogelart stärken und verbinden. Denn die Rückkehr des völlig harmlosen Greifvogels in die deutschen Alpen bildet einen wichtigen geografischen Lückenschluss für die Art. Vor ihrer Auswilderung wurden die beiden jungen Bartgeierweibchen vom Bayerischen Umweltminister Thorsten Glauber auf die Namen „Bavaria“ und „Wally“ getauft.
Meilenstein für Artenschutz
„Das ist ein historischer Moment für den Artenschutz in Deutschland und ein echter Meilenstein. Der größte Vogel der Alpen ist heute nach Bayern zurückgekehrt“, freut sich der LBV-Vorsitzende Dr. Norbert Schäffer. Die beiden Jungvögel stammen aus einer andalusischen Zuchtstation der Vulture Conservation Foundation (VCF) und gehören zu einem europäischen Nachzuchtprogramm. Auch im Nationalpark Berchtesgaden ist die Freude groß: „Wir freuen uns sehr, dass wir heute den Grundstein für die Rückkehr dieser faszinierenden Vogelart nach Deutschland legen konnten“, betont Nationalparkleiter Dr. Roland Baier. Und auch für den Bayerischen Umweltminister Thorsten Glauber ist die erste Bartgeierauswilderung in Deutschland ein ganz besonderes Ereignis an einem besonderen Ort: „Der Nationalpark Berchtesgaden ist ein Juwel des Naturschutzes in Bayern und ein Hotspot der Artenvielfalt. Wir bringen den Bartgeier in die bayerischen Alpen zurück. Der Nationalpark Berchtesgaden ist für die Wiederansiedlung der Bartgeier in Bayern hervorragend geeignet. Das Umweltministerium unterstützt das herausragende Projekt in den kommenden drei Jahren mit rund 610.000 Euro. Ich wünsche den beiden Bartgeiern „Wally“ und „Bavaria“ ein langes Leben. Sie werden einen wichtigen Beitrag leisten zur Stärkung der alpenweiten Bartgeierpopulation.“
Schüler wählten Namen „Bavaria“
Beim offiziellen Festakt, der wegen der geltenden Pandemiebestimmungen deutlich kleiner ausfallen musste, als das in anderen Alpenregionen in der Vergangenheit der Fall war, gratulierten im Kreis der geladenen Gäste Umweltminister Thorsten Glauber und Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber. Glauber übernahm die feierliche Taufe der beiden ersten deutschen Bartgeier. Als eine der Partnerschulen des Nationalparks hatten sich die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Berchtesgaden für den Namen „Bavaria“ entschieden. Die Leser der Süddeutschen Zeitung hatten in den vergangenen Tagen ebenfalls Vorschläge einreichen können. Dabei hatte am Ende „Wally“ das Rennen gemacht. Nachdem die beiden noch nicht flugfähigen Geierweibchen am Morgen vom Tiergarten der Stadt Nürnberg nach Berchtesgaden gebracht worden waren, wurden sie zur Taufe von den Experten des Nationalparks und des LBVs aus den Transportkisten geholt und erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. „Wir möchten die Erfolgsgeschichte der Wiederansiedelung des majestätischen und faszinierenden Vogels in Westeuropa in den kommenden Jahren auch im östlichen Alpenraum fortschreiben und dies war heute der erste Schritt dazu“, sagt der Dr. Norbert Schäffer.
Schwierige Auswilderung
Anschließend wurden die beiden Junggeier in von Nationalparkmitarbeitern speziell angefertigte Tragekisten gesetzt und auf Kraxen den Berg zur Auswilderungsnische hinaufgetragen. Als freiwillige Träger fungierten enge Projektpartner: ein Förster der Bayerischen Staatsforsten und ein Jäger der Kreisgruppe Berchtesgadener Land des Bayerischen Jagdverbandes. Der eineinhalbstündige Aufstieg konnte anfangs noch von interessierten Wanderern begleitet werden. Ab Erreichen des weglosen Geländes in der sogenannten Halsgrube war nur noch ein kleines Team aus Experten, Trägern und Nationalpark-Rangern zugelassen. Der anspruchsvolle Steilhang und die Querung über Felsplatten in die eigentliche Nische hinein waren auf den letzten Metern mit Sicherungsseilen versehen, sodass im Absturzgelände von allen Beteiligten höchste Konzentration nötig war. Wegen der großen Steinschlaggefahr trugen alle Beteiligten zur Sicherheit Helme. „Nach dem geglückten Anstieg haben wir Bavaria und Wally in zuvor vorbereitete Nester aus Fichtenzweigen und Schafwolle gesetzt. Anschließend wurden den Vögeln die GPS-Sender angelegt, sie wurden noch einmal untersucht und das erste Futter aus Gamsknochen in der Nähe platziert. Dann haben wir uns auch schon zurückgezogen, um den beiden Geiern die Eingewöhnung in ihre neue Heimat zu ermöglichen“, erklärt LBV-Projektleiter und Bartgeierexperte Toni Wegscheider.
Neues Heim in 1.300 Metern Höhe
Die sechs mal 20 Meter große eingezäunte Felsnische wurde von den Artenschützern extra ausgewählt und liegt in etwa 1.300 Metern Höhe. Dort werden die rund 90 Tage alten Bartgeier von nun an ohne menschlichen Kontakt weiter aufwachsen und das Fliegen üben. Wissenschaftler werden die Vögel in den kommenden Monaten rund um die Uhr von einem nahegelegenen Beobachtungsplatz durch installierte Infrarotkameras und einem Livestream überwachen. „Dies ermöglicht es uns, Unregelmäßigkeiten sofort zu erkennen und so können wir den beiden Vögeln einen optimalen Schutz bieten“, so Toni Wegscheider. Die Fütterung erfolgt je nach Bedarf im Abstand von mehreren Tagen jeweils im Morgengrauen. „Dabei bekommen die noch schlafenden Geier Nahrungsportionen in die Nische geworfen, sodass sie zwar beim Aufwachen frisches Futter vorfinden, jedoch nie einen Menschen damit verbinden“, erklärt Nationalpark-Projektleiter Ulrich Brendel. Der selbständige erste Ausflug der beiden Vögel dürfte nach ausgiebigen Flugübungen in etwa drei bis vier Wochen stattfinden. „Dann sind ihre Flügel stark genug, um mit ihrer bis zu 2,90 Meter Spannweite ihr rund sechs Kilo Körpergewicht in die Luft zu heben“, sagt Ulrich Brendel. Danach werden sie vor ihrem endgültigen Aufbruch zur Erkundung des europäischen Alpenraums noch bis in den Spätsommer in der näheren Umgebung der Felsnische im Nationalpark anzutreffen sein und dort auch weiterhin mit Nahrung versorgt und überwacht.
Live-Webcam in Felsnische
Interessierte können die Entwicklung und Flugübungen der beiden Bartgeier-Damen in den kommenden Wochen und Monaten ab sofort auch hautnah im Internet mitverfolgen. Zum einen werden die Geschehnisse in der Auswilderungsnische live auf der Webseite des LBV unter www.lbv.de/bartgeier-webcam mit der aktuell weltweit einzigen Bartgeier-Live-Webcam übertragen. Anschließend können die ersten Flugversuche und der weitere Lebensweg der beiden Vögel in den nächsten Monaten und Jahren ebenfalls im Internet mitverfolgt werden. Durch eine Ausstattung der Bartgeier mit GPS-Sendern werden die zukünftigen Flugrouten der Vögel auf einer Karte im Internet unter www.lbv.de/bartgeier-auf-reisen dargestellt.
Zum Projekt:
Der Bartgeier (Gypaetus barbatus) zählt mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,90 Metern zu den größten, flugfähigen Vögeln der Welt. Anfang des 20. Jahrhunderts war der majestätische Greifvogel in den Alpen ausgerottet. Im Rahmen eines großangelegten Zuchtprojekts werden seit 1986 im Alpenraum in enger Zusammenarbeit mit dem in den 1970er Jahren gegründeten EEP der Zoos junge Bartgeier ausgewildert. Das europäische Bartgeier-Zuchtnetzwerk wird von der Vulture Conservation Foundation (VCF) mit Sitz in Zürich geleitet. Während sich die Vögel in den West- und Zentralalpen seit 1997 auch durch Freilandbruten wieder selbstständig vermehren, kommt die natürliche Reproduktion in den Ostalpen nur schleppend voran. Ein vom bayerischen Naturschutzverband LBV (Landesbund für Vogelschutz) initiiertes Projekt zur Auswilderung von jungen Bartgeiern im bayerischen Teil der deutschen Alpen greift dies auf und unterstützt in Kooperation mit dem Tiergarten Nürnberg und dem Nationalpark Berchtesgaden die alpenweite Wiederansiedelung. Dafür werden in den kommenden Jahren im Klausbachtal junge Bartgeier ausgewildert – im Jahr 2021 erstmals in Deutschland. Der Nationalpark Berchtesgaden eignet sich aufgrund einer Vielzahl von Faktoren als idealer Auswilderungsort in den Ostalpen. Mehr Informationen zum Projekt unter www.lbv.de/bartgeier-auswilderung.
Bildunterschrift: Bartgeier (Symbolbild)