Es ist ein großer Coup – oder wie Polizeipräsident Michael Maßmann sagt: „Ganz großes Kino für die Polizei im internationalen Bereich.“ Gestern (15.11.) haben Ermittler der Osnabrücker Polizeidirektion und Staatsanwaltschaft gemeinsam mit niederländischen Polizei- und Justizbehörden mehrere Objekte in den Niederlanden sowie in Nordrhein-Westfalen durchsucht und konnten dabei 18 mutmaßliche Geldautomatensprenger festnehmen – darunter einen Mann der mittleren Führungsebene und eine Frau, die für die Geldwäsche verantwortlich sein soll.
„Die festgenommenen Personen arbeiten bereits seit Jahren zusammen und sind für mindestens 23 Geldautomatensprengungen in vier Bundesländern verantwortlich, darunter viele in NRW“, so Maßmann. Auch für eine Sprengung in Osnabrück-Hellern im April 2020 soll die Bande verantwortlich sein. Der insgesamt angerichtete Schaden beläuft sich auf 5,5 Millionen Euro, davon zwei Millionen Euro Beute.
22 Durchsuchungen in den Niederlanden, vier in NRW
Bei dem gestrigen Schlag gegen die Kriminellen wurden 22 Durchsuchungen in den Niederlanden sowie vier weitere bei Mietwagenfirmen in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Die Firmen stehen allerdings nicht im direkten Zusammenhang mit der Tat, vielmehr wurden dort Fluchtfahrzeuge angemietet. „Aus diesem Grund haben wir dort Beweismaterial gesucht“, so der Polizeipräsident gegenüber unserer Redaktion.
Bei den Durchsuchungen, die rund 15 Stunden in Anspruch nahmen und zurzeit noch andauern, wurden unter anderem explosive Stoffe und so genannte Sprengpacks, aber auch fünf Fahrzeuge, mehrere Uhren, Schmuck, teure elektronische Geräte sowie Bargeld – teilweise eingefärbt – in Höhe von 100.000 Euro sichergestellt. Mehr als 200 Polizeikräfte waren dazu mit Sprengstoffexperten und Spürhunden im Einsatz. Ein Mehrfamilienhaus im niederländischen Amstelveen in der Nähe von Amsterdam musste sogar evakuiert werden, um die explosiven Stoffe abzutransportieren.
Erstmals einen der Hintermänner gefasst
Der Polizeipräsident lobte besonders die internationale Zusammenarbeit. „Die Kriminellen sind international vernetzt, deshalb müssen sich auch die Ermittler entsprechend vernetzen“, so Michael Maßmann. „Nur durch diese Vernetzung sind Osnabrücker Ermittler so erfolgreich und konnten mittlerweile schon insgesamt 50 Beschuldigte dingfest machen.“ Als großen Erfolg bezeichnete er außerdem, dass sich unter den gestern festgenommenen Personen auch ein Mann aus der mittleren Führungsebene der Automatensprenger befindet. „Es ist enorm wichtig, nicht nur die oftmals jungen Männer festzunehmen, die aus prekären Verhältnissen stammen und für wenig Geld angeworben wurden, um die Sprengungen durchzuführen, sondern auch die Hintermänner zu fassen.“ Unterstützung erhielten die deutschen und niederländischen Ermittler durch Europol mittels operativer Analysen sowie Auswertung von Mobiltelefonen und Computern.
Rückgang von 43 Prozent bei Geldautomatensprengungen in Niedersachsen
Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens zeigte sich erfreut über den einzigartigen Ermittlungserfolg und bezeichnete diesen als „empfindlichen Schlag gegen die Geldautomatensprenger.“ Durch die hervorragende Arbeit der niedersächsischen Polizei sind Geldautomatensprengungen in Niedersachsen im Vergleich zum Vorjahr um 42 Prozent gesunken, während sie in allen anderen Bundesländern gestiegen sind. So gab es in den Jahren 2021 und 2022 in Niedersachsen 51 beziehungsweise 57 solcher Taten, im Jahr 2023 bislang aber nur 33 Sprengungen.
Wegen Bargeld-Liebe: Deutsche Geldautomaten im Fokus von Kriminellen
Warum niederländische Täter sich auf die Sprengung von Geldautomaten in Deutschland spezialisiert haben, erklärte Niedersachsens Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann: „Zum einen gibt es in Deutschland sehr viele Geldautomaten, da die Deutschen ihr Bargeld lieben. Zum anderen sind die Automaten hier viel schlechter gesichert als in anderen Ländern.“ Bei den Sprengungen handele es sich laut Wahlmann um ein hochgefährliches Phänomen. „Dabei entstehen unglaubliche Gefahren durch die Explosionen und dadurch verursachte Brände sowie die unter hohen Geschwindigkeiten stattfindenden Fluchtfahrten.“
Sowohl die Innen- als auch die Justizministerin haben in der Pressekonferenz klargemacht, dass alles vom Sicherheitssystem der Banken abhinge, weshalb man auch regelmäßig mit der deutschen Bankenwirtschaft im Austausch sei. „Solche Geldautomatensprengungen werden für die Täter dann unattraktiv, wenn das Geld unbrauchbar wird, indem es eingefärbt oder verklebt wird“, so Daniela Behrens.
Bundesweite Fälle werden künftig von Osnabrücker Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft angeklagt
Der Osnabrücker Staatsanwalt Dr. Alexander Retemeyer geht davon aus, dass in etwa einem halben Jahr Anklage gegen die gestern gefassten Personen erhoben werden kann. Ihnen drohen wegen schwerem Bandendiebstahl bis zu zehn Jahre, wegen Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen ebenfalls bis zu zehn Jahre oder wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bis zu fünf Jahre Haft. „Erstmals ist uns der Eingriff in die Strukturen der Kriminellen gelungen“, so Retemeyer, der sich über die Ankündigung der Justizministerin freute, dass die Osnabrücker Staatsanwaltschaft mit einer weiteren Staatsanwältin oder einem weiteren Staatsanwalt verstärkt wird, um als Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft in Sachen Geldautomatensprengungen tätig zu sein. Auch solche Taten aus anderen Bundesländern werden somit künftig am Landgericht Osnabrück verhandelt.