Um es gleich vorweg zu sagen: Es gibt in Deutschland den Begriff des „Hausrechts“ und es gibt die „Vertragsfreiheit“, die sogar aus dem Grundgesetz abgeleitet werden kann.
Und was nicht unbedingt an Chemie aufs Feld muss, sollte auch lieber in den Tanks der Industrie bleiben.
Am Ende einer emotional und zumeist alles andere als sachlich geführten Debatte stand am Dienstagabend das Eingeständnis eines Lokalpolitikers der Grünen, dass es beim Glyphosat-Verbot in Osnabrück überhaupt nicht um Fakten geht. So gesehen geht es eigentlich auch nicht um Insekten oder um eine angebliche Krebsgefahr, sondern um die Durchsetzung anderer Ziele, die über das Vehikel des Hausrechts herbeigeführt werden sollen.
Ziele, denen man sich durchaus anschließen kann und für die es ohnehin eine Mehrheit im Stadtrat gibt, vermutlich sogar unter den Osnabrückern über alle Parteigrenzen hinweg, daher: Warum nicht gleich ehrlich diskutieren? Fragt sich in einem Kommentar HASEPOST-Herausgeber Heiko Pohlmann.
Vor dem Hintergrund des Hausrechts der Stadt und der Vertragsfreiheit, scheint es vollkommen in Ordnung, was die Ratsmehrheit in der ersten Ratssitzung des neuen Jahres beschlossen hat.
Auf allen neu zur Verpachtung oder zur Verlängerung der Pacht anstehenden städtischen Flächen wird es den Pächtern zukünftig untersagt sein das umstrittene Pflanzenschutzmittel Glyphosat zu verwenden. Sich selbst korrigierend, schoben die Grünen als Antragsteller in der Ratssitzung von Dienstag noch den gemeinsam mit der Linkspartei und UWG/Piraten formulierten Änderungsantrag hinterher, dass auch der Einsatz von „Neonicotinoden“ zukünftig verboten werden solle. Zusätzlich wird die Verwaltung beauftragt auch auf Kleingärtner entsprechend einzuwirken. Und die städtischen Tochtergesellschaften sollen – was sie ohnehin schon lange tun – weiterhin auf den Einsatz dieser Mittel verzichten.
Soweit, so nachvollziehbar. Immerhin gibt es eine breite gesellschaftliche Diskussion darüber, ob das aktuell zu beobachtende Bienensterben und der Rückgang vieler Insektenarten auf den Einsatz derartiger Mittel zurückzuführen ist. Und es steht der (bislang allerdings unbewiesene) Verdacht im Raum, dass Glyphosat Krebs auslösen kann.
Was eine sachliche Diskussion und ein Lehrstück für gelebte Demokratie hätte werden können, artete im Ratssitzungssaal am vergangenen Dienstag aber zu einer Demonstration von Unwissenheit, Arroganz und Überheblichkeit aus.
Grünen-Politiker hat es nicht so mit den Zahlen
In gewohnt pastoraler Weise referierte der Grüne Ratsherr Volker Bajus zu Beginn der Debatte über den „wichtigsten Helfer des Landwirts, das Insekt“. Erinnerungen an den Ökoschlager „Karl der Käfer“ kamen im historischen Rathaus auf.
Eine im Herbst vergangenen Jahres veröffentlichte und in ihrer Methodik durchaus kritisch diskutierte Studie, die einen Rückgang der Insektenbiomasse um 75% feststellte, wurde von Bajus in seinem Redebeitrag vollkommen unnötig auf 80% nach oben geschraubt. Als ob die hinzugedichteten 5% tote Insekten für noch mehr Dramatik sorgen würden? Stattdessen disqualifizieren sie den Redebeitrag von Bajus als Fakenews, da die genannten Zahlen nun nicht mehr stimmen.
Der deutschen Landwirtschaft und dem zuständigen Bundesministerium attestierte der ehemalige Landtagsabgeordnete nicht im Interesse der Menschen zu arbeiten.
Anschließend an das Eingangs-Statement von Bajus tauchte in diversen überaus besorgt klingenden Redebeiträgen vermehrt das Schreckgespenst „Krebs“ auf – Belege für die angebliche Krebsgefahr auf Osnabrücks Äckern: Keine.
Laienpolitiker versuchen sich als Umweltexperten
Wortführer an der Verbote-Front waren der Kaffeemaschinenfachmann und „SPD-Experte für alles“ Heiko Panzer und der zuvor bereits genannte Ex-Landespolitiker Volker Bajus. Ergänzt wurden die Statements der besorgten Bürger um den vollkommen auf „Krebsverdacht“ konzentrierten Redebeitrag der pensionierten Gewerkschaftssekretärin Giesela Brandes-Steggewentz (Linke). Auch hier: Haken hinter! Genau so soll ein Stadtparlament funktionieren, in dem auch absolute Laien – aus der Mitte der Gesellschaft – ihre Positionen vertreten und so die Stadtbevölkerung repräsentieren, die ebenfalls zum größten Teil keine Fachleute für irgendwas sind.
Wenn dann aber ein zufällig auch mit Sitz und Stimme im Stadtrat vertretener Umweltmediziner und Neurologe wie Dr. Ralph Lübbe (BOB) das Wort ergreift und die zuvor zum Ausdruck gebrachte Hysterie einem Faktencheck unterzieht („in wissenschaftlichen Studien keine erhöhte Krebsrate durch Glyphosat feststellbar“), sollte man zumindest zuhören.
Dass so ein faktenbasierter Diskussionsbeitrag dann aber umgehend von einem fachfremden Verwaltungsmitarbeiter wie Wulf-Siegmar Mierke als „ideologische Verblendung“ des BOB-Mitglieds herabqualifiziert wird, das hinterlässt einen fahlen Beigeschmack.
Am Ende gibt ein Grüner zu, worum es wirklich geht
Die größtmögliche Fremdschäm-Attacke auf die Zuschauer schoss jedoch der promovierte Sozialwissenschaftler Michael Kopatz ab, nachdem die Agraringenieurin Verena Kämmerling (CDU) faktenreich über die bundesweit bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen referierte, die bereits jetzt sehr enge Grenzen für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln vorsehen. Kämmerling verwies dabei auf die zahlreichen und immer wieder zu erneuernden Sachkundenachweise, die sie selbst im Portemonnaie wie ihren Füherschein und ihren Personalausweis mitführt und ohne die derartige Mittel überhaupt nicht eingesetzt werden dürfen.
Mit einer eleganten 180 Grad Kehrtwendung entzog Dr. Kopatz die zuvor um Krebs, Bienen und Insekten geführte Laiendiskussion die Grundlage und erklärte: „Es geht gar nicht um die Schädlichkeit für den Menschen. Da wo wir hinwollen, das ist 100 Prozent Bio“.
Ja, warum denn nicht gleich so? Warum all diese Nebelkerzen, diese Hysterie, Panikmache und das Schreckgespenst Krebsgefahr auf städtischen Feldern?
Ein Blick in Supermarktregale und Einkaufswagen beweist: 100% Bio, da wollen auch sehr viele Verbraucher hin und sind längst dabei ihr Verhalten zu ändern. Und genau deswegen werden sicher auch sehr viele – vermutlich sogar eine Mehrheit – der Osnabrücker es begrüßen, wenn die Stadt im Rahmen ihres Hausrechts ihre Pächter zu weniger Sprühangriffen auf ihren Feldern verpflichtet.
Geht das Hausrecht der Stadt überhaupt so weit?
Ob allerdings die Stadt Osnabrück als kommunale Gebietskörperschaft bei zivilrechtlichen Verträgen so etwas wie Vertragsfreiheit beanspruchen und „beliebigen Unsinn in zivilrechtliche Verträge schreiben darf, mit dem ein bundes- und europarechtlich zulässiges Handeln verboten werden soll“, bezweifelt in einem Facebook-Posting unter dem Titel „faktenfreier Irrsinn im Rat von Osnabrück“ Prof. Dr. Thorsten Koch, der bereits die Neumarktsperrung vor dem Oberverwaltungsgericht aushebeln konnte.
Vielleicht wäre es viel sinnvoller gewesen über diesen Aspekt des Glyphosat-Verbots zu diskutieren?
Die Mehrheit für den Antrag und die Zustimmung durch die Osnabrücker, die schon längst in großer Zahl auf Bio setzen, war den Befürwortern des Verbots ohnehin sicher – nun droht womöglich eine erneute Niederlage der zunehmend ideologisch geprägten Osnabrücker Lokalpolitik vor einem Gericht.
Warum? Weil die Durchsetzung eines gut gemeinten Antrags auf tönernen Füßen steht und man sich bei der Debatte lieber überheblich und mit wenig belastbaren Scheinargumenten an der Diskreditierung des politischen Gegners versuchte. Wohin diese überideologisierte und auf alternativen Fakten basierte Politik führt, können die Osnabrücker regelmäßig am Neumarkt erleben.