Angesichts der vom niedersächsischen Innenminister, dem ehemaligen Osnabrücker Oberbürgermeister Boris Pistorius (SPD), geplanten Neuregelung des Anrechnungsverfahrens für Flüchtlinge, brodelt es auch in der Lokalpolitik.
Beide Seiten stellen – wenn auch von unterschiedlichen Standpunkten aus – Forderungen an die Bundespolitik.
Den Anfang machte am Dienstag die CDU-Fraktion mit einer Pressemitteilung, in der sie “Zweifel” anmeldete, dass zukünftig noch eine “menschenwürdige Unterbringung für alle” dann noch möglich sei. Droht womöglich sogar die Stimmung in der Bevölkerung zu kippen, wie der CDU-Fraktionsvorsitzender Fritz Brickwedde befürchtet?
In einer schriftlichen Erwiderung zeigen sich am Mittwoch die Fraktionsvorsitzenden Frank Henning (SPD) und Michael Hagedorn (Grüne) irritiert. „Wir wundern uns, dass der CDU-Vorsitzende sich auf einmal vom Kurs der eigenen Kanzlerin distanziert. Diese hat unter Berufung auf das Grundgesetz erklärt, dass das Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze kennt. Gerade für uns als Friedensstadt sind Menschenrechte und Humanität Gebot und Auftrag“, so die beiden Chefs von SPD und Grünen im Stadtrat.
Wir fragen unsere Leser:
Neues Rechenmodell der Landesregierung bringt mehr Flüchtlinge
Nach der bisherigen Praxis wurde die Einwohnerzahl Osnabrücks wegen der Erstaufnahmeeinrichtung im Natruper Holz nur mit 50 Prozent berechnet, also deutlich weniger Flüchtlinge zugewiesen.
Nach dem neuen Modell, so die CDU-Fraktion, würden ab 2016 2.602 Flüchtlinge auf Osnabrück entfallen, davon 600 im Natruper Holz und 500 in der Notunterkunft an der Hannoverschen Straße. Für die 600 in der Erstaufnahmeeinrichtung sollen 750 (Faktor 1,25) und für die 500 in der Notunterkunft 375 Plätze (Faktor 0,75) der Stadt angerechnet werden, insgesamt also 1.125.
Osnabrück selber müsste also in diesem Modell 1.477 Flüchtlinge unterbringen. Zurzeit sind nach Angaben der CDU etwa 700 Flüchtlinge in 12 Einrichtungen der Stadt untergebracht.
Henning und Hagedorn: “Hier sind Bund und Länder gefordert”
Auch die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen erkennen, dass die Lage in Osnabrück wie auch bundesweit angespannt sei und die Herausforderungen angesichts der anhaltend hohen Flüchtlingszahlen sehr hoch. „Die ehren- und hauptamtlichen Helfer machen jeden Tag aufs Neue eine schwere, aber gute Arbeit. Sie brauchen unbedingt Entlastung“, so Henning. Insbesondere das Aufnahmeverfahren, die Registrierung und die Betreuung müssten besser organisiert werden. „Hier sind Bund und Länder gefordert. Vor allem müssen endlich eine einheitliche Registrierung garantiert und eine erhebliche Verfahrensbeschleunigung durch die Bundesbehörden auf den Weg gebracht werden“, fordert Hagedorn.
“Wir kommen an Grenzen, die nicht mehr akzeptabel sind”
Angesichts der für Osnabrück erwarteten Zuweisungen von Flüchtlingen erklärte CDU-Chef Brickwedde: „Bei allem Engagement der Stadt und der vielen ehrenamtlichen Helfer kommen wir so an Grenzen, die nicht mehr akzeptabel sind. Die Zahl neuer Flüchtlinge muss deshalb reduziert werden.”
Das Modell des Landes gehe von über einer Millionen Flüchtlinge in 2016 für Deutschland aus, also so viel wie 2015. Auf Niedersachsen entfallen etwa 10 Prozent. Eine vergleichbare Zahl wie 2015 sei aber im kommenden Jahr nicht mehr zu verkraften.
SPD und Grüne erwarten bald mehr Geld von der Landesregierung
Rot/Grüne sieht hingegen auch schon erhebliche Fortschritte. So haben sich das Land Niedersachsen und die kommunalen Spitzenverbände auf eine erhebliche Erhöhung der Kostenpauschale für Asylbewerber geeinigt. „Das Land entspricht damit unseren Forderungen und die Stadt wird in die Lage versetzt, auch weiterhin einen guten humanitären Standard bei der Versorgung der Flüchtlinge zu gewährleisten“, so Henning. Im kommenden Jahr solle es demnach pro Flüchtling 9.500 Euro und ab 2017 sogar 10.000 Euro pro Jahr geben. Und, die Auszahlung der Pauschale komme jetzt zeitnah und nicht mehr mit einer Verzögerung von zwei Jahren.
CDU fordert die Situation in den Herkunftsländern zu verbessern
Die Situation der Flüchtlinge in den Lagern des Nahen Ostens müsse verbessert, die Schlepperkriminalität bekämpft und eine Verteilung in der ganzen EU erreicht werden. Es dürfe auch keinen ungeregelten Zustrom nach Deutschland geben, jeder Flüchtling müsse kontrolliert und registriert werden.
Brickwedde: „Wir wollen Menschen in Not helfen. Das geht aber nicht unbegrenzt.” Er erinnerte daran, dass die CDU in der Ratssitzung am 22. September beantragt hatte, „Asylbewerber mit geringer Bleibeperspektive für die Dauer ihres Verfahrens nicht auf die Kommunen zu verteilen”.
Das sei von SPD und Grünen abgelehnt worden. Auch der CDU-Antrag „alle Staaten des Balkans zu sicheren Herkunftsländern einzustufen” sei von SPD und Grünen abgelehnt worden.
Selbst die CDU-Forderung, den „Rückführungserlass so zu gestalten, dass endgültig abgelehnte Bewerber in ihre Heimat zurückkehren”, habe die SPD nicht mitgemacht.
SPD und Grüne sehen die Bundesregierung in der Pflicht
Hagedorn und Henning beklagen hingegen, dass das Thema von der Bundesregierung nicht konsequenter angegangen wird. „Wir brauchen in den Kommunen Lösungen zur Bewältigung der Krise.
Wie Brickwedde fordern sie aber auch, dass dieFluchtursachen konsequenter angegangen werden.
Mit Hinweis auf die unterschiedlichen Auffassungen in der Union heisst es von kichael Hagedorn: “Statt jeden Tag einen neuen Placebo-Vorschlag aus Bayern zu diskutieren, sollte sich die Union endlich zusammenraufen und hinter der Kanzlerin versammeln“.
“Neben mehr Personal für Betreuung und schnelle, geordnete Verfahren braucht es endlich eine massive Ausweitung der humanitären Hilfe in den Herkunftsländern und eine politische Lösung für Syrien. „Nur eine Bundesregierung, die geschlossen und entschlossen agiert, wird auch auf der EU-Ebene überzeugend wirken können. Hier geht es um mehr als Parteiränkespiele und aktuelle Umfragewerte“, ergänzt Henning.
CDU befürchtet die Stimmung könnte in der Bevölkerung kippen
„Für eine gute Versorgung der Flüchtlinge brauchen wir Zustimmung und Mithilfe unserer Bürger. Wenn wir die uns möglichen Zahlen überschreiten, kann die Stimmung kippen. Es darf keinesfalls zu fremdenfeindlichen Aktivitäten in Osnabrück kommen. Deshalb müssen wir rechtzeitig begrenzen, ordnen und steuern”, heißt es in der Erklärung der CDU-Fraktion.
Alles nur Parteitaktik von der CDU?
„Jammern hilft nicht”, erwidern die Spitzen von SPD und Grünen im Stadtrat, “Wenn Menschen in Not sind, muss gemeinsam nach Lösungen gesucht und gehandelt werden. Wir stehen als Politik in der Verantwortung für die Betroffenen, für die Helfer und unsere Stadt. Wir brauchen jetzt Mut und Entschlossenheit und die CDU offensichtlich eine Erinnerung an das „C“ in ihrem Namen“, so Henning und Hagedorn.
Vielleicht seien die Äußerungen von Brickwedde auch nur parteitaktischer Natur gewesen. Schließlich stehe am Wochenende der CSU Parteitrag und in drei Wochen der Bundesparteitag der CDU an. Heftige Kontroversen über die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin stünden dort auf der Tagesordnung. „Ein öffentliches Geplänkel zur parteiinternen Positionierung hätte uns Brickwedde hierzu ersparen müssen. Das wirkt nicht motivierend bei der Bewältigung der Aufgabe und kann auch parteiintern geführt werden. Da wird er seiner Verantwortung nicht gerecht“, so die beiden abschließend.
Lob von Michael Hagedorn an Verwaltung und Oberbürgermeister
„Unsere Sozialverwaltung und die Integrationsbeauftragte machen das sehr gut. Das gilt für die Leitung wie für die Mitarbeiter. Dabei binden sie Bürgerschaft und Politik vorbildlich ein. Alle Abteilungen, wie zum Beispiel das Bauamt oder die Freiwilligenagentur arbeiten konstruktiv zu. Zudem gibt es einen kurzen Draht zum Oberbürgermeister und zu den Dezernenten“, erklärt Hagedorn. Das sei wirklich vorbildlich.
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