Der 24. Februar war für ganz Europa ein einschneidendes Datum. Russlands Präsident Wladimir Putin gab den Befehl, die Ukraine anzugreifen. Eine Woche nach Kriegsbeginn hieß es auch für die Familie Shor, ihr altes Leben hinter sich zu lassen und vor den Bomben zu fliehen.
Über Moldawien und Rumänien gelang es ihnen, durch eine gemeinsame Freundin und der Osnabrückerin Rita Feldkamp eine Wohnung in Pye zu finden. Seit über einem Jahr leben sie nun dort, lernen Deutschland und die Menschen hier kennen. „Die Menschen hier sind so offen und hilfsbereit“, erzählt Mutter Tetiana. Das stärke ihnen in dieser Zeit ungemein den Rücken. Während des Krieges mussten sie nicht nur ihre Eigentumswohnung und ihr Hab und Gut in Odessa zurücklassen, sondern auch Freunde und Familie. Viele Freunde seien mittlerweile in eroberte Gebiete zurückgekehrt, weil sie bei ihrer Familie sein wollen, erzählt sie. Männer, die unter 60 Jahre alt sind, müssen dort für ihr Land in den Krieg ziehen. Für die Familie sei es sehr schwer gewesen, alles zurückzulassen. Der Krieg habe sie absolut unvorbereitet getroffen. „Wir hatten nur Rucksäcke dabei“, erzählt sie. „Das Leben ist unbezahlbar.“
Hier in Deutschland mussten sie wieder von Null anfangen. Keine Schule, keine Jobs. Derzeit verbessern sie ihr Deutsch durch Sprachkurse, machen bald die B1-Sprachprüfung. Am liebsten würden die Eltern in ihren erlernten Berufen – Bauingenieur und Bankkauffrau – auch in Deutschland arbeiten. „Dafür ist die Sprache natürlich wichtig“, weiß Tetiana. „Wir warten darauf, hier arbeiten zu können.“ Doch dafür stehen noch einige bürokratische Hürden im Weg.
Tochter Sophie lernte bereits in der Ukraine Deutsch
Für Sophia ging es dann relativ schnell wieder in die Schule. Im Stadtteil Haste besucht sie mit einigen anderen Kindern aus der Ukraine die siebte Klasse der Angelaschule und kann dort nach nur einem Jahr in Deutschland mit guten Noten punkten. Ihr großer Vorteil: Sie hat bereits in Odessa Deutsch gelernt. Im Vergleich zu ihrer Heimatstadt unterscheidet sich das Schulsystem in einigen Punkten. „Mathe ist hier eher wie Klasse fünf in der Ukraine, obwohl ich hier schon in die siebte Klasse gehe“, erzählt sie. Dennoch ist Mathe mit Sport zusammen ihr Lieblingsfach. „Und Kunst ist in der Ukraine deutlich praktischer.“ Neu für sie ist der Religionsunterricht, auf den sie auch verzichten könnte. Das sei das einzige Fach, bei dem sie notentechnisch nicht im guten Bereich stehe.
Handyverbindung nach Hause
In der Ukraine hat sie jahrelang geturnt, in Osnabrück tanzt sie mehrmals in der Woche in einem Verein. „Ich würde auch gerne noch Tennis und Karate ausprobieren“, erzählt sie begeistert. Ein paar Freunde habe sie bereits finden können. Ihre Freundinnen aus der Ukraine sind mittlerweile auf der ganzen Welt verteilt. Sie leben derzeit etwa in Kanada, der Schweiz oder auch Rumänien. Mit dem Smartphone kann die 13-Jährige auch weiterhin Kontakt mit ihnen halten.
Das Handy ist auch für ihre Eltern in dieser Zeit essentiell geworden. Durch Telegramgruppen und die sozialen Medien bekommen sie mit, was in ihrer Heimatstadt passiert. Es ist der einzige Anknüpfungspunkt an ihr Zuhause. „Das Schlimmste ist, nicht zu wissen, ob es unsere Wohnung überhaupt noch gibt und ob wir je zurückkehren können“, sagt Tetiana. Mittlerweile habe die Familie auch hier gute Freunde gefunden, sodass sie perspektivisch auch Deutschland vermissen werden, sollten sie bald wieder in ihre Heimat zurückkehren können.