Seit mehr als einem Jahr begleitet uns das Coronavirus. Erst nur als abstrakte Gefahr, irgendwo in einer der zahlreichen Megastädte Chinas, dann über Österreich und Bayern immer näher auch an unsere Region heranreichend. Spätestens seit Anfang März 2020 wurde Corona dann ganz real und bestimmt seither unseren Alltag.
Grund für uns einmal einen Blick zurück zu werfen.
Dieser Jahresrückblick von Tatjana Rykov ist auf drei Teile angelegt. Nur die wichtigsten Ereignisse sind in den jeweiligen Artikeln verlinkt, alle weiteren Ereignisse – und noch viel mehr – findet man auf unserer seit Beginn der Pandemie gepflegten Corona-Chronologie.
Januar 2020: In der Hasestadt geht alles seinen gewöhnlichen Gang. Nach dem Feierabend trifft man sich mit Kollegen oder Freunden auf ein Bier im Grünen Jäger und am Samstag geht’s ins Alando; so oder so ähnlich sah der Altag vor Corona aus. Doch ein paar Vorbehalte schwingen schon mit: In China ist ein neuartiges Virus ausgebrochen und am 27. Januar wurde die erste Infektion in Deutschland festgestellt. FFP3-Masken zum Schutz vor Viren und Bakterien sind in einigen Apotheken Osnabrücks bereits ausverkauft; es kommt zu Lieferengpässen und Ausverkäufen. Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn müssen die Bürger aber keine Panik haben: „Mundschutz ist nicht notwendig, weil der Virus gar nicht über den Atem übertragbar ist“, es wird nicht die einzige Aussage des Ministers sein, die rückblickend für Kopfschütteln sorgt. Vor allem: In China und vielen anderen Teilen der Welt, war der Mundschutz zu Beginn des Jahres schon erste Wahl im Kampf gegen das da noch meist mit dem Zusatz „neuartig“ bezeichnete Virus.
Anfang März spannt sich die Lage weiter an. Gehe ich heute Abend noch in die Kneipe oder nicht? Der ein oder andere entscheidet sich lieber dagegen; über das Virus und seine Spätfolgen ist noch nicht viel bekannt. Aber eins steht fest: Die Corona-Infektionszahlen in der Region Osnabrück beginnen langsam zu steigen. In einer schnell geplanten und provisorisch durchgeführten Aktion werden in der Nacht zum 5. März 55 Schulkinder der Gesamtschule Eversburg aus einer Skifreizeit in Südtirol abgeholt – einige von ihnen zeigen Krankheitssymptome. Kurz darauf die Erleichterung: Es ist „nur“ eine Grippe.
Am 12. März 2020 trifft sich der Corona-Krisenstab der Stadt Osnabrück zu einer Pressekonferenz. Veranstaltungen mit über 1.000 Teilnehmern werden untersagt, der VfL spielt nur noch Geisterspiele, Jahrmarkt und Maiwoche fallen aus. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass die Großveranstaltungen auch noch 2021 ausfallen?
Am Freitag den 13. geht es dann Schlag auf Schlag: Schulen und Kindertagesstätten werden geschlossen, es herrscht Tanzverbot, die Stadtwerke stellen den Ticketverkauf in Bussen ein, Universität und Hochschule Osnabrück sagen Präsenzveranstaltungen ab. Das Corona-Testzentrum am Limberg nimmt seinen Betrieb auf. Die Situation wird ernst und am 17. März beginnt der erste Lockdown. Einzelhändler müssen schließen, aber nicht alle scheinen sich an die neuen Corona-Regeln zu halten. Sie suchen Schlupflöcher und öffnen ihre Lokale; aus Trotz oder Unverständnis? Am 18. März wendet sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer TV-Ansprache an die deutsche Bevölkerung; zum ersten Mal seit Amtsantritt.
Ab dem 19. März kommt das öffentliche Leben bundesweit und in Osnabrück zum Erliegen. Einen Tag vorher sind die Schlangen vor dem Baumarkt noch bis in die späten Abendstunden lang; am nächsten Tag dürfen hier nur noch Gewerbetreibende einkaufen. Befristet bis zum 2. April werden Friseure, Restaurants, Cafés und Gaststätten für den Kundenverkehr geschlossen. Versammlungen mit mehr als zehn Personen sind verboten. Nahezu täglich werden neue Allgemeinverfügungen in Stadt und Landkreis Osnabrück erlassen, um schnell auf das dynamische Infektionsgeschehen zu reagieren.
Wer ist „systemrelevant“ und wer nicht? Mitarbeiter von Krankenhäusern und vom Supermarkt bekommen abends um 18 Uhr eine Runde Applaus aus dem Fenster, aber keine Lohnerhöhung oder Entlastung. Am 19. März sind insgesamt 157 Menschen aus Stadt und Landkreis Osnabrück mit dem „neuartigen“ Virus infiziert – ein Impfstoff steht noch in den Sternen. Einen Tag darauf fahren Busse, trotz rückblickend zu diesem Zeitpunkt nur geringem Ansteckungsrisiko, nur noch im 70-Minuten-Takt. Ein Wochenende später gilt auch in der Friedensstadt „Kontaktverbot“.
Damit die Geschäfte in der Osnabrücker Innenstadt auch nach den wochenlangen Schließungen wieder öffnen können, ruft unter anderem die IHK Osnabrück – Emsland – Grafschaft Bentheim dazu auf, per E-Mail, WhatsApp oder Telefon bei Einzelhändlern zu bestellen. Der Umsatz des Internet-Giganten Amazon schießt währenddessen in die Höhe. Die Innenstadt ist wie ausgestorben, der Schlossgarten, in dem sich sonst mehrere hundert Studenten und Studentinnen aufhalten, ist leergefegt.
Die Region Osnabrück bereitet sich darauf vor, Corona-Patienten mit einem schweren Verlauf behandeln zu können: Im Klinikum Osnabrück wurde die Eröffnung einer Intensivstation vorgezogen, damit es mehr freie Beatmungsgeräte gibt. Um die Mobilität der Bürger weiter einzuschränken, stellt der Flughafen Münster/Osnabrück immer mehr Fluglinien ein. Am 26. März fordert das Coronavirus sein erstes Opfer in der Region: Ein 75-jähriger Mann stirbt mit einer Corona-Infektion auf der Intensivstation.
Trotz Abstandsgebot rücken Osnabrücker und Osnabrückerinnen immer näher zusammen: Viele Einzelhändler haben mittlerweile Lieferdienste eingerichtet, die Firma spot display liefert kostenlose Thekenschutze an Lebensmittelhändler, der Zoo Osnabrück aktiviert sein Sponsorennetzwerk, um Atemmasken für die Region zu organisieren und Kinder malen einen Regenbogen, denn: Alles wird gut! Die Internet-Plattform osnabringts.de bündelt die Lieferangebote von Einzelhändlern aus der Region und vernetzt sie mit Kunden – die Plattform besteht bis heute.
Aber viele halten sich nicht an die Corona-Maßnahmen. Zwischen dem 16. und 30. März verzeichnet die Polizeidirektion Osnabrück 711 polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit den Corona-Regeln. Am 1. April sind bereits sechs Menschen aus der Region Osnabrück mit einer Corona-Infektion verstorben. Das Land Niedersachsen versucht ein „Besuchsverbot“ zu erlassen, nach dem es verboten wäre, Freunde oder Verwandte in ihren eigenen vier Wänden zu besuchen – doch es wird schon nach wenigen Stunden gekippt. Im April ist die Verdopplungszeit die wichtigste Maßzahl in Deutschland; die Zeit, in der sich die Anzahl der Corona-Neuinfektionen verdoppelt.
Am 7. April kommt es zum ersten größeren Corona-Ausbruch in der Region. Im „Alloheim“ in Bramsche sind fast 50 Bewohner und Mitarbeitende positiv auf das Virus getestet worden. Insgesamt sind elf von ihnen gestorben. Zwei Tage darauf überschreitet die Anzahl der Corona-Fälle in Stadt und Landkreis Osnabrück die Marke 1.000.
Am 20. April atmet die Region langsam auf, denn ab heute dürfen Geschäfte mit einer Fläche von 800 Quadratmetern wieder ihre Türen öffnen. L&T öffnet unter strengen Hygieneregeln schrittweise zehn Prozent der Verkaufsfläche und auch in den Straßen der Innenstadt ist wieder etwas mehr Verkehr. Doch wer sich auf unbesonnenen Kaufspaß eingestellt hat, wird enttäuscht.
Ab dem 25. April gilt in Geschäften, dem ÖPNV und auch auf dem Osnabrücker Wochenmarkt Maskenpflicht. Spätestens jetzt nimmt das Nähen von Mund-Nasenschutzen richtig Fahrt auf; dabei ist auch das Tragen eines einfachen Tuches oder eines Schals über dem Mund und der Nase erlaubt. Am 23. April sind bereits 50 Menschen aus der Region Osnabrück mit einer Corona-Infektion verstorben. Währenddessen werden die Rufe nach weitreichenden Lockerungen immer lauter: Einige Bürger fühlen sich in ihren Grundrechten eingeschränkt und demonstrieren; die Worte „Corona-Leugner“ und „Coronazi“ sind geboren.
Um die Kneipenkultur in Osnabrück über den Lockdown hinweg zu retten verkaufen die „Kneipenhelfer“ T-Shirts und Hoodies und auch die Kampagne #OSNABLEIBTSTARK setzt sich für Gastronomen in der Region ein.
Ende April scheint sich die Lage endlich wieder zu beruhigen. In der Region und deutschlandweit ist die Anzahl der Corona-Neuinfektionen langsam aber sicher rückläufig. Doch für die Mitarbeiter der Polizei und des Ordnungsaußendienstes der Stadt Osnabrück (OAD) geht es weiter: In zwei Schichten gehen die Mitarbeitenden des OAD täglich auf Corona-Streife und bekommen nicht nur positive Reaktionen auf die Corona-Regeln zu spüren; sie werden teilweise beschimpft und angespuckt.
Der Zoo Osnabrück darf am 6. Mai wieder seine Türen öffnen und bei einer Bund-Länder-Konferenz werden weitreichende Lockerungen für das öffentliche Leben bestimmt. Die 7-Tage-Inzidenz wird ab sofort zur Maßzahl zur Beurteilung des Corona-Infektionsgeschehens. Ein Wert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen soll nicht überschritten werden. Am 6. Mai liegt die 7-Tage-Inzidenz des Stadtgebiets bei 8,5 und im Landkreis bei 11,7.
Wie es weitergeht? Hier geht es zu Teil 2 dieser Artikelserie.
Foto: Die Osnabrücker Innenstadt am 19. April 2020. / Tatjana Rykov.