Dann laden wir Sie halt zur Aussage auf die Dienststelle!
Ein häufig von TV-Kommissaren gesagter Satz, mit dem Polizisten angeblich jeden Zeugen einer Straftat zur Aussage zwingen können. So häufig dieser Satz verbreitet wird, so falsch ist er, dass weiß auch Thomas A* (richtiger Name der Redaktion bekannt).
Und weil er so einem Schreiben nicht Folge leisten muss, legte er im vergangenen Dezember eine schriftliche Vorladung der Polizei erstmal beiseite und beachtete den Brief fortan nicht mehr.
Ein wenig „eigentümlich“ könnte man so ein Verhalten nennen – aber vollkommen im Einklang mit der Rechtslage, das bestätigt auf Nachfrage unserer Redaktion auch Oberstaatsanwalt Dr. Alexander Retemeyer.
Wann hört der Staatsanwalt den Entlastungszeugen?
Warum Thomas A. nicht auf das Polizeirevier gehen wollte, konnte er im Gespräch mit unserer Redaktion auch nicht erklären. Er jedenfalls wollte lieber abwarten, bis ein „richtiger Staatsanwalt“ oder ein Richter von ihm hören will, was er denn am Abend des 2. Mai 2015 auf dem Nachtflohmarkt beobachtete. Und Thomas A. wartet noch immer auf eine Vorladung, die er dann allerdings auch nicht mehr ignorieren darf.
Er könnte der Zeuge sein, der Klarheit in einen Vorfall bringt, der im vergangenen Mai für viel Aufsehen in der Hasestadt sorgte. Am Ende verlor einer seinen Job, die andere ihre Ehre und wurde zum Opfer inzwischen seit Monaten andauernder übler rassistischer Beschimpfungen, gegen die das, was auf dem Flohmarkt mutmasslich geschah, nur ein kleines Vorspiel war.
Was passierte auf dem Nachtflohmarkt?
Eine junge Frau mit türkischen Wurzeln, ihren zahlreichen Freunden bei Facebook unter dem Namen „Aylin Osna“ bekannt, baute am Vorabend des Nachtflohmarkts einen Flohmarktstand seitlich der Verkaufsbude der Zoo-Lotterie am Nikolaiort auf. Im Verlauf der nächsten Stunden kommt es zum Streit. Ein Tisch wird zur Seite gestossen, Beschimpfungen – vielleicht von beiden Seiten, vielleicht auch teils rassistisch – werden ausgestoßen.
Bis auf die juristisch wichtigen Details ist das alles unstrittig. Doch von wem ging der Streit aus, wer hat womöglich welches Gesetz gebrochen?
Die CityStreife greift im Verlauf des Abends schlichtend ein, doch der Streit eskaliert weiter. Aylin fühlt sich bedroht und beleidigt, sie ruft die Polizei. Bevor die Beamten kommen gerät das Bein der jungen Frau zwischen die Tür der Losbude, als sie den – nach ihren Angaben – „aggressiven“ Mann zur Rede stellen will. Der jedoch soll dann die Tür mehrmals und mit großer Kraft gegen ihr Bein geschlagen haben – nicht mit dem Ziel die Tür zu schliessen, sondern um die junge Frau zu verletzen. Hämatome und Prellungen zeugen am nächsten Morgen von der Auseinandersetzung.
Wie aus einem unappetitlichen Streit eine öffentliche Angelegenheit wurde
Eigentlich wäre die unschöne Geschichte am Sonntagmorgen schon fast wieder vorbei gewesen. Die Polizei war vor Ort, der Sachverhalt wurde aufgenommen, die Ermittlungen hätten ihren Lauf genommen und irgendwann wäre vielleicht auch der eigentümliche Zeuge Thomas B. nicht nur von einem Polizisten, sondern von einem Staatsanwalt oder Richter vernommen worden.
Doch die Geschichte zog Kreise, erst in der Facebook-Gruppe Was los in Osnabrück, später dann auch bei uns in der HASEPOST und schließlich sprang auch die Lokalzeitung NOZ auf und berichtete über den Vorfall (Abruf ggf. kostenpflichtig).
Der Osnabrücker Zoo, um seinen guten Ruf bemüht, reagierte, entschuldigte sich, stellte sogar die Zoo-Lotterie vorläufig ein – sie sollte 2015 ihre Pforten in der Großen Straße nicht wieder öffnen. Lediglich eine abgespeckte Version der Zoo-Lotterie wurde ab dem Hochsommer innerhalb des Zoos durchgeführt. Der beschuldigte Leiter der Zoo-Lotterie wurde erst freigestellt, verlor dann seinen Job.
War es nötig das mutmassliche Opfer öffentlich zu nennen?
Während die Ermittlungen aufgenommen wurden, begann für die Flohmarktbesucherin ein Spießrutenlaufen. Der Redakteur der Lokalzeitung argumentierte gegenüber Aylin, die zu dem Zeitpunkt noch unter den körperlichen Folgen – den zahlreichen Hämatomen – litt: „Anders geht´s nicht“! Ihr Name müsse in dem Artikel in vollem Wortlaut stehen. Auch eine Abkürzung ginge nicht, habe der Redakteur gesagt, so Aylin gegenüber unserer Redaktion. Bemüht mit möglichst viel Öffentlichkeit sich gegen die Demütigung der Nacht zur Wehr zu setzen, willigte sie schliesslich ein. Warum auch nicht, immerhin war sie doch das Opfer? Was Medien alles auslösen können, das war ihr da nicht bewusst.
Was dann folgte waren zahlreiche schlaflose Nächte. Drohanrufe – natürlich anonym – und Vorhaltungen per Facebook – ebenfalls anonym – sie, die Türkin, hätte dafür gesorgt, dass ein „anständiger Deutscher“ seinen Job verloren habe.
Um nicht wieder an die Vorkommnisse des Frühjahrs erinnert zu werden, verbrachte Aylin den Samstag, an dem der Herbst-Nachtflohmarkt veranstaltet wurde, in Hannover. Auch den kommenden Nachtflohmarkt wird sie nur aus der Ferne ertragen können.
Wer ist Opfer, wer Täter?
Wer hier Opfer und wer Täter war – der Leiter der Zoo-Lotterie wurde von der Tageszeitung nie mit Namen genannt – scheint in den Augen von Aylin in den vergangenen Monaten vollkommen durcheinander geraten zu sein.
Über Facebook erklärte die NOZ diesen Dienstag bei Was los in Osnabrück, „Es geht einfach nicht, dass eine Person einen Angestellten massiv beschuldigt und sich in der Anonymität „versteckt“. Doch wieso anonym? Die körperlich verletzte Aylin hatte ja selbst die Polizei gerufen. Von den Beamten wurde – wie bei jeder anderen Körperverletzung über die medial berichtet wird – der Name von Opfer und Beschuldigtem aufgenommen. Anonym ist sicher etwas anderes.
Ermittlungsakte liegt bei der Staatsanwaltschaft überhaupt nicht vor
Eine Tendenz vorgebend titelte die Tageszeitung am vergangenen Montag »Osnabrücker Zoolotterie-Leiter „völlig unschuldig“«.
Das „völlig unschuldig“ ist ein Ausschnitt aus einem dem Pressesprecher der Staatsanwaltschaft, Dr. Alexander Retemeyer zugeordneten Zitat: „Das Problem an dem Fall ist, dass nach den Angaben aller unbeteiligten Zeugen der Mitarbeiter der Zoolotterie völlig zu Unrecht beschuldigt worden ist“.
Doch ein wenig weiter unten schreibt auch der Kollege der NOZ, dass erst ein „(vorläufig) letzter Zeuge“ Gewissheit geben könne.
Unsere Redaktion hat am Dienstagvormittag bei der Staatsanwaltschaft nachgehakt, ob und wann denn der Zeuge „Thomas B“ seinem Wunsch gemäß von der Staatsanwaltschaft vorgeladen würde. Dazu konnte Oberstaatsanwalt Retemeyer überhaupt keine Aussage machen, die Akte, von der es keinerlei Kopien gibt, läge ihm überhaupt nicht vor…, die liegt wohl aktuell bei der Polizei.
Der mögliche Entlastungszeuge Thomas B. hat übrigens in einem Telefonat mit unserer Redaktion angekündigt, er wolle jetzt von sich aus Kontakt mit der Staatsanwaltschaft aufnehmen.