In einem Spiel, das zunächst gar nicht nach einem Auswärtssieg aussah, bestach der VfL letztendlich durch unfassbare, fast erschreckende Coolness und Cleverness. Die Lila-Weißen stehen nun nach sieben Spieltagen ungeschlagen auf Platz zwei und das ist keine einfache Sensation mehr, sondern eine Riesensensation ...
Vor dem Spiel
Nach der mit einem Sieg und zwei Unentschieden höchst erfreulich abgeschlossenen englischen Woche zeigten sich Trainer Marco Grote und Linksverteidiger Ken Reichel auf der virtuellen Pressekonferenz am Freitagmorgen ausgesprochen entspannt. „Wenn man erfolgreich spielt, lässt es sich leichter leben“, meinte Ken Reichel. Der VfL ist seit sechs Punktspielen unbesiegt, saisonübergreifend sogar seit neun, doch solch eine erfreuliche Bilanz werde für die 90 Minuten in Regensburg nicht viel helfen, ergänzte Grote und warnte vor der „galligen“ und temporeichen Spielweise der Regensburger.
Jahn-Trainer Mersad Selimbegović bemühte in einem kurzen Statement vor der Begegnung gleich mehrere Allgemeinplätze: „Wir schauen wirklich von Spiel zu Spiel. In dieser Liga gehen wir an keinem Wochenende als Favorit in das Spiel. Wir können jeden ärgern und wissen, welche Mittel wir dazu brauchen. Es wird eine schwierige Aufgabe für uns am Sonntag, aber wir sind fokussiert auf unser Spiel und ein Punktgewinn ist definitiv möglich.“
In der vergangenen Saison fielen die beiden Partien gegen den Jahn recht torreich aus. Erinnert sei nur an das verrückte Spiel vor fast genau einem Jahr am 01.11.2019 in Regensburg: Der VfL lag angezählt am Boden und machte aus einem 3:1 noch ein 3:3. In der Rückrunde hatte der VfL nach einem 0:2-Rückstand das Glück auf seiner Seite und holte noch ein 2:2. Die beiden Torschützen vom letzten Jahr (2x Heyer, 3x Álvarez) sind bekanntermaßen nicht mehr dabei, deren Verlust allerdings durch die Neuzugänge bislang kompensiert werden konnte, wenngleich Christian Santos wegen einer Oberschenkelzerrung immer noch ausfällt.
Ungeschlagen ist neben dem VfL nur noch der HSV und sollten die Hamburger morgen in Kiel nicht verlieren und der VfL in Regensburg gewinnen, dann wäre der VfL nach sieben Spieltagen auf dem zweiten Platz. Spoiler: Andererseits trennen den VfL vor dem heutigen Spiel nur drei Punkte von der Abstiegszone.
Beginn
Die Aufstellung bietet, schon wegen der verletzten Spieler, kaum Platz für Überraschungen. Etwas erstaunlich vielleicht dennoch, dass Engel für Reichel aufläuft. Bei den Regensburgern stehen gegenüber der Startaufstellung bei der 3:1-Niederlage in Paderborn Schneider und Wekesser für Hein und Caluskaner auf dem Rasen und für den unverhofft verletzten Torwart Alexander Meyer steht nun Kevin Kunz zwischen den Pfosten.
Anstoß haben bei diesigem Wetter und winterlichen Temperaturen um die drei Grad die Hausherren.
Der VfL von Anfang an unter Druck
Beide Mannschaften stören sich sehr früh beim Spielaufbau, sodass in den ersten Minuten der Partie kaum ein vernünftiger Spielfluss entsteht, was sich ab der achten Minute ändert, als Regensburg durch den schön im Strafraum frei gespielten Albers zu einer Chance kommt. Er zieht aus wenigen Metern von links auf das Tor, doch Kühn kann in gewohnter Manier klären.
Nur drei Minuten später fällt dann doch das 1:0: Albers springt nach einer Rechtsflanke von Heister höher als Beermann und Trapp und köpft vom Elfmeterpunkt aus unhaltbar ins Tor.
In der 22. Minute gibt es nach einem Foul von Nachreiner an Sebastian Kerk überraschend einen Elfmeter. Der Gefoulte verwandelt mit einem harten und platzierten Schuss unten rechts ins Eck zum in dieser Phase des Spiels recht glücklichen 1:1.
Nach dem 1:1 wird der VfL immer stärker und dreht sogar das Spiel
Dann gibt es in der 41. Minute gut 30 Meter vor dem Tor der Regensburger einen Freistoß für den VfL. Aus halblinker Position nimmt Kerk Anlauf und hämmert das Leder unhaltbar ins lange Eck. Ein Schuss wie ein Strich und womöglich eine Nominierung für das „Tor des Monats“ wert. Unfassbar, aber es steht 2:1 für den VfL.
In der letzten Minute verwandelt Kerk eine Ecke fast direkt, Kunz kann aber im letzten Moment am kurzen Pfosten klären. Das wäre auch des Guten zu viel gewesen.
Die Führung des VfL ist fraglos glücklich, dennoch ist beeindruckend, wie sich die Mannschaft durch nichts aus der Ruhe bringen lässt und auf ihre Chance wartet und sei es durch Standards. Die Regensburger waren bis dahin das aktivere Team mit den besseren Torgelegenheiten und dürften sich in der Halbzeitpause ein wenig darüber wundern, in Rückstand geraten zu sein.
Tipp: Die Halbzeitgedanken sind eine Melange aus Hintergrundinformationen und Kommentaren, die von Spiel zu Spiel mit dem jeweiligen Gegner aktualisiert werden. Wem das Lesen der Halbzeitgedanken zu mühselig ist: Ganz einfach weiter nach unten scrollen, dort geht es dann mit dem aktuellen Spielbericht weiter.Halbzeitgedanken: Abwegige Halbzeitgedanken: Völlig abwegige Halbzeitgedanken: |
Der VfL wechselt zur zweiten Hälfte
Maurice Multhaup kommt für den angeschlagenen Luc Ihorst ins Team. Regensburg bleibt vorerst unverändert und übernimmt wie schon zu Beginn der ersten Halbzeit die Regie, wobei sich der VfL trotz einiger unnötiger Ballverluste nicht mehr so leicht wie im ersten Durchgang überrumpeln lässt. Das Spiel ist in dieser Phase nicht sehr attraktiv, aber wen stört das schon bei dem Spielstand?
Nach einer Stunde Spielzeit …
… gewinnt der VfL zwar immer mehr die Kontrolle über das Spiel, die etwas gefährlicheren Aktionen kommen aber zunächst von den Regensburgern. Dann aber startet der VfL einen großartigen Angriff über rechts. Reis erkämpft sich den Ball, setzt geschickt den mitgelaufenen Multhaup ein, der auf den im Strafraum bereit stehenden Amenyido flankt, der seinerseits das Leder mühelos ins Regensburger Tor versenkt.
Es steht tatsächlich 3:1 für den VfL!
Die Ereignisse überschlagen sich …
In der 72. Minute wird Kerk von Heister gefoult. Elfmeter. Und wer schießt den? Natürlich der Mann des Spiels: Sebastian Kerk. Wieder verwandelt er unhaltbar neben dem rechten Innenpfosten. Es steht 4:1 und das Spiel scheint gelaufen.
Doch dann wird ein Schuss von Stolze abgefälscht, von Caliskaner springt der Ball an Kühn vorbei zu Opoku, der ohne Mühe das 2:4 erzielt.
Geht nun das große Zittern los?
Ja, aber nur kurz, denn in der 77. Minute kann Regensburg einen Handelfmeter nicht verwandeln: Kühn pariert den von Besuschkow nicht sehr hart geschossenen Ball souverän.
Fazit:
Der VfL erreicht in einem nur wenig attraktiven Spiel letztendlich einen verdienten Sieg. Verdient vor allem wegen einer Leistungssteigerung in der zweiten Hälfte und der fast erschreckenden Coolness, die die Mannschaft an den Tag legt.
Der VfL steht tatsächlich auf Platz zwei und hat nun Zeit, sich bis zum 23.11. zu regenerieren, wenn es gegen den 1. FC Nürnberg darum geht, erneut drei Punkte einzufahren. Zuzutrauen ist dieser Truppe mittlerweile alles.
Zahlen, Daten & FaktenZuschauer: keine (bis auf ein paar „Offiziellen“) Tore: Gelbe Karten: Jahn Regensburg: VfL Osnabrück: Schiedsrichter: Timo Gerach (Landau) Statistik: Insgesamt trafen die beiden Vereine nun fünfzehnmal aufeinander, die Bilanz sieht für den VfL bei sieben Siegen, fünf Unentschieden und drei Niederlagen positiv aus. |
Tabellarisches
Vor diesem Spiel stand der VfL mit einer Durchschnittsnote von 3,05 zurecht auf dem zweiten Platz der Kicker-Formtabelle, die Regensburger auf dem siebten. Tatsächlich spielte der VfL als Vierter des sechsten Spieltags gegen den Tabellensiebten aus Regensburg.
Die aktuelle Tabelle:
Titelfoto: Torjubel nach dem 1:2 gegen den SSV Jahn Regensburg, Foto: imago images / Passion2Press
Kalla Wefels Saisonrückblick 2019/20 erschien im aufwändigen A-4-Format und ist unter anderem bei Bücher Wenner erhältlich. Dietrich Schulze-Marmelingschreibt in seinem Vorwort: “Herausgekommen ist ein großartiges Saisonbuch. Eigentlich ist es weit mehr als das …” Um die Spielberichte herum ranken sich Reportagen, “Halbzeitgedanken”, Hintergrundberichte, Fankommentare und Kolumnen.
160 Seiten A-4-Format / 12,00 €
Kalla saß mit zwei Jahren zum ersten Mal auf der Trainerbank des VfL, und zwar auf dem Schoß seines Vaters „Doc“ Wefel, der 34 Jahre lang Mannschaftsarzt und Vorstandsmitglied war.
Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, Jupp Heynkes, Gerd Müller, Paul Breitner, Lothar Matthäus, Diego Maradona und Kalla Wefel hatten denselben Fußballtrainer, nämlich Udo Lattek, der einst bei Familie Wefel ein und aus ging. Diese und viele weitere skurrile, heitere und ernste Geschichten und Anekdoten um den VfL lassen sich in seinen Büchern „Mein VAU-EFF-ELL!“ und „111 Gründe, den VfL Osnabrück zu lieben“ nachlesen. Die von ihm 2010 mit viel Aufwand produzierte CD „Wir sind der VfL“ wurde 5.000 mal verkauft und der komplette Erlös (etwa 30.000 €) ging an terre des hommes. Seine VfL-Heimatabende sind legendär. Mit „Kär, Kär, Kär!“ schrieb er das nach der Bibel und „Mein Kampf“ meistverkaufte Buch Osnabrücks. Mit “Der VfL in der Saison 2019/20” hat er ein neues Format entwickelt, das von nun an jährlich erscheinen soll. Seit über vierzig Jahren arbeitet er professionell als Journalist und Buchautor sowie als Kabarettist und Musiker.