Dass der VfL beim FC St. Pauli am Ende als glücklicher Sieger vom Platz ging, war bis zur 86 . Minute nicht einmal ansatzweise zu erahnen, denn die Hamburger stellten das bessere und überlegene Team, sind aber am Ende selbst schuld, da sie hochkarätige Chancen nicht nutzten. Bei allem Mitleid: Dem VfL kann das nur recht sein.
Erste Halbzeitgedanken vor dem Spiel
Während sich Trainer Grote auf der PK vor dem Spiel angenehm unaufgeregt und zufrieden über die Trainingsmöglichkeiten an der Illoshöhe ausließ, ist man beim VfL offenbar noch immer auf der Suche nach etwas Besserem. Es stellt sich die Frage, wie ein Aufstieg in die zweite Liga und der anschließende Klassenerhalt trotz dieser vermeintlich schlechten Bedingungen überhaupt möglich gewesen sein konnte.
Und Benjamin Schmedes fordert in diesem Zusammenhang in einem Interview ein klares Bekenntnis von Politik und Wirtschaft zum VfL. Vielleicht sollte Benjamin Schmedes seinerseits mit einem seit Monaten fälligen klaren Bekenntnis zum VfL beginnen, das wäre ja mal ein Zeichen an Politik und Wirtschaft oder an wen auch immer.
Noch immer vor dem Spiel
Die letzte Partie gegen den FC St. Pauli endete am 01.03.2020 am Millerntor 3:1 für die überlegenen Gastgeber und ist seither auch das letzte Auswärtsspiel, das der VfL verloren hat und hoffentlich bleibt es dabei. St. Pauli tut sich diese Saison mit einer völlig umgekrempelten Mannschaft schwer und belegt den vorletzten Tabellenplatz. Der VfL hat heute die Chance, die wirklich miserable Leistung gegen die Nürnberger vergessen zu lassen.
Ein Nordderby im zweitschönsten Stadion der Liga vor leeren Rängen ist ein einziges Trauerspiel, ganz unabhängig davon, wer gewinnt: Der Fußball hat schon verloren. Und so begann mein Bericht am 1. März: „Schon vor dem Spiel großartige Stimmung im Stadion. Fairerweise erklang die VfL-Hymne in voller Länge und die gut gefüllte Gästekurve sang aus voller Kehle, wobei es keinerlei Störmanöver seitens der Pauli-Fans gab, die ihrerseits ihre Derbyhelden mit einer großartigen Choreographie und Regenbögen aus Konfettikanonen begrüßten.“
Und nun? Eine Stimmung wie beim Karneval in Kattenvenne Süd.
Kurz vor dem Spiel
Auf die Startfelf darf man dennoch ein wenig gespannt sein, auch wenn Santos und Heider immer noch nicht einsatzfähig sind. Trainer Grote verändert gegenüber der 1:4 Niederlage gegen den FCN die Startelf gleich auf drei Positionen. Ihorst kommt für Multhaup, Wolze für Reichel und Gugganig für Reis. Bei St. Pauli steht nach der 0:2-Niederlage gegen Paderborn Benatelli für Dittgen auf dem Platz und Ziereis übernimmt die Kapitänsrolle für den verletzten Avevor.
Beginn …
Die Geister der Tristesse können auch die Hells Bells nicht vertreiben, jene St.-Pauli-Einlaufmusik von AC/DC, die sonst für so unvergessliche Gänsehautmomente sorgt. Schiedsrichter ist der Freiburger Dr. Jöllenbeck.
Anstoß hat der komplett in gelber Signalfarbe angetretene VfL. Auf beiden Seiten zunächst ein etwas hektischer Beginn. Der VfL stört zwar früh, dennoch kommen die Paulianer zu ersten kleineren, allerdings nicht zwingenden Chancen.
In der 10. Minute ein Warnschuss aus 12 Metern von Finn Ole Becker, der nur knapp rechts am Tor vorbeigeht.
St. Pauli mit viel Biss
Die Gastgeber sind nach der Hälfte der ersten Halbzeit das sehr viel aktivere Team und die Osnabrücker Abwehr um Timo Beermann herum musste bereits einige Male in höchster Not klären.
Der VfL ist zu weit vom Gegner entfernt und setzt kaum Akzente im Spiel nach vorn. Symptomatisch Kerks hohe Freistoßflanke in der 27. Minute, die aus 30 Metern ungehindert in den Armen von Himmelmann landet.
St. Pauli bestimmt das Spiel, greift früh an und kommt immer wieder zu halbgaren Chancen. In der 39. Minute setzt Buballa auf dem linken Flügel Kyereh ein, dessen Flanke von Makienok aus etwa elf Metern ohne viel Federlesens aufs Tor geschossen wird. Kühn kann die bislang größte Chance des Spiel entschärfen.
Halbzeitfazit:
Der VfL war während des gesamten Verlaufs der ersten Halbzeit das schwächere Team. Die Abwehr steht zwar recht gut, aber ein geordneter Spielaufbau oder offensive Aktionen sind eher Zufallsprodukte. St. Pauli hätte eine Führung verdient gehabt.
Tipp: Die Halbzeitgedanken, eine Melange aus Hintergrundinformation und Kommentar, erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Sie fallen hin und wieder recht knapp, manchmal aber auch sehr ausführlich aus. Wem das Lesen der Halbzeitgedanken zu mühselig ist: Ganz einfach weiter nach unten scrollen, dort geht es dann mit dem aktuellen Spielbericht weiter.Halbzeitgedanken: Nicht ganz abwegige Halbzeitgedanken: Nostalgische Halbzeitgedanken 1: Nostalgische Halbzeitgedanken 2: |
Beide Teams gehen unverändert in die zweite Hälfte …
… doch der VfL hat sich offenbar entschlossen, offensiver aufzutreten und wieder etwas mehr Fußball zu spielen, denn die ersten Minuten gehören den Osnabrückern, aber St. Pauli scheint nicht gewillt zu sein, sich das Heft aus der Hand nehmen zu lassen.
In der 51. lässt Lankfort Taffertshofer stehen und, statt wie erwartet zu flanken, chippt er den Ball aus spitzem Winkel auf die Latte. Nur drei Minuten später spielt Kyereh über links Makienok an, der mit seinem guten Schuss an Kühn scheitert. Die vielleicht größte Chance bislang nach einer Stunde Spielzeit.
In der 60. Minute wechselt der VfL: Henning für Reis und Blacha für Taffertshofer. Vielleicht kommt so mehr Zug ins Mittelfeld und in den Angriff.
St. Pauli will das Tor …
Nach einem Gelbfoul von Beermann gibt es einen Freistoß auf etwa 10 Meter Höhe am linken Strafraumrand. Sicherlich rechneten alle mit einer Flanke, doch Zalazar zieht mit voller Wucht direkt aufs kurze Eck und Kühn kann den Ball mit beiden Fäusten zur Ecke klären. Kurz darauf kommt Schmidt für den etwas enttäuschenden Kerk ins Spiel und das Angriffsspiel scheint sich zumindest kurzfristig ein wenig zu verbessern.
St. Pauli greift fast unentwegt an, doch bringen die Hamburger den Ball einfach nicht über die Linie.
… und der VfL macht es
Gugganig lässt vier Minuten vor dem Ende zwei, drei Gegenspielern stehen und spielt Amenyido an, der sich an mehreren Paulianern vorbei in den Strafraum dribbelt und aus etwa 14 Metern aus halbrechter Position abzieht. Himmelmanns Fußabwehr landet direkt vor Blacha, der den Ball nur noch über die Linie zu drücken braucht.
Das Spiel ist damit auf den Kopf gestellt. St. Pauli will natürlich noch den Ausgleich, aber der VfL rettet den Sieg über die Zeit und hat in der letzten Minute noch einmal Riesenglück, als Makienok frei vor dem Tor den Ball über die Latte köpft.
Die Plattitüden vom „dreckigen Sieg“ und „dass es am Ende der Saison niemanden interessiert, woher die Punkte kommen“ werden nun überall die Runde machen und sei es nur, um nicht zugeben zu müssen, dass der Sieg unverdient war.
Fazit
Mit unfassbar viel Glück gewonnen, aber eben gewonnen. Der VfL steht auf Platz zwei, und das ist am Ende tatsächlich das, was zählt. Es war ganz einfach ein mieses Spiel, das die schlechtere der beiden Mannschaften gewonnen hat. Man ist fast geneigt zu sagen, wer solche Spiele gewinnt, der steigt auch auf. Nein, das waren zunächst einmal drei Punkte gegen den Abstieg und so hat sich die Fahrt in jeder Hinsicht für mich gelohnt, zumal das Mittagessen bei meiner Tochter in Altona erstligareif war.
Zahlen, Daten & FaktenZuschauer: im Gegensatz zum letzten Spiel, wo 29.546 Zuschauer, davon allein etwa 4.000 aus Osnabrück, dabei waren, verloren sich im Stadion nur noch die wenigen Offziellen und Medienvertreter, die derzeit zugelassen sind. Tore: Gelbe Karten: FC St. Pauli: VfL Osnabrück: Schiedsrichter: Matthias Jöllenbeck (Freiburg) |
Tabellarisches
Vor diesem Spiel stand der VfL mit einer Durchschnittsnote von 3,18 noch immer auf dem zweiten Platz der Kicker-Formtabelle, obwohl er nach dem Auftritt gegen den FCN reichlich Federn lassen musste, St. Pauli mit der Note 3,81 auf dem vorletzten Platz wie in der realen Tabelle. Tatsächlich spielte der VfL als Sechster des achten Spieltags also gegen den Tabellensiebzehnten aus Hamburg.
Die aktuelle Tabelle:
Titelfoto: Simon Makienak (FC St. Pauli) – Maurice Trapp, Foto: imago images / Torsten Helmke
Kalla Wefels Saisonrückblick 2019/20 erschien im aufwändigen A-4-Format und ist unter anderem bei Bücher Wenner erhältlich. Dietrich Schulze-Marmelingschreibt in seinem Vorwort: “Herausgekommen ist ein großartiges Saisonbuch. Eigentlich ist es weit mehr als das …” Um die Spielberichte herum ranken sich Reportagen, “Halbzeitgedanken”, Hintergrundberichte, Fankommentare und Kolumnen.
160 Seiten A-4-Format / 12,00 €
Kalla saß mit zwei Jahren zum ersten Mal auf der Trainerbank des VfL, und zwar auf dem Schoß seines Vaters „Doc“ Wefel, der 34 Jahre lang Mannschaftsarzt und Vorstandsmitglied war.
Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, Jupp Heynkes, Gerd Müller, Paul Breitner, Lothar Matthäus, Diego Maradona und Kalla Wefel hatten denselben Fußballtrainer, nämlich Udo Lattek, der einst bei Familie Wefel ein und aus ging. Diese und viele weitere skurrile, heitere und ernste Geschichten und Anekdoten um den VfL lassen sich in seinen Büchern „Mein VAU-EFF-ELL!“ und „111 Gründe, den VfL Osnabrück zu lieben“ nachlesen. Die von ihm 2010 mit viel Aufwand produzierte CD „Wir sind der VfL“ wurde 5.000 mal verkauft und der komplette Erlös (etwa 30.000 €) ging an terre des hommes. Seine VfL-Heimatabende sind legendär. Mit „Kär, Kär, Kär!“ schrieb er das nach der Bibel und „Mein Kampf“ meistverkaufte Buch Osnabrücks. Mit “Der VfL in der Saison 2019/20” hat er ein neues Format entwickelt, das von nun an jährlich erscheinen soll. Seit über vierzig Jahren arbeitet er professionell als Journalist und Buchautor sowie als Kabarettist und Musiker.