Berlin (dts Nachrichtenagentur) – Die Bundesregierung ist offenbar nicht ausreichend auf neue Pandemien und andere Katastrophenlagen vorbereitet. Wie das Gesundheitsministerium der „Welt am Sonntag“ auf Anfrage mitteilte, wurden die Ziele beim Aufbau der dafür vorgesehenen Nationalen Reserve Gesundheitsschutz (NRGS) verfehlt.
Diese war im Juni 2020 noch von der schwarz-roten Regierung beschlossen worden. Sie soll sicherstellen, dass Deutschland in Notlagen etwa bei Masken und Medikamenten nicht mehr von überteuerten Lieferungen aus dem Ausland abhängig ist. Vorgesehen war ein mehrstufiger Plan: Im ersten Schritt sollten Masken und Schutzausrüstung bevorratet werden, die aus der Pandemiezeit übrig geblieben sind, im zweiten Schritt sollte die Reserve mit Gütern wie Arzneimitteln und Medizinprodukten aufgestockt werden, produziert von hiesigen Unternehmen. Die Menge muss demnach ausreichen, um den Gesundheitssektor einen Monat lang zu versorgen.
In der dritten Phase, die für 2023 geplant war, sollte der Dauerbetrieb beginnen, und fortan sollten Produktionskapazitäten für ein halbes Jahr vorgehalten werden. Doch nach fast drei Jahren befindet sich der Aufbau der Reserve nach Angaben des Hauses von Minister Karl Lauterbach (SPD) noch immer in Phase eins. „Für die Phasen zwei und drei wurden bislang keine Haushaltsmittel für die weitere Konzeptionierung sowie mögliche Beschaffungen zugewiesen“, teilte ein Sprecher mit. Bisher seien 245 Millionen Masken eingelagert, die zu Beginn der Pandemie beschafft wurden und bis Ende 2023 haltbar sind, zum Teil auch bis zum Jahr 2026.
Dass der Aufbau der Reserve nicht weiter fortgeschritten ist, verwundert. Das Ministerium hatte bereits 2021, damals unter Ressortchef Jens Spahn (CDU), knapp 750 Millionen Euro in Phase eins für das Programm ausgegeben. Das geht nach Recherchen der „Welt am Sonntag“ aus der Haushaltsrechnung des Bundes hervor. Ob und was bislang über Schutzmasken hinaus bevorratet wird, will das Ministerium allerdings nicht mitteilen.
Der Sprecher erklärte lediglich, die Reserve sei noch nicht vollständig angelegt, weil benötigtes zusätzliches Geld fehle: „Das Bundesministerium für Gesundheit hatte für die Jahre 2022 sowie 2023 jeweils 250 Millionen Euro an Haushaltsmitteln angemeldet sowie für die Folgejahre ab 2024 ff. jeweils 50 Millionen Euro.“ Diese Mittel seien „für die Warenbevorratung sowie das Vorhalten von Produktionskapazitäten und Warenneuproduktion“ vorgesehen. Das Bundesfinanzministerium habe aber die Freigabe im Oktober 2022 abgelehnt. Im Hause von Finanzminister Christian Lindner (FDP) weist man die Verantwortung zurück: Den Ressorts stehe es im Zuge der Haushaltsaufstellung grundsätzlich frei, „entsprechende Prioritäten zu setzen“.
Vom Technischen Hilfswerk, das drei NRGS-Lager betreibt, ist nur zu erfahren: Anfang 2021 wurden für den Aufbau der Logistikzentren 42 Millionen Euro bereitgestellt. Der gesundheitspolitische Sprecher der Union im Bundestag, Tino Sorge (CDU), findet es ein „Armutszeugnis, dass sich die Ampel in dieser Frage offensichtlich wieder selbst blockiert“. Er fordert dringend Aufklärung darüber, wofür die 750 Millionen Euro ausgegeben wurden. „Für Karl Lauterbach steht die nächste Pandemie oft schon vor der Tür, gleichzeitig kümmert er sich aber viel zu wenig um die nötige Vorsorge.“
Die Bundesregierung habe mittelständische Firmen animiert, eine inländische Produktion aufzubauen. Nun blieben die in Aussicht gestellten Aufträge aus. „Bei der nächsten Krise werden wir die Schutzausrüstung wieder aus China einkaufen“, so Sorge. Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, hält es für „komplett fahrlässig, die Prävention wieder links liegenzulassen“.
Mit Blick auf die Absage des FDP-geführten Finanzministeriums sagte Vogler, die Kanzlerpartei SPD lasse sich beständig „vom kleinsten Koalitionspartner am Nasenring durch die Manege führen“. Karsten Klein, FDP-Obmann im Haushaltsausschuss, mahnte indes zur Zurückhaltung. Bevor Gelder für die nächste Phase des Aufbaus der Reserve Gesundheitsschutz bereitgestellt würden, sei „zuerst der Bedarf zu ermitteln“, und es seien „Alternativen zu einer physischen Bevorratung zu prüfen“. Im Übrigen liege die primäre Zuständigkeit für den Katastrophenschutz nicht beim Bund, sondern bei den Ländern.
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