Innerhalb der Zählgemeinschaft von CDU und dem Bund Osnabrücker Bürger (BOB) knirscht es; Hintergrund sind die sich auch auf die Lokalpolitik ausweitenden Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona/Covid-19 Virus.
Auch die Linkspartei und die Liberalen melden Bedenken gegen eine Entmachtung der kleinen Parteien und den Ausschluss der Öffentlichkeit an. Kommentar am Ende des Artikels.
Die CDU Ratsfraktion kündigte in der vergangenen Woche an, dass es in der Ratssitzung am 21. April “Beschlüsse zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Stadt in den nächsten drei Monaten” geben werde. Im Kern bedeutet dies: Auf Fach- und Betriebsausschusssitzungen solle nach Möglichkeit verzichtet werden. Jederzeit könnte aber der zuständige Vorstand gemeinsam mit den Ausschussvorsitzenden entscheiden, eine Sitzung stattfinden zu lassen, “wenn es sehr wichtige und dringliche Fragen gebe”. Ansonsten gingen die Vorlagen direkt in den Verwaltungsausschuss bzw. in den Rat.
Kann nur ein geheimer Ausschuss die Handlungsfähigkeit der Stadt sicherstellen?
Dr. Fritz Brickwedde, Fraktionsvorsitzender der CDU, begründet die Maßnahme damit, dass so die Beschluss- und Handlungsfähigkeit der Stadt verlässlich sichergestellt und die Handlungsspielräume der Verwaltung gestärkt werde. Daher solle der [nicht-öffentlich tagende] Verwaltungsausschuss (VA) als zweithöchstes Gremium der Stadt eine wichtigere Rolle übernehmen.
Brickwedde: „Es ist leichter, ein Gremium mit elf Mitgliedern einzuberufen und seine Beschlussfähigkeit zu sichern als eines mit 51 Mitgliedern.“
Für die zehn Vertreter der Fraktionen im VA gebe es auch zehn Vertreter, so dass auch bei einer Ausweitung der Infektionsfälle der VA in seiner Stabilität nicht gefährdet sei.
BOB sieht demokratische Mechanismen in Gefahr
Dr. Ralph Lübbe von BOB hält dem entgegen: „Wir sehen die Handlungsfähigkeit der Stadt aufgrund bestehender gesetzlicher Regelungen nicht in Gefahr. Die Reglungen in der Kommunalverfassung, Gesetzen und Satzungen greifen doch jetzt schon. In Fällen, in denen es z.B. um unaufschiebbare Angelegenheiten geht und in denen die vorherige Entscheidung der Vertretung nicht eingeholt werden kann, entscheidet bereits nach bestehender Rechtslage der VA in Form einer Eilentscheidung (§ 89 NKomVG).“
In einer Pressemitteilung stellt der BOB die Frage: “Dürfen zum Schutz der Gesundheit der Ratsmitglieder bzw. Verwaltungsmitarbeiter, Teile der demokratischen Mechanismen – ohne Alternativen zu erwägen – auf der Strecke bleiben, so wie es jetzt von den großen Parteien und dem Vorstand als Kollateralschaden durch Corona hingenommen wird?”
Ausweichen in die OsnabrückHalle als Alternative?
Ähnlich wie die Osnabrücker Linkspartei, die eine Verlegung der Sitzungen in größere Räumlichkeiten, zum Beispiel die OsnabrückHalle vorgeschlagen hat, fordert auch der Bund Osnabrücker Bürger “konkrete Maßnahmen zur Risikominimierung abzustimmen, statt Kompetenzen der gewählten Ratsmitglieder zu beschneiden”.
FDP wähnt einen “Anschlag auf unser Demokratieverständnis”
Auf Nachfrage unserer Redaktion bezog auch Dr. Thomas Thiele (FDP) Stellung. Der Fraktionsvorsitzende der FDP nennt die Angelegenheit “ein Anschlag auf unser Demokratieverständnis” und hält die von den großen Parteien geplanten Maßnahmen für “demokratisch Null akzeptabel”.
Kommentar des Redakteurs
Es ist ja nicht nur das Verschieben von Kompetenzen einfach nur in ein anderes Gremium, den Verwaltungsausschuss (VA), in dem die kleineren Parteien weder Sitz noch Stimme haben, es ist auch die Art und Weise wie dieser Verwaltungsausschuss tagt: Geheim und unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Es steht zu befürchten, dass unter dem Deckmantel der Corona-Krise zahlreiche Maßnahmen, die dringend einer öffentlichen Kontrolle bedürfen – von der Verkehrspolitik bis zu einzelnen Bebauungsplänen – “durchgezogen” und die Öffentlichkeit und die kleinen Parteien zu Zaungästen degradiert werden.
Gerade in und nach der Corona-Krise werden aber Entscheidungen zu treffen sein, die alle Bürger angehen und die nicht ohne eine breite öffentliche Debatte getroffen werden dürfen – auch im Interesse der großen Parteien.
Was tun, wenn der VfL (wie aktuell jeder zweite Club der 2. Bundesliga) in die Nähe einer Insolvenz rutscht; oder sich dort bereits befindet? Wer stoppt die Pläne zur Theatersanierung oder spricht sich dafür aus, dass schon vor Corona umstrittene 80 Millionenprojekt auch in Zeiten zukünftig angespannterer Kassenlage noch fortzuführen? Wie kann der Zoo gerettet werden? Wie geht es weiter mit den Kitas und wie wird der öffentliche Nahverkehr im Sommer weitergeführt? Diese und noch viele andere Themen stehen schon bald auf der Agenda und dürfen nicht in Hinterzimmern diskutiert und entschieden werden!
Die großen Fraktionen sollten selbst erkennen, dass sie mit einer Entscheidung für undemokratische Prozesse nicht einfach sich selbst für ein paar Wochen wichtiger machen und den als ärgerlich wahrgenommenen kleinen Parteien kurzfristig einen Dämpfer verpassen – das Gegenteil ist mittelfristig der Fall.
Am Ende könnten solche Ermächtigungsfantasien den Weg für populistische Kräfte bereiten, die nach der kommenden Kommunalwahl dann wirklich alle demokratischen Prozesse außer Kraft setzen wollen. Zumindest werden diese Kräfte einen solchen demokratischen Sündenfall zu nutzen wissen, um auf die doch nicht so demokratisch agierenden großen Parteien zu zeigen – Corona hin oder her.
Der Rat der Stadt wurde in seiner Zusammensetzung gewählt wie er ist, und so muss er auch in Krisenzeiten tagen. Und die Öffentlichkeit hat das unter keinen Umständen zur Diskussion stehende Recht an allen Entscheidungen zumindest als Beobachter beteiligt zu sein!
Möglichkeiten gibt es viele, von der Verlegung in einen größeren Saal bis hin zu Videokonferenzen – denkt Euch was aus; in großen Unternehmen funktioniert das schließlich auch.
Und wo wir gerade bei “Möglichkeiten” sind. Es sollte auch möglich sein darüber nachzudenken in diesem Jahr die übliche Sommerpause des Stadtrates und der Ausschüsse ausfallen zu lassen. Es gibt genügend zu debattieren und zu entscheiden. Wollen unsere Lokalpolitiker in diesem Jahr wirklich von Juni bis September auf (öffentliche) Sitzungen verzichten?