Der HSV kann seit dem Mauerfall in Osnabrück nur noch verlieren.
In einem turbulenten, stets spannenden und in einem der denkwürdigsten Spiele, das die Bremer Brücke je gesehen hat, erlebte der HSV seinen „Black Friday“ und der VfL einen seiner „Fridays for Future“. Und das Publikum feiert immer noch, denn „gegen Osna kann man mal verlieren!“
Tatsächlich fand heute nach 57 Jahren das erste gemeinsame Punktspiel der beiden ersten Mannschaften seit dem 16.12.1962 statt, das der VfL damals zu Hause 1:3 verloren hatte. Dass der Autor dieser Zeilen an jenem Tag als aktiver Spieler auf dem Rasen der Kampfbahn Bremer Brücke teilgenommen hat, wird in den Halbzeitgedanken erklärt.
Vor dem Spiel
Nach der großartigen Leistung beim 1:1 in Bochum war der VfL bereits seit fünf Spielen hintereinander ungeschlagen, wobei neben vier Unentschieden der einzige Dreier ausgerechnet gegen Bundesligaabsteiger VfB Stuttgart geholt wurde.
Laut Kickerformtabelle war der VfL mal wieder Favorit: der Zweite gegen den Vierten (HSV), was sich nach dem Spiel bestätigte, auch wenn tatsächlich der Elfte gegen den Tabellenführer aus Hamburg antrat. Beide Teams trennten vor dem Spiel sage und schreibe zwölf Punkte, nach dem Spiel nur noch neun, und der VfL verfügt nun wieder allein über die beste Abwehr der Liga.
Das Stadion war schon seit Wochen ausverkauft. Bis auf die Sitzplatztribünen waren die West- und Ostkurve samt Affenfelsen bereits eine gute halbe Stunde vor Anpfiff bis zum Anschlag gefüllt.
Beginn
Gegenüber der Aufstellung beim VfL Bochum standen van Aken und Blacha für Köhler und Granatowski in der Startelf.
Beide Teams begannen verhaltener als der Anhang, der auf beiden Seiten für einen gehörigen Lärmpegel sorgte, wobei der VfL zunächst die Initiative auf dem Feld übernahm. Einen Freistoß von Kittel (8.) kann Kühn in gewohnt souveräner Manier zur Ecke abwehren. Der HSV kam nun etwas besser ins Spiel, doch ließ sich der VfL nicht beirren.
In der 17. Minute trifft Fein den Ball in aussichtsreicher Position nicht richtig und sein verunglückter Schuss bedeutet für Kühn kein Problem.
Der HSV wurde stärker … der VfL wurde aber noch stärker …
Fast das 1:0 für den HSV. Leibold spielt Harnik frei, dessen geschlenzter Ball knallt gegen den linken Pfosten. Der VfL geriet nun zusehends unter Druck und die spielerische Überlegenheit der Hamburger trat etwas deutlicher zutage, doch noch hielt die VfL-Abwehr stand.
Nach einer guten halben Stunde endlich wieder ein verheißungsvoller VfL-Angriff: Schmidt wird vor dem Sechzehner angespielt und zieht ab, Heuer Hernandes kann klären.
Kurz darauf tanzt der überragende Niklas Schmidt die gesamte HSV-Abwehr aus und versenkt den Ball unter Heuer Fernandes hindurch zum 1:0. Man fühlte sich an das betörende 2:0 erinnert, das Ansgar Brinkmann 2001 bei St. Pauli erzielt hatte.
Die Brücke wurde zum Tollhaus.
Einen Schuss von Narey in der 42. Minute klärt der grandiose Kühn und das Stadion dankt es ihm mit „Kühn, Kühn, Kühn!“-Rufen. Zwei Minuten später zieht Schmidt erneut aus 18 Metern ab, der Ball streift knapp am linken Pfosten vorbei.
Dann das unfassbare 2:0 für den VfL! Der von Ajdini hervorragend angespielte Álvarez setzt sich auf dem rechten Flügel durch und flankt in den Strafraum. Agu köpft den Ball in die Mitte des Torraums, dort steht Blacha wie bestellt und kann den Ball ebenfalls per Kopf über die Linie drücken.
Nun wurde aus dem „Tollhaus“, wie es einst mein Kumpel Sven-Oliver Petersen beschrieb, ein „Tollerhaus“. Solche Spiele, solch eine Stimmung gibt es nur an der Brücke.
Halbzeitfazit:
Nach ausgeglichenem Beginn übernahmen zunächst die Hamburger die Regie und waren dem 1:0 näher als der VfL. Dann brachten eine typische Einzelaktion von Niklas Schmidt und ein prima ausgespielter Angriff des VfL die in dieser Höhe etwas glückliche, aber nicht einmal unverdiente 2:0-Führung.
Halbzeitgedanken:Den HSV gibt es mitsamt seinen Vorgängervereinen seit 1887. Der HSV hat heute fast 90.000 Mitglieder und die Stadt etwa 1.850.000 Einwohner, davon gehören knapp 45% einer Glaubensgemeinschaft an, über 55% leben selbstbestimmt und glauben lieber an sich selbst. Abwegige Halbzeitgedanken:Am 16.12.1962 fand das letzte gemeinsame Punktspiel beider Clubs statt. Ich war vor 57 Jahren elf Jahre alt und durfte mit der VfL-Knabenmannschaft das Vorspiel bestreiten. Es gibt Dinge, die vergisst man in seinem Leben nicht, dazu gehört dieses Spiel aus zwei Gründen: Gar nicht mal so abwegige Halbzeitgedanken:„Uwe, Uwe, Uwe!“ Noch mehr gar nicht mal so abwegige Halbzeitgedanken:Da ich 31 Jahre in Hamburg gelebt habe, fallen mir viel zu viele abwegige Halbzeitgedanken ein. Andererseits spielt der VfL in den nächsten Jahren vermutlich noch etliche Male gegen Hamburger Mannschaften, also bedarf es keiner Eile. |
Der HSV wechselt gleich zweimal zur Halbzeit
Während Daniel Thioune keinen Grund für einen Wechsel sah, brachte Dieter Hecking Kinsomni für Moritz und Jairo für Wood.
Nach zögerlichem Beginn versuchte der HSV den VfL zunächst vor dem Sechzehner einzuschnüren. Der gewohnt glänzend aufgelegte Kühn lenkte eine Granate von Jairo um den Pfosten. Dann in der 64. Minute dennoch das 2:1 – Kittel wird von Fein am Sechzehner angespielt und hat keine Mühe, den Ball links im Tor unhaltbar zu versenken.
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Der HSV übernahm zwar das Kommando, doch der VfL stand auf der Brücke
Das Publikum erkannte den Ernst der Lage und feuerte den VfL nun mit stehenden Ovationen praktisch ununterbrochen an.
In der 75. Minute dann ein heilloses Durcheinander vor dem Hamburger Tor und fast das 3:1. Jede erfolgreiche Balleroberung, jede geglückte Verteidigungsaktion wurde jetzt von den Fans frenetisch bejubelt. Der HSV war zwar stets gefährlich, doch schien der VfL in der Schlussphase, die nun zu einem offenen Schlagabtausch wurde, einem Tor näher zu sein als der Bundesligabsteiger.
Und immer wieder „Kühn, Kühn, Kühn!“
In der 89. Minute wieder eine Riesenchance für den VfL, doch Heuer Fernandes klärt Heiders Schuss aus kurzer Distanz mit einem irren Reflex. Die letzten Minuten schrie das Publikum den VfL zum verdienten Erfolg.
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Fazit
Eine aufopferungsvoll kämpfende und auch spielerisch enorm starke VfL-Mannschaft ließ sich nach dem Anschlusstreffer des HSV nicht beirren und hielt in einer unfassbar spannenden Partie bis zum Schlusspfiff das verdiente 2:1 und war dank ihrer offensiven Verteidigung einem 3:1 immer näher als der HSV einem 2:2.
Es ist schon fast zur Gewohnheit geworden, Kühn als Spieler des Tages zu bezeichnen, doch dieses Mal war die ganze Mannschaft „Spieler des Tages“!
Der VfL ist nun seit sage und schreibe sechs Spielen ungeschlagen (und die Statistik ist in der Hektik plötzlich verschwunden, wird aber nachgereicht).
Ich muss mich jetzt erst einmal sammeln und bleibe noch – wie alle Osnabrücker Zuschauer – ein wenig im Stadion. Einfach so, um diesen wunderbaren Abend zu genießen, den uns niemand mehr nehmen kann.
Und wer nicht dabei war, dem kann ich nur „gut zufrieden“ auf Osnabrückisch zurufen: „Selbst inne schuld“
Zahlen, Daten & FaktenZuschauer: 15.800, davon etwa 1.600 aus Hamburg. VfL Osnabrück: Kühn – Ajdini, Heyer, van Aken, Agu – Taffertshofer, Susac, Schmidt (72. Köhler), Blacha – Amenyido (56. Heider), Álvarez (92. Henning) Hamburger SV: Heuer Fernandes – Narey, Jung, van Drongelen (78. Ewerton), Leibold – Dudziak, Fein, Moritz (46. Kinsombi) – Harnik, Wood (46. Jairo), Kittel Schiedsrichter: Tobias Reichel |
Die aktuelle Tabelle: