Bildschirmeindrücke umgeben uns minütlich. Schätzungsweise sind etwa 560.000 bis 1,5 Millionen Menschen allein in Deutschland mediensüchtig – das sind ein bis drei Prozent der Bevölkerung. In Osnabrück haben Mediensüchtige seit über einem Jahr Raum zum Gruppenaustausch.
Wir leben in einer Informationsgesellschaft, darüber hinaus noch in einer Leistungsgesellschaft. Wer trotz anhaltender Probleme ohne Unterbrechung funktionieren muss, kommt irgendwann an die eigenen Grenzen. Viele Menschen lenken sich von dem Druck mit Social Media, Gaming und Netflix ab.
Woran erkenne ich eine Mediensucht?
Wie bei allen psychische Erkrankungen ist auch eine Mediensucht nicht an Äußerlichkeiten festzumachen. Das stereotype Bild des „Zockers“ sucht man während eines Treffens der Selbsthilfegruppe „Mediensucht bei jungen Erwachsenen“ in Osnabrück also vergebens. Stattdessen stehen bei einer Mediensucht die negativen Auswirkungen im Mittelpunkt, denn bei übermäßigem Medienkonsum können neben der Suchterkrankung selbst weitere Schwierigkeiten auftreten. „Es wird ein riesiger Rattenschwanz in Gang gesetzt“, sagt David Bensmann, Sozialarbeiter der Selbsthilfekontaktstelle Osnabrück. Die Liste ist lang: von Schlafstörungen und Problemen in Schule, Studium oder Ausbildung bis hin zu Depressionen und sozialer Isolation. Besonders Smartphones ziehen die mentale Gesundheit der Mediennutzenden häufig in den Abgrund. Der steigende Bedarf in der Post-Corona-Zeit spiegele sich laut Bensmann auch in der Gründung der Gruppe vor einem Jahr wieder.
Austausch ohne Verurteilung
Viele kennen Selbsthilfegruppen nur aus US-amerikanischen Serien: Stuhlkreise, Kaffee, ein übermäßig einfühlsamer Therapeut und alle Augen auf die Person, die von ihren Problemen berichtet. Laut Bensmann gehe es in der Realität jedoch deutlich ungezwungener zu. Zwar will der Sozialarbeiter Ansprechpartner für Betroffene sein, doch er versucht, dabei eher im Hintergrund zu bleiben. Er selbst war erst bei zwei Treffen der Selbsthilfegruppe Mediensucht dabei. „Dass Gemeinschaft, Spaß und konstruktive Gespräche Hand in Hand gehen können, zeigt diese Gruppe bestens“, betonte Bensmann. „Ein Austausch ohne gegenseitige Verurteilung bewegt dazu, ehrlich zu sich selbst und den anderen zu sein. Die Barriere, sich zu öffnen wird durch die geschützte Situation kleiner.“
Leistungsdruck erschöpft
Leistungsdruck ist auch innerhalb der Gruppengespräche immer wieder Thema. Die Gruppe funktioniert hier als Ventil. Bensmann findet es „schlimm, dass viele das Gefühl haben, sich ihre schwierige Situation nicht anmerken lassen zu dürfen“. Dies sei nicht nur auf der Arbeit, sondern auch in der Freizeitgestaltung der Fall. Denn auch für Freunde habe man zu funktionieren, so der Sozialarbeiter. Könne die betroffene Person dem Druck nicht standhalten, ziehe sie sich aus Scham zurück.
Helfen, aber wie?
Für die Betroffenen selbst gehe es um die Bereitschaft, sich ein Problem einzugestehen. Nur so können Betroffene im Anschluss konstruktiv nach Lösungen suchen. Für Angehörige, die helfen wollen, empfiehlt Bensmann: „Grundsätzlich geht es beim Thema ‚psychische Erkrankungen‘ um ein aufmerksames Miteinander. Ich weiß, dass es wie ein Mantra wiederholt wird, aber es hilft: Wir müssen raus aus bestimmten Tabuzonen.“ Dabei sei Hilfe von außen nur dann wirksam, wenn sie angeboten und nicht aufgezwängt werde – ganz ohne „Du musst“ oder „Mach doch einfach“.
Die Selbsthilfegruppe „Mediensucht bei jungen Erwachsenen“ trifft sich immer dienstags von 16:30 Uhr bis 18 Uhr. Neben der Kontaktstelle für Selbsthilfe gab die „Diakonie Suchtberatungsstelle“ die Idee für das Projekt. Zahlreiche weitere Selbsthilfegruppen helfen bei Problemen und Sucht in der Region.