Vergangenen Freitag war mein „erstes Mal“.
Das erste Mal, dass ich aus vollem Hals „Osna Helau“ gerufen habe.
Ein (Selbst-)Erfahrungsbericht aus dem Osnabrücker Karneval.
Eines gleich vorweg: es hat Spaß gemacht – zumindest nach einer gewissen Zeit der Eingewöhnung und einer ersten alkoholinduzierten Lockerheit. Und gegen Ende hat es sogar richtig Spaß gemacht!
Wie ist er, der Osnabrücker Karneval abseits vom Ossensamstag – erlebt von einem, der mit Karneval nichts am Hut hat?
René Herring, der die Osnabrücker Jecken (oder sagt man Narren?) bereits einmal als Prinz anführte, dazu noch im Präsidium des Bundes Westfälischer Karneval aktiv ist, und zu guter Letzt auch als noch Präsident der KG Grün-Weisse Garde fungiert (vermutlich hat er auch noch einige weitere Ämter inne), hat mich eingeladen den Osnabrücker Karneval mal „von Innen heraus“ kennenzulernen. Karneval abseits von den großen Abendveranstaltungen und abseits auch vom in meinen Augen „berüchtigten“ Ossensamstag.
Überhaupt, Ossensamstag, was für ein Schreckgespenst für mich. Die kleine samstägliche Vorhölle dessen, was am Montag dann selbst in der Tagesschau aus den jecken Hochburgen Mainz, Köln und Düsseldorf gezeigt wird.
Hatte ich – als ich noch beruflich bedingt für einige Jahre am Kölner Rheinufer wohnte – nicht immer das Weite gesucht in diesen Tagen? Weder konnte man am entsprechenden Samstag nach Osnabrück fahren, noch den folgenden freien Montag (Rosenmontag ist in Köln ein Feiertag) in der Domstadt genießen. Zumindest Shopping oder Kneipenbummel ging an diesen „tollen Tagen“ nicht, das Letztere jedenfalls nicht ohne Pappnase oder sonstige rudimentäre Verkleidung. Und das war lediglich das Karnevalswochenende.
Und nun lädt mich jemand zu einer dieser Veranstaltungen ein, die zwischen dem 11.11. (haha, um 11:11 Uhr, wie lustig) und Aschermittwoch das halbe Land verunsichern?
Kurzum: ich habe „ja“ gesagt. Und nun bin ich ausgeliefert: „allein unter Narren“ (oder sind es doch Jecken?)!
Ein Freitagabend im Januar, im zugigen Foyer des historischen Osnabrücker Rathauses, und ich warte bis „es“ losgeht. Da sitze ich nun. Nein, erst einmal stehe ich nur herum.
„Empfang aller Teilnehmer im Friedenssaal“, hatte es in der Einladung geheißen. Danach soll es dann weitergehen in die Stadthalle, um die neuen Ehrensenatoren zu taufen. Ach ja, die „Taufe der Ehrensenatoren“ ist der Anlass dieser Veranstaltung. Denn natürlich trifft man sich im Karneval nicht einfach „nur so“ – aber auch das ist vermutlich bei allen organsierten Vereinen ähnlich. Was den Kleingärtnern Ihr Frühlingsball und das gemeinsame Laubfegen im Herbst ist, ist den Karnevalisten die Prunksitzung, Damensitzung, Prinzenproklamation und der Aschermittwoch – vermutlich allerdings in anderer Reihenfolge. Am Aschermittwoch ist immer alles vorbei, Termine gibt es davor viele, so klärt mich später meine Tischnachbarin auf.
Aber erst einmal ist es kalt und zugig im Osnabrücker Rathaus. Ich vertreibe mir die Zeit damit mir die „Partypeople“ anzuschauen, mit denen ich den inzwischen angebrochenen Abend verbringen werde.
Irgendwann öffnet sich schließlich die Tür zum historischen Friedenssaal und Bürgermeister Burkhard Jasper darf eine kleine vorbereitete Rede halten. Hierbei kommt es dann auch zu ersten ritualisierten „Osna Helau“ und „Garde Helau“ Ausrufen; ich schweige – noch.
Überhaupt: Karneval und Politik. Irgendwie schwant mir spätestens jetzt, dass Karneval wohl nicht ganz so unpolitisch ist, wie man allgemein zu glauben scheint hofft. Also unpolitisch im Sinne von: wir nehmen die Mächtigen aufs Korn mit unseren Scherzen und Motivwagen bei den Rosenmontags- Ossensamstags-Umzügen, aber ansonsten sind wir die Narren (oder Jecken, was auch immer). Nein, zumindest an diesem Abend sind eine Menge Politiker freiwillig die Narren, oder machen sich zu welchen, dazu später mehr.
Ich habe an diesem Abend die Rolle des „eingebetteten Journalisten“ einzunehmen – mitten drin, statt nur dabei. Die anwesenden Politiker (und es sollen noch mehr werden, viel mehr) sind die eingebetteten Vertreter der politischen Kaste, bevor alle dann jegliche Scheu und Distanz verlieren werden und zum gemeinsamen „Osna-Helau“ übergehen.
Auch die formellste Rede (historische Bedeutung des Friedenssaals, kleiner Schwenk auf tagesaktuelle Ereignisse, „wir sind Charlie“ etc., „Osna Helau“…) findet zum Glück irgendwann ihr Ende. Alle Anwesenden fühlen sich schwer beeindruckt, von der Rede, vom schlecht geheizten Rathaus und natürlich der Ehre hier sein zu dürfen.
Und ab geht es mit einem extra angemieteten Bus der Stadtwerke zur Stadthalle, die im Übrigen besser geheizt ist als das Rathaus, aber lassen wir das.
Der Bus, der nicht sonderlich groß ist, reicht für die kleine Truppe völlig aus. So eine Ehrensenatoren-Taufe ist eine eher „intime“ Veranstaltung. Etwa 30 bis 40 Teilnehmer hatten sich zuvor im Friedenssaal eingefunden, ein paar weitere kommen nun direkt in die „Speisekammer“, dem wohl kleinsten Saal der Stadthalle OsnabrückHalle.
Der „Dresscode“, auch so etwas gibt es offensichtlich beim Karneval, ist bei so einer Veranstaltung eher formell – so hatte es mir mein Gastgeber vorher mitgeteilt.
Mit meinem dunklen Anzug bin ich jedenfalls nicht „overdressed“ – angesichts einer fehlenden Krawatte vielleicht eher das Gegenteil. Was mir als Gast und eigentlichem Karnevals-Muffel aber fehlt, das sind die offensichtlichen Insignien des Karnevals. Ich habe keinen Orden (nicht einen einzigen, fast alle anderen haben dafür gleich dutzendfach Blech am Revers oder um den Hals hängen) und auch keine lustige Mütze.
Jahrzehnte nach meiner Schulzeit komme ich mir vor wie der einzige Junge in der Klasse der ein T-Shirt von Werder Bremen trägt, während scheinbar alle anderen Jungs in Lila-Weiß gekleidet sind.
Doch halt, ein Lichtblick: die beiden zukünftigen Ehrensenatoren Sonja Ende und Frank Henning sind ebenfalls gänzlich zivil gekleidet – noch.
Sie werden ihre lustige Mütze erst später am Abend bekommen (ich nicht!). Sonja Ende, die „im richtigen Leben“ oberste Wirtschaftsförderin der Stadt ist, erklärte mir während der Busfahrt zur Stadthalle, sie selbst hätte auch nicht viel mit Karneval am Hut. Der Vater von René Herring, der mich zu diesem Abend eingeladen hatte, hätte sie (also Sonja Ende) recht geschickt zu diesem Abend „überredet“… Es ist offenbar ein besonderes Talent dieser Familie potentielle Karnevalsmuffel zu identifizieren und zu „konvertieren“. Damit hätten Sie vor ein paar hundert Jahren eine ganz ordentliche Karriere als Missionare hinlegen können – im Hier und Heute hat es der Garden-Präsident immerhin bei der Sparkasse recht weit nach oben geschafft. Missioniert wird jetzt in der Freizeit und für den Karneval.
Meine Busbegleitung, die oberste städtische Wirtschaftsförderin, hatte also – wie auch ich – nicht schnell genug „nein“ sagen können, und da waren wir nun.
Frank Henning, der eigentlich Finanzbeamter, Stadtrat und SPD-Landtagsabgeordneter ist, hat da schon eine engere Bindung zum Karneval und zum (zwischenzeitlich bereits mehrfach wieder gerufenen) „Osna Helau“.
Eine seiner (geschätzt) fantastillionen Vereinsmitgliedschaften verbindet ihn mit den Königsfelder Karnevalisten aus Lüstringen, wie er mir später erzählen wird – der Mann wusste offenbar was auf ihn zukam!
In der Stadthalle angekommen, verteilt sich die bunte Schar auf die mit Platzkarten versehenen Tische. Auf den Tischen liegt eine Festschrift, denn die Garde wird dieses Jahr 60 Jahre alt.
Angesichts familiärer Bande in die Nähe von Damme, wo der Karneval im vergangenen Jahr 400jähriges Jubiläum feierte, beeindruckt mich das nur wenig – allerdings bin ich nur nachträglich unbeeindruckt, denn dieses unnütze Wissen über den Dammer Carneval (mit „c“) hat mir Google erst beim Schreiben dieses Artikels beschert.
Was mich aber tatsächlich beeindruckt, und das schon am Tisch, sind die vielen bekannten Gesichter – und zwar teils direkt anwesend im Raum und teils in der Festschrift verewigt.
Neben zwei Landtagsabgeordneten und einem ehemaligen Landesminister (alle anwesend) finde ich in der Festschrift als Ehrensenatoren weitere Minister, zahlreiche ehemalige Oberbürgermeister (davon einer anwesend, der Rest nicht dabei, teils auch wegen eigenem Todesfall dauerhaft verhindert), einen ehemaligen Ministerpräsidenten und späteren Bundeskanzler und einen Ex-Ministerpräsident, der es sogar zeitweise zum Amt des Bundespräsidenten schaffte (beide inzwischen mehr oder weniger freiwillig im Ruhestand und heute auch nicht anwesend).
Das unter den Ehrensenatoren so viele Osnabrücker Oberbürgermeister zu finden sind, wird Frank Henning später zum Anlass nehmen sich in einer Rede selbst ins Gespräch für dieses Amt zu bringen – eine Äußerung, die von der Lokalzeitung am folgenden Montag dankbar aufgenommen werden wird. Stadthallen-Chef bzw. Chefin wäre vielleicht auch noch eine Option, die bei Ehrensenatoren ein beliebter Beruf zu sein scheint (davon übrigens je einmal an- und abwesend). Klingt jedenfalls auch besser als Finanzbeamter, aber man muss sich ja ambitionierte Ziele setzen.
Noch aber muss Frank Henning nicht nur auf das Amt des Oberbürgermeisters warten, sondern auch auf seine Ehrensenator-Taufe, denn beim Karneval heißt es: die Damen zuerst.
Lokalfernseh-Chefin Claudia Puzik (os1.tv) hält eine Laudatio auf die zukünftige Ehrensenatorin Sonja Ende (die Wirtschaftsförderin). Und weil wir zuvor schon eine lange Rede gehört haben, erhöht sie den Schwierigkeitsgrad für die zukünftige Karnevalistin honoris causa. Die darf jetzt zwar sitzen (und es ist besser geheizt), muss sich das aber alles unter eine undurchsichtigen Brille, also im Dunkeln anhören.
Denn keine Eliten-Position ohne Aufnahme-Ritus! Egal ob Stammeshäuptling am Amazonas oder Ehrensenator an der Hase: ohne festes Regelwerk kommt man offenbar nicht weiter.
Hier sagen die Regeln: erst ist in Dunkelheit die Rede eines Paten (Claudia Putzig ist selbst seit 2013 Ehrensenatorin) zu ertragen – dann sind ein paar seltsame Spielchen zu absolvieren. Zum seit 1961 immer gleichen Initiations-Ritus gehört eine deftige Mettwurst, die mit viel Senf zu essen ist, und ein großes Bier, das aus einem Krug getrunken werden muss. Zum Abschluss dürfen ein paar Kegel mit den Füßen umgeworfen werden – alles weiterhin mit verdunkelten Augen. Schließlich, nach erfolgter Ernennung durch den Garde-Präsidenten, muss der neue Senator oder die neuen Senatorin selbst noch eine Rede halten.
Vier mehr oder weniger humorige Reden später, hat auch Frank Henning erfolgreich seinen neuen Titel erworben. Er wurde begleitet von seinem Paten und Parteifreund Ernst Schwanhold, der mit Genuss und Ausdauer aus dem Nähkästchen der Politik plauderte.
Funkenmariechen und Tanzvorführungen dürfen natürlich nicht fehlen – wär ja sonst kein Karneval. Der ernste Teil – die Initiation der neuen Ehrensenatoren – wird also aufgelockert durch eine Schar tanzwütiger junger Mädchen (wie halten die diesen Elan durch bis zum Aschermittwoch?). Und natürlich gibt es auch ein Prinzenpaar, das in diesem Jahr aus Haste stammt. Einem Verein, der traditionell ebenfalls grün-weiße lustige Mützen trägt, die eine gewisse Ähnlichkeit zu den Kopfbedeckungen der Gastgeber von der Grün-Weisse Garde zeigen. Ehrensenatoren – das lerne ich im „gemütlichen Teil“ – erkennt man übrigens am weißen Pelz oben auf der Mütze.
Der „gemütliche Teil“ folgt dem offiziellen Teil, also den Reden, Tanzeinlagen und der Aufnahme der neuen Ehrensenatoren. Für mich der eigentliche Höhepunkt des Abends. Bald stelle ich fest, meine Tischnachbarin zur Linken ist die „Chefin des Protokolls“. Mir gegenüber sitzt die zweite Schatzmeisterin. Und auch sonst lerne ich an diesem Abend ein paar wirklich nette Jecken (oder waren es doch Narren?) kennen. Längst nicht alle Gäste dieses rundherum – je später es wird – gemütlichen und gelungenen Abends kommen aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Am Ende ist sowieso nur eines wichtig: „Osna Helau“.
Gab es jemals Zweifel ob Karneval und Osnabrück zusammengehören?
Diesen Samstag feiert die Grün-Weisse Garde die „Große Osnabrücker Karnevalsparty“ in der OSC-Halle (mehr Infos via Facebook hier) – und Ossensamstag ist 2015 übrigens am Valentinstag (14. Februar), womit auch das diesjährige Motto „Schenk mir Dein ganzes Herz“ erklärt wäre.
Für mich hat der Karneval in Osnabrück an diesem Abend seinen „Schrecken“ verloren, darauf ein dreifaches „Osna…“!
Der Autor hat selbstverständlich einen „nicht kleinen“ Obolus entrichtet, der von den beiden neuen Ehrensenatoren mit ihren Mützen eingesammelt wurde. Es war eine Freude einem Finanzbeamten mal einen großen Schein „zuzustecken“ ;-) Die eingesammelten Gelder decken nicht nur die Kosten des Abends, sondern finanzieren die Vereins- und Jugendarbeit der KG Grüne-Weisse Garde e.V.; also alles für den guten Zweck!
Heiko Pohlmann
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