Guten Abend,
„Der große Trieb, welchen alle Menschen haben, der Welt öffentlich zu sagen, daß sie Thoren sind, verleitet mich eben nicht ein Schriftsteller zu werden. Ich habe diese allgemeine Schuld der Natur vor meinem siebenzigsten Jahre schon bezahlt. Allein das Vergnügen auch in meinem hohen Alter kein Sonderling zu seyn, und vor andern etwas klügers zu schreiben, hat daran einen desto größern und gerechtern Antheil. Möchten nur auch meine Leser nicht zu viel Vernunft darinn finden! Dieses würde mir sonst um so viel näher gehen, je grössere Mühe es mir gekostet, dieser Krankheit der Alten zu entgehen. Vielleicht sind andere Schriftsteller hierinn glücklicher; ich aber muß zu meiner eignen Schande gestehen, daß es mir manchen schwermüthigen Augenblick gekostet, um als ein erträglicher Narr zu erscheinen. Allein ich will mich hier der so rühmlich überwundenen Zeiten nicht wieder erinnern. Der Wunsch, solche von neuen zu überleben, möchte sonst meine gegenwärtige Beruhigung schwächen.“
(aus: Harlekin, oder Vertheidigung des Groteske-Komischen)
Dieses Jahr sollte zumindest in der Stadt Osnabrück ein Möser-Jahr werden. Aber dafür hat es aufgrund anderer Vorkommnisse, die an dieser Stelle zu erwähnen wahrscheinlich müßig ist, nicht gereicht. Selbst ein verkaufsoffener Sonntag durfte nicht in meinem Namen stattfinden, denn eilfertige Gewerkschafter sahen darin lediglich einen Hebel zur ungerechtfertigten Bereicherung von Ladenbesitzern auf Kosten der Erholung ihrer Mitarbeiter. Nun gut, ich habe mich damit abgefunden, daß mein 300. Geburtstag am 14. Dezember wohl in aller Stille begangen wird. Als ein erträglicher Narr, wie ich mich selber gerne bezeichne, trage ich mein Schicksal mit Fassung. Mehr als fünf Leute dürfen derzeit eh nicht zusammenkommen, da kann man den ganzen Hokuspokus auch gleich seinlassen. Immerhin gibt es seit dem 01. November im Kulturgeschichtlichen Museum schräg gegenüber vom Heger Tor eine Ausstellung, die meiner Person gewidmet ist. Zwar darf im Moment kein Besucher das Museum betreten, aber der gute Wille der Stadt Osnabrück, meine Leistungen für die Hasemetropole wenigstens ein bißchen zu würdigen, ist deutlich erkennbar. Die Ausstellung dauert an bis zum April 2021, vielleicht wird bis dahin etwas gelockert.
Wobei ein Museumsbesuch nicht das wichtigste ist, was das Leben ausmacht. In den vergangenen Wochen haben die Menschen in Osnabrück erleben müssen, wie schnell sich Wohlvertrautes verändern kann. Wie schnell der Alltag mit seinen vorgeblichen Sorgen und Nöten plötzlich ganz anders ist, fast schon wieder in seiner vormaligen Banalität und Langweiligkeit erstrebenswert erscheint. Wie schön es sein kann, nichts zu müssen und die Gestaltung seiner Tage selbst bestimmen zu dürfen. Egal ob trivial, gutbürgerlich oder extravagant – man konnte immerhin so ziemlich alles selber regeln.
Leben ist auch und in dieser Zeit ganz besonders ein grauer Novembertag, an dem man sich mit Freunden oder der Familie trifft, um das bevorstehende Weihnachtsfest, eine Silvesterparty und den Urlaub im nächsten Jahr zu besprechen und sich schonmal darauf zu freuen. Doch dieses Jahr besteht zum größten Teil aus Warten auf den lieben Impfstoff, aus dem bangen Blick auf hoffentlich bald sinkende Inzidenzzahlen, aus der unfreiwilligen sozialen Isolation. Dafür ist der Mensch im großen und ganzen nicht geschaffen. Ein gutes Leben sieht anders aus, ist geprägt von Geselligkeit, von Offenheit und Freude. Mein großer Geburtstagswunsch ist es deshalb, daß wir alle schnellstmöglich wieder zu diesem Leben zurückfinden.
Bis dahin wünsche ich allen HASEPOST-Lesern eine Adventszeit, in der es nichts zu mösern gibt!
Ihr
Justus Möser
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