Liebe, Drama, Wahnsinn …
Der VfL verlor in einem alles andere als langweiligen Spiel gegen den SV Sandhausen 1:3. Im Grunde bot die Partie alles, was das Fußballherz begehrt: Liebe, Drama, Wahnsinn – leider zu Ungunsten des VfL.
Doch langsam und ganz von vorn: Dass der VfL in der Kickerformtabelle auch nach der Winterpause hinter Bielefeld noch immer den zweiten Platz belegt (Note 3,16), wundert nicht, und der SV Sandhausen steht immerhin an fünfter Stelle (3,31). Tatsächlich aber trat der VfL als Tabellensechster des 19. Spieltags gegen den Tabellenachten aus Sandhausen an. Aufgrund der Ergebnisse der vier Partien vom Vortag spielte nun aber der Achte gegen den Neunten, getrennt durch ganze zwei Punkte. Ein Sieg hätte den VfL sogar auf Platz fünf katapultieren können.
Daniel Thioune erinnerte sich auf der Pressekonferenz an den 1:0 Sieg des VfL in Sandhausen und daran, wie glücklich dieser zustande gekommen war, und warnte vor allzu hohen Erwartungen. Er sollte recht behalten.
Der Trainer der Sandhäuser lobte seinerseits den VfL und insbesondere die Arbeit Thiounes auf der heimischen PK in höchsten Tönen.
Beide Clubs haben das Ziel, sich langfristig in der zweiten Liga zu etablieren, was dem SV Sandhausen bereits seit der Saison 2012/13 gelungen ist und auch in diesem Jahr so gut wie sicher zu sein scheint.
(Liebe Klugscheißer: Es heißt tatsächlich „Sandhäuser“ und nicht „Sandhausener“ oder „Sandhauser“, dazu einiges Sprachwissenschaftliches in den Halbzeitgedanken.)
Beginn
Mehr dazu in den Halbzeitgedanken in der Rubrik „Nachgedanken“.
Die Torwartfrage fiel nicht unerwartet zugunsten von Kühn aus.
Den gesperrten Ulrich Taffertshofer – nicht zu verwechseln mit seinem Bruder Emanuel, der heute bei Sandhausen auflief – ersetzte der wieder genesene Maurice Trapp nach monatelanger Verletzungspause. Erfreulich auch, dass der „Neue“ Assan Ceesay und Koka Engel bereits auf der Bank saßen. Und allen Unkenrufen zum Trotz gehörte Álvarez zur Startelf.
Der VfL startet mit einem Abseitstor
Nach recht ereignislosen ausgeglichenen Anfangsminuten übernahm der VfL mit starken Angriffen das Kommando. In der 8. Minute flankt Ajdini von rechts in den Sandhäuser Torraum, der heranpirschende Agu versenkt den Ball aus drei Metern mit dem Kopf. Das Stadion feierte bereits überschwänglich, doch der VAR entschied – wohl zurecht – auf Abseits.
Wenig später hat Álvarez mit einem Schuss von halblinks die Führung auf dem Fuß, doch Fraisl kann klären.
In der 18. Minute ein hervorragender VfL-Angriff, an dessen Ende der Verwertungskette Schmidt einen klasse angenommen Ball knapp links neben das Tor setzt.
Der VfL war nach einer halben Stunde das klar überlegene Team, auch wenn die Sandhäuser hin und wieder vor Kühns Tor auftauchten. Eine Führung für den VfL wäre längst verdient gewesen.
Sandhausen wurde stärker
In der 31. Minute ein Schreckmoment für den VfL: Álvarez bleibt nach einem Zweikampf auf dem Rasen liegen, kann aber kurz darauf weiterspielen. Dann ein grober Schnitzer (36.) von Blacha, dessen Querpass vor dem eigenen Strafraum den Sandhäusern die erste Großchance ermöglicht, doch Bouhaddouz‘ Schuss geht weit über das Tor.
In der 41. Minute senkt sich ein Fernschuss von Halimi auf die Latte.
Sandhausen wurde stärker und dann …
… das Drama um Kühn
Sandhausen greift an. Kühn schmeißt sich dem Sandhäuser Behrens entgegen und holt ihn übereifrig von den Beinen, dabei drohte kaum noch Gefahr. Schiedsrichter Gerach gibt zurecht Elfmeter und zeigt Kühn die gelbe Karte.
Paqarada läuft an und … Kühn hält. Riesenjubel im Stadion.
Dann lässt der Schiedsrichter den Strafstoß wiederholen, da Kühn die Torlinie zu früh verlassen haben soll. Entsetzen und Unverständnis bei Mannschaft und Publikum. Die Bremer Brücke kocht nun vor Wut, dabei war die strittige Entscheidung zwar nach strenger Regelauslegung wohl korrekt, aber ohne jedes Fingerspitzengefühl gefällt worden.
Und so erhielt der ebenso bedauernswerte wie übereifrig agierende Kühn „regelkonform“ die zweite gelbe und damit die gelb-rote Karte.
Eingedenk der wochenlang diskutierten Torwartfrage kam es nun zu der erzwungenen, fast tragikomischen Einwechslung von Körber.
Den zweiten Elfmeter verwandelte Paqarada unhaltbar zum 0:1.
Halbzeitfazit:
Das Stimmung im Stadion brodelte und das Schiedsrichtergespann wurde mit einem gellenden Pfeifkonzert und Schieberrufen in die Kabine entlassen.
Die Führung der Sandhäuser war trotz einer verbesserten Schlussviertelstunde der Gäste schlichtweg unverdient. Wegen der spielerischen Überlegenheit und der besseren Chancen wäre ein 1:0 für den VfL gerecht gewesen.
Tipp: Die Halbzeitgedanken, eine Melange aus Hintergrundinformation und Kommentar, erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Sie fallen hin und wieder recht knapp, manchmal aber auch sehr ausführlich aus. Wem das Lesen der Halbzeitgedanken zu mühselig ist: Ganz einfach mit der „Als-wenn-ich-das-alles-nicht-schon-längst-gewusst-hätte“-Miene kopfschüttelnd weiter nach unten scrollen, dort geht es dann mit dem aktuellen Spielbericht weiter.
Halbzeitgedanken:Der SV Sandhausen wurde 1916 als reiner Fußballverein gegründet und hat heute etwa 1.000 Mitglieder, das heißt, etwa jeder 15. Einwohner ist Vereinsmitglied.
Die Frage, warum es Sandhausen überhaupt gibt, konnte bis heute noch nicht zufriedenstellend und in aller Form geklärt werden. Sicher ist nur, dass sich neunzig Prozent der arbeitenden Bevölkerung außerorts verdingt, namentlich vor allem beim Software-Giganten SAP im nur wenige Kilometer entfernten Walldorf. So ist es zumindest kein Wunder, dass die Sandhäuser Bevölkerung nach getaner Arbeit offenbar gerne wieder nach Hause in ihre sandhäusernen Häuser fährt. Abwegige, etwas nervige Halbzeitgedanken:„Sandhäuser“ sind eben keine Häuser aus Sand, jedenfalls nicht in Sandhausen! Etwas weniger abwegige, aber umso nervigere Halbzeitgedanken:Dass beide Clubs denselben Wettanbieter als Trikotsponsor mit Firmensitz auf Malta haben, ist nur eine der vielen Ungereimtheiten im modern(d)en Fußball. Für mich ein durchaus anrüchiges Geschäftsgebaren, zumal die jüngere Geschichte des VfL von Wettbetrügern geprägt wurde, die dem Ruf des Clubs bundesweit enorm geschadet haben. Bittere Nachgedanken:Heute wurde im Stadion auch der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Was bei den unvorstellbaren Zahlen allzu schnell vergessen wird: Hinter all den Millionen ermordeter Menschen verbergen sich einzelne Schicksale. Diese erschütternde Todesanzeige erschien vor wenigen Tagen in der Westfalenpost. Generell eine gute Idee, um Opfern des Nationalsozialismus ein Gesicht zu geben. |
Fast „unverändert“ ging es in die zweite Hälfte
Da ein Feldspieler für Körber ausgewechselt werden musste, war Schmidt vom Platz gegangen, ansonsten gab es auf beiden Seiten keine Änderungen.
Kurz nach dem Wiederanpfiff meldete sich der VfL mit einem Paukenschlag zurück. Álvarez setzt mit einem Querpass den völlig frei stehenden Ajdini in Szene, der den Ball mit einem gekonnten Schuss oben rechts im Tor versenkt.
Doch währte die Freude nicht lang. In der 60. Minute flankt Diekmeier von rechts in den Osnabrücker Strafraum und der wuchtige Behrens nickt den Ball unhaltbar zum 1:2 ins Tor.
In der 72. Minute dennoch fast das 2:2. Ouahim setzt sich von links gegen vier, fünf Sandhäuser gekonnt durch, doch sein Schuss zieht knapp am rechten Pfosten vorbei.
In der 83. Minute die endgültige Entscheidung: Der kurz zuvor eingewechselte Engels flankt in den Osnabrücker Strafraum und Behrens lässt Körber mit einem Kopfballtorpedo keine Chance.
Fazit: „Lebbe geht weiter …“
Der VfL verliert sein zweites Heimspiel in einer verrückten Partie, die viel Drama und Wahnsinn und eine durchaus kritikwürdige, aber durchaus regelkonforme Schiedsrichterleistung bot. Dass in der anschließenden PK Uwe Koschinat den Sieg seiner Mannschaft zu einem großen Teil auf die Entscheidungen des Referees zurückführte, spricht nicht nur für die Fairness des Gästetrainers, sondern auch dafür, dass der VfL an diesem Tag diesbezüglich nicht gerade vom Glück verfolgt worden war.
Am Sonntag geht es nach Darmstadt. Sollte dort nicht gepunktet werden, könnte es nach unten noch einmal eng werden, auch wenn der VfL derzeit auf Platz neun steht. Dennoch hat die Mannschaft bislang derart überzeugende Leistungen geboten, dass sie ein solches Zwischentief verkraften sollte.
„Lebbe geht weiter …“
Zahlen, Daten & FaktenZuschauer: 13.298, davon 67 wackere Fans aus Sandhausen Tore: VfL Osnabrück: Kühn – Trapp, van Aken – Ajdini, Heyer, Blacha, Agu – Ouahim, Schmidt (45.+3 Körber), Henning (83. Heider) – Álvarez (69. Ceesay) SV Sandhausen: Fraisl – Diekmeier, Nauber, Zhirov, Paqarada – Linsmayer, E. Taffertshofer (86. Kister), Paurevic – Halimi (83. Engels) – Behrens, Bouhaddouz Schiedsrichter: Timo Gerach (Landau) Gelb-Rote Karte: |
Die aktuelle Tabelle:
Titelfoto: Schiedsrichter Timo Gerach zeigt Torwart Philipp Kühn die gelb-rote Karte; imago images / Kirchner-Media