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Zum Gedenken an NS-Opfer: Neue Stolpersteine auf den Gehwegen Osnabrücks

Am Montag verlegte der Künstler Gunter Demnig sechs weitere Stolpersteine in Osnabrück. Bei den meisten der ausgewählten NS-Opfer handelte es sich um “Asoziale”. Mehrere Verantwortliche, Paten und Interessierte begleiteten die Verlegung der Steine.

Demnig und die Stolpersteine

Seit Mitte der 1990er verlegt der Künstler Gunter Demnig Stolpersteine überall in Europa. Bereits mehr als 111.000 der zehn Zentimeter großen Betonwürfel mit der Messingplatte sind zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus angefertigt worden. Darauf sind Name sowie das Geburts- und Todesdatum und weitere Informationen zu sehen. Sie werden vor den Häusern verlegt, welcher der letzte freiwillig gewählte Wohn- oder Arbeitsort der Betroffenen war. Als Vorläufer der Stolpersteine hat Demnig 1990 zur Erinnerung an die Deportation der Sinti und Roma aus Köln eine Kreidespur vom Sammelplatz bis zur Verladerampe gezeichnet, welche an ausgewählten Stellen in Messing geprägt wurde. 1996 verlegte Demnig dann ohne Genehmigung die ersten Stolpersteine in Berlin-Kreuzberg. Gedacht wird an Juden, Sinti, Roma, politisch oder religiös Verfolgte, Deserteure, Homosexuelle oder Opfer der nationalsozialistischen Krankenmorde.

Verlegung von Stolpersteinen in Osnabrück

Im Jahr 2007 wurden dann auch in Osnabrück die ersten Stolpersteine verlegt. Vor der Verlegung am Montag (12.08.) waren bereits 296 Stolpersteine in Osnabrück zu finden. Grundlage für die Stolpersteine sind Recherchen über verfolgte NS-Opfer, die in Osnabrück den letzten bekannten freiwillig-gewählten Arbeits- oder Wohnort hatten. Dokumente wie die der Gestapo Personenkartei spielen dabei die entscheidende Rolle. Georg Hörnschemeyer, Vorsitzender der Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht, betonte dabei, dass man sich bei den Informationen “nicht auf loses Hörensagen” verlassen soll sondern auf Beweise. Außerdem ist man auf Paten angewiesen, die den Stolperstein finanzieren. Das können Privatpersonen oder auch Organisationen sein. Dabei hat jeder Pate auch genau einen Stolperstein. Es gibt aber auch Ausnahmen wie Stolpersteine einer Gruppe von Sinti und Roma, die durch eine einzelne Organisation verlegt wurde. Seit 2019 wurden Corona-bedingt keine neuen Exemplare in die Gehwege Osnabrücks implementiert.

Nun wurden sechs weitere Stolpersteine in Osnabrück verlegt. Die meisten der sechs Männer waren “Asoziale”. Das waren laut den Nationalsozialisten beispielsweise Wohnungslose, Bettler, Landstreicher, Zuhälter, Prostituierte, Fürsorgeempfänger und Sinti und Roma, also Menschen aus der unteren Schicht, die durch ihr “asoziales” Verhalten die Allgemeinheit gefährden würden, weshalb sie von den Nazis verfolgt wurden.

Johann Bender und Hermann Bernhard Heying

Am Adolf-Reichwein-Platz wurden gleich drei Stolpersteine für Osnabrücker NS-Opfer verlegt. Als erstes wurde an Johann Bender gedacht. Er wurde am 16. Mai 1907 in Dortmund geboren, lernte Schlosser Handwerk und war unverheiratet. Da er keinen festen Wohnsitz hatte, stuften die Nationalsozialisten als “asozial” ein. Die Gestapo hat Johann Bender, da er als Wohnungsloser in der “Herberge zur Heimat” an der Alten Münze wohnte und damit registriert war, bei der sogenannten “Aktion gegen Arbeitsscheue” kurz vor seinem 31. Geburtstag in Osnabrück verhaftet. Zunächst wurde er ins KZ Buchenwald gesperrt. Nach zwei Jahren wurde er “probeweise” wieder entlassen, konnte jedoch nicht in der Gesellschaft Fuß fassen, weswegen er 2. November 1940 wieder verhaftet wurde. Nach dem Ablauf seiner Gefängnisstrafe wurde Bender erneut ins KZ geschickt. Im Februar 1942 kam er zunächst ins KZ Buchenwald, drei Monate danach landete er im KZ Ravensbrück, wo seine Spur endet.

Direkt neben Benders Stolperstein liegt der Stein von Hermann Bernhard Heying. Er wurde am 19. April 1906 in Hertmann – Lohbeck (Bersenbrück) geboren. Über sein Leben ist jedoch nicht viel bekannt. Am 10. August 1933 wurde er wegen kommunistischer Aussagen erstmals in Schutzhaft genommen. Danach wurde Heying in das KZ Börgermoor eingewiesen und als arbeitsscheu bezeichnet. Anlässlich einer Weihnachtsamnestie wurde er am 22. Dezember 1933 aus Börgermoor entlassen, blieb aber unter Beobachtung der Gestapo. Von nun an war sein Beruf Handlungsgehilfe und sein Familienstand ledig. Er zog in den Folgejahren mehrmals innerhalb von Osnabrück um. Am 20. Juni 1938 war Heying einer von 15 Männern aus der Stadt Osnabrück, die bei der Aktion “Arbeitsscheu Reich” verhaftet wurden. Zunächst wurde er mit einem Bus nach Löhne gebracht, dann fuhr er mit dem Zug nach Oranienburg und musste von dort aus zum KZ Sachsenhausen gehen. Mit der Nummer 3425 und der Häftlingskategorie “Arbeitsscheu” wurde Heying in die Baracke 62 eingewiesen. Die Lebensbedingungen in diesem KZ waren dort mit sehr schlechter Ernährung, Krankheiten, Seuchen und Gewalttaten der SS besonders schlecht. Durch Masseneinlieferungen nach Kriegsbeginn und starken Frostperioden mit “Stehkommandos” wurde dieser Zustand nochmal verschlechtert. Im Winter 1939/40 verlor Hermann Heying dabei, wie über 3000 andere Häftlinge auch, sein Leben. Er sei am 1. Februar 1940 im Alter von 34 Jahren an Herz- und Kreislaufschwäche gestorben.

Zum Gedenken an NS-Opfer: Neue Stolpersteine auf den Gehwegen Osnabrücks
Stolpersteine von Johann Bender und Hermann Bernhard Heying / Foto: Maximilian Kahle

Franz Stastny

Ein paar Meter weiter wurde der Stolperstein für Franz Stastny verlegt. Er wurde am 15. November 1901 in Tschechien geboren, war Maschinenschlosser und verheiratet. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Tschechien und der Annektierung zum “Großdeutschen Reich”, wurde für Stastny wegen eines früheren gerichtlichen Urteils eine Personalakte angelegt. Seine Adresse in Osnabrück war die Alte Münze 22. Am 29. Juli 1940 soll er in einem Geschäft abfällige Äußerungen über die Reichsregierung und die Aussichten Deutschlands im Krieg getätigt haben, weswegen er später zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten verurteilt wurde, die er im Gerichtsgefängnis Emden absaß. 1941 wurde für ihn die “Schutzhaft” angeordnet und ins KZ Sachsenhausen eingewiesen. Nach viereinhalb Monaten kam er dann am 7. August 1941 in das KZ Ravensbrück. Dort musste er höchstwahrscheinlich beim Ausbau des Lagerkomplexes mithelfen und Rodungs-, Trockenlegungs- und Planierungsarbeiten mit oder sogar ganz ohne unprofessionellem Werkzeug zehn bis zwölf Stunden (im Winter acht Stunden) am Tag leisten. Am Abend kam es gelegentlich zu Quälereien und Erschießungen seitens der Wachmannschaften. Am 16. Juli 1942 ist auch Franz Stastny im Alter von 41 Jahren im KZ Ravensbrück verstorben.

Zum Gedenken an NS-Opfer: Neue Stolpersteine auf den Gehwegen Osnabrücks
Stolperstein von Franz Stastny / Foto: Maximilian Kahle

Friedrich Wischmeyer

In der Krahnstraße 30b wurde ein Stolperstein für Friedrich Wischmeyer im Fußgängerweg eingesetzt. Er wurde am 16. April 1889 in Osnabrück geboren und über sein Leben ist nur sehr wenig bekannt. Wischmeyer, der ebenfalls als “asozial” galt, wurde am 6. September 1940 ohne genauen Grund in das KZ Dachau eingeliefert. Dort führte man ihn in den Häftlingskategorien “ASO” (Arbeitsscheu Reich) oder “AZR” (Arbeitszwang Reich). Friedrich Wischmeyer starb am 13. April 1941 an “Versagen von Herz- und Kreislauf”.

Zum Gedenken an NS-Opfer: Neue Stolpersteine auf den Gehwegen Osnabrücks
Stolperstein von Friedrich Wischmeyer / Foto: Maximilian Kahle

Joel Maschke

Im Stadtteil Wüste wurde in der Wielandstraße 2 ein Stolperstein für Joel Maschke verlegt. Er wurde am 9. August 1931 in Stettin, Pommern geboren. Sein Vater Herrmann Maschke war Landgerichtsrat. Seine Mutter hieß Renée Rosine Maschke und wohnte zuletzt bei ihrer Mutter Olga Roos an der Wielandstraße 2. Es ist nicht ersichtlich, dass ihr Sohn Joel, genannt “Jopie”, ebenfalls dort gelebt hätte. 1933 zogen Renée, Joel und Olga nach Amheim in die Niederlande. Am 23. März 1943 wurden Mutter und Sohn, da sie Juden waren, jedoch in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und drei Tage später ermordet. Joel Maschke wurde nur elf Jahre alt. Sein Vater, der sich am 2. November 1935 von Renée scheidete, lebte nach Kriegsende weiter und starb 1977. Joels Stolperstein wurde neben seiner Mutter und seiner Großmutter verlegt.

Bei der Verlegung war die Patin Karin Brånebäck, die mit den Opfern verwandt ist, vor Ort. Die Schwedin sagte, dass Olga die Schwester ihrer Urgroßmutter war, womit sie auch entfernt mit Renée und Joel Maschke verwandt ist. Sie las einen Artikel über die Stolpersteine von Olga und Renée und “wusste, dass noch ein Stein fehlte und das war Jopies. Und dann versuchte ich auch für ihn einen zu bekommen. Dafür brauchte ich zehn Jahre”, so Brånebäck. “Ich wusste schon immer, dass Jopie existierte. Wir haben in der Familie über ihn geredet. (…) Und jetzt wird an ihn erinnert. Er war ein Mensch, er lebte, er hatte ein Leben, er hatte eine Familie”. Die Schwedin war während und nach der Verlegung sehr ergriffen. “Es geht mir sehr nahe”, sagte sie. Außerdem war ihre Mutter, die das mit organisiert hatte, im Juni verstorben, weswegen sie ihr zu Ehren einen Schal von ihr dabei hatte.

Zum Gedenken an NS-Opfer: Neue Stolpersteine auf den Gehwegen Osnabrücks
Stolpersteine und Fotos von Joel Maschke und seiner Familie / Foto: Maximilian Kahle

Karl Bormann

Als letztes wurde der Stolperstein von Karl Bormann in der Adolfstraße 14a verlegt. Er wurde am 4. Juli 1907 in Fürstenau geboren, war später Bergmann und mit Anna Flottmann verheiratet. Außerdem hatte das Ehepaar einen Sohn namens Arnold. Seit dem 8. Juni 1938 lebten sie in der Adolfstraße 14a in Osnabrück. Jedoch war Bormann zu dieser Zeit nicht mehr gesundheitlich in der Lage einer ihm zugewiesenen Arbeit nachzugehen. Dadurch kamen sie in eine finanzielle Schieflage. Als “Asozialer” wurde Karl Bormann dann schließlich am 28. November 1938 ins KZ Sachsenhausen deportiert. Als Häftling musste man u. a. Zwangsarbeit im Außenlager Oranienburg leisten, in einer Großziegelei zur Herstellung von Klinkern, die für die Umgestaltung Berlins zur Welthauptstadt Germania benötigt wurden. Nachweise darüber, ob er auch in dem “Klinkerwerk” arbeiten musste, gibt es nicht, so kann man nur von einer hohen Wahrscheinlichkeit ausgehen. Die Arbeit war sehr hart und auf Hilfsmittel wurde fast komplett verzichtet. Neben den generellen Qualen im KZ waren auch die Witterungsverhältnisse im Winter sehr schlimm und viele Häftlinge erfroren. Als das Werk im Mai 1939 die Produktion aufnehmen sollte, stellte sich heraus, dass das Tonmaterial minderwertig war, weshalb in der zweiten Hälfte des Jahres 1939 versucht wurde auf ein neues Ziegelpressverfahren, umzustellen. Die “Große Halle” wurde Anfang 1940 komplett umgebaut, was für die Häftlinge die Fortsetzung anstrengender Bauarbeiten bedeutete. In der Zeit, am 26. Februar 1940, starb Karl Bormann an Körperschwäche. Er wurde nur 32 Jahre alt.

Zum Gedenken an NS-Opfer: Neue Stolpersteine auf den Gehwegen Osnabrücks
Stolperstein von Karl Bormann / Foto: Maximilian Kahle

Gunter Demnig über die Bedeutung der Stolpersteine

Warum die Verlegung der Stolpersteine so wichtig ist, erklärte der Künstler Gunter Demnig vor Ort: “Ich find es wichtig für die Angehörigen und es sind immer mehr Angehörige, die sich die Steine wünschen, denn die meisten der Opfer haben weder Gräber noch Grabsteine und jetzt ist wenigstens der Name wieder zurück. Und das ist etwas was der Rabbi von Köln mir mitgegeben hat: ‘Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist'”. Der Künstler möchte allen Opfergruppen, die von den Nazis verfolgt wurden, damit ehren. Überall in Europa, wo die SS, die Wehrmacht und die Gestapo ihr Unwesen getrieben haben, werden deswegen symbolisch einige Steine verlegt werden.

Übrigens: Das “Stolpern” im Wort Stolpersteine erklärte Demnig mit einem Zitat eines Hauptschülers: “Man fällt nicht hin, man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen”. Wer mehr über die Stolpersteine und die Biographien der Opfer in Osnabrück erfahren möchte, kann sich die Stadtkarte mit den Stolpersteinen im Internet ansehen.


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