Eine Verkettung unglücklicher Zufälle sowie letztendlich ein Montagefehler an der dritten Gehegebarriere führten zu dem tragischen Ausbruch der Mischlingsbärin Tips im Zoo Osnabrück vor rund drei Wochen. Das Präsidium der Zoogesellschaft Osnabrück e.V. unterstützt die Zoomitarbeiter und trägt die schwere Entscheidung den Bären zu erschießen mit.

AFP

Am 11. März 2017 brach Mischlingsbärin Tips aus ihrem Gehege im Osnabrücker Zoo aus. Sie musste im Eingangsbereich erschossen werden (HASEPOST berichtete), da sie einen Mitarbeiter angreifen wollte. Zwar hatten die Mitarbeiter auch ein Narkosegewehr vor Ort, allerdings wirken Narkosemittel erst ab circa 10 bis 20 Minuten – eine Zeitspanne, die angesichts der Gefahr für die Mitarbeiter sowie für die zahlreichen Besucher, die am Eingangsbereich warteten, nicht riskiert werden konnte.

„Wir haben mit externen Experten und großer Sorgfalt den Hergang und die Ursache des Ausbruchs rekonstruiert und untersucht“, berichtet Zoodirektor Prof. Michael Böer. „Die Bärin Tips hat insgesamt drei Barrieren überwunden: Zunächst einen 1,20 Meter hohen elektrischen Zaun, der ihr auch bekannt war. Normalerweise erkennen Tiere derartige Vorrichtungen als Gehegegrenze an.

War es der Jagdtrieb?

Wir vermuten, dass ein wildlebendes Kaninchen oder auch ein Silberfuchs sie nach in der Winterruhe in starke Jagdstimmung versetzt hat.“ Die Winterruhe sei eine Zeit mit sehr wenigen visuellen oder akustischen Reizen, sodass die Tiere anschließend durch Licht, Gerüche und Bewegungen sehr schnell in starke Jagdstimmung kommen. „In der Erregung fokussieren sich die Tiere, so auch Tipps, nur auf ihr Jagdziel und blenden alles andere aus. So konnte die Bärin durch die drei Leitungen des Zauns gehen, ohne sich an dem Strom zu stören – wie wir auch an ihren Fußspuren sehen konnten“, erläutert Böer. Zwischen E-Zaun und großem Außenzaun angekommen und etwas ruhiger stellte der E-Zaun jedoch wieder ein unüberwindbares Hindernis für sie dar. Auf der Suche nach einem Weg zurück in ihr Gehege untersuchte die Bärin die 35 mal 40 Zentimeter große Klappe zum benachbarten Gehege der Silberfüchse. „Da sie durch die Winterruhe stark abgemagert und die Muskulatur gering war, was aber aufgrund ihres dicken Winterfells nicht ersichtlich war, konnte sich die Bärin mit ihren 300 Kilogramm hindurchdrücken – eine Tatsache, die wir nie für möglich gehalten hätten“, erläuterte Böer. Das Team vermaß die tote Bärin, um hier Sicherheit zu haben: Der Durchmesser des Kopfes betrug 30 Zentimeter, der Schultern 40 Zentimeter und das Becken 35 Zentimeter.

Hybridbärin "Tips",
Hybridbärin „Tips“, ein Bild aus besseren Tagen.

Montagefehler an dritter Barriere

Bei der letzten Barriere im Silberfuchsgehege, die ihr hätte Einhalt gebieten sollen, einem circa 4 Meter hohen Stabgitterzaun, der oben vom Besucherhöhenpfad zusätzlich begrenzt wird, lag an einem einzigen Element unglücklicherweise ein verdeckter Montagefehler vor. Dieser war mit dem bloßen Auge nicht erkennbar. „Tips hat sich zufällig genau dieses Element ausgesucht, sich mehrmals dagegen gelehnt und das Element gab nach“, so Böer. „Wir haben diese Stelle mit einem Statiker genau untersucht und dabei entdeckten wir, dass ein einziges Gitterelement nicht mittig in der Halterung saß und dadurch von der Bärin ausgehebelt werden konnte.“ Der Fehler sei auf Seiten des Zoos nach Fertigstellung des neuen Bereiches im Jahr 2011 entstanden, aufgrund der zurückliegenden Jahre aber nicht weiter zurückzuverfolgen. „Wir sind darüber natürlich sehr erschüttert, aber wo Menschen arbeiten, passieren trotz Vorschriften und Kontrollen leider manchmal Fehler. Wir haben sofort Konsequenzen ergriffen und alle anderen Bereiche genau untersucht sowie die Qualitätskontrolle im Team optimiert“, betont Böer. „Grundsätzlich ist der Stabgitterzaun aber für die Bärenhaltung geeignet, wie auch die zuständige Firma nach dem Vorfall erneut bestätigte.“ Die in Zoos verwendeten Zäune werden entsprechend Gewicht und Kraft der jeweiligen Tiere unter Einbezug von statischen Berechnungen zu Fundament- und Stützenstärke der Zaunkonstruktion ausgewählt. Zusätzlich tauschen die Zoos untereinander Erfahrungswerte zu Einfriedungen für Tiere aus.

Blick in die Zukunft

Der Zoo nimmt die Ursachenforschung sowie daraus abzuleitende Optimierungen in Sicherheitsfragen und Abläufen bei möglichen Tierausbrüchen sehr ernst. „Wir haben in den vergangenen Wochen aufgrund dieser neuen Erkenntnis alle Gehege der Tierarten aus der Kategorie ‚besonders gefährlich‘ und ‚gefährlich‘ nochmals untersucht – insbesondere mit Blick auf dieses Detail in der Montage. So waren beispielsweise auch die Löwen zwei Tage nicht auf ihrer Außenanlage, damit wir alle Zäune in Ruhe inspizieren konnten“, berichtet Böer. Am Bärengehege selbst wurde der große Außenzaun, bevor Mischlingsbär Taps wieder auf die Außenanlage durfte, zusätzlich komplett geprüft. Der Zaun wurde zwar für sicher befunden, dennoch legten die Zoomitarbeiter zusätzliche Schellen an die Pfeiler, um auch die richtig montierten Gitterelemente doppelt zu sichern. Darüber hinaus wurde der E-Zaun verstärkt: Hier verlaufen nun fünf statt drei Leitungen, sodass die Zwischenabstände kleiner sind. Zusätzlich wurde die Fuchsklappe auf 20×20 Zentimeter verkleinert. „Wir möchten hier nun zu 150 Prozent sicher sein. Parallel schauen wir auch, wie wir unsere Evakuierungspläne weiter verbessern können. Die Evakuierung hat gut geklappt, dennoch helfen uns die Rückmeldungen der Besucher, die Abläufe weiter zu optimieren. So werden wir jetzt mit externen Spezialisten das Lautsprechersystem auf unserem weitläufigen Gelände erweitern“, berichtet Böer. „Uns ist es sehr wichtig, dass Besucher und Tiere bei uns sicher sind. Dank der schnellen Reaktionen unserer Mitarbeiter und Besucher wurden bei dem Vorfall zwar keine Menschen verletzt – worüber wir sehr froh sind – aber wir sind alle sehr traurig über den Verlust der Bärin. Unsere Mitarbeiter sind auch noch drei Wochen nach dem Vorfall sehr betroffen.“ 

Unterstützung durch das Zoo-Präsidium

Reinhard Sliwka, Präsident der Zoogesellschaft Osnabrück e.V., Hauptträger des gemeinnützigen Zoos, unterstützt derweil im Namen des gesamten Präsidiums die Entscheidung, den Bären zu erschießen: „Unseren Zoo-Mitarbeitern blieb nichts anderes übrig, da der Bär einen Mitarbeiter angreifen wollte und damit sicherlich tödlich verletzt hätte. Außerdem befand sich das Raubtier in unmittelbarer Nähe des Eingangs, wo sich viele Besucher versammelt hatten – diese waren damit ebenfalls gefährdet. Das gesamte Präsidium trägt diese schwierige Entscheidung mit und steht hinter dem Zoo-Team.“ Vielen sei vielleicht nicht bewusst, wie gefährlich so ein großer Bär sei: „Bären erinnern häufig an Teddybären und wirken sehr behäbig. Sie haben zudem keine Mimik, sodass sie immer den gleichen freundlichen Gesichtsausdruck haben. Sie können jedoch sehr aggressiv und auch sehr schnell werden und uns Menschen tödlich verletzen – es sind halt große Raubtiere“, unterstreicht der Zoopräsident. Besonders gefreut haben sich ehrenamtliche wie hauptamtliche Zoo-Mitarbeiter über die zahlreiche Unterstützung und vielen tröstenden Worte durch Zoofreunde, berichtet Sliwka: „In so einer schweren Zeit tut die Anteilnahme sehr gut. Wir haben sogar Äpfel für Taps und Süßigkeiten für die Zoomitarbeiter als Nervennahrung erhalten. Das hat uns sehr gerührt – gerade auch weil wir nicht nur das Geschehen sondern auch viele Anfeindungen im Internet, per Telefon oder auch persönlich verkraften mussten.“

 

Titelfoto: Zoo Osnabrück, Thorsten Vaupel