Die Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 2020 – von Einigkeit und dem „American Dream“ ist heute nur noch wenig übriggeblieben. Das Land ist gespalten: Demokraten und Republikaner stehen sich entgegen und schicken Joe Biden sowie den aktuell amtierenden Präsidenten Donald Trump in den Wahlkampf. In nur wenigen Tagen wird das vorläufige Ergebnis der US-amerikanischen Wahl feststehen und die Gleise für die Zukunft des „Landes der unbegrenzten Möglichkeiten“ legen.
Die USA haben bereits bessere Zeiten gesehen als unter der Präsidentschaft von Donald Trump. Innerhalb von vier Jahren sorgte der aktuell amtierende Präsident unter dem Motto „Make America Great Again“ für viele Furore: Die Forderung nach einer Mauer vor Mexico, der „Muslim Travel Ban“, die Leugnung des Klimawandels, das gescheiterte Impeachment-Verfahren und schließlich sein Umgang mit der andauernden Corona-Krise sowie der „Black Lives Matter“-Bewegung haben das einst vereinte Land gespalten. Als Präsident der Vereinigten Staaten hat er in seiner Amtszeit knapp 230.000 Corona-Todesfälle zu verantworten – sein Vorschlag, Desinfektionsmittel gegen das neuartige Virus zu trinken oder es sich zu spritzen, wurde glücklicherweise nicht von vielen seiner Anhänger befolgt. Seit Beginn seiner Amtszeit und vor allem heute steht Trump deswegen unter harter Kritik. Die Präsidentschaftswahl am 3. November 2020 stellt für US-Amerikaner einen Wendepunkt dar, bei dem sich die Zukunft der USA entscheiden wird.
Die US-Wahlen und das Wahlmänner-System
Biden oder Trump? Vor dieser alles entscheidenden Frage werden Millionen US-Bürger stehen. Was für viele Deutsche nicht ganz klar ist: Die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten laufen anders ab als Bundestags- oder Bundeskanzlerwahlen. In den USA wird nach dem Wahlmänner-System gewählt – das heißt, dass die Bürger nicht direkt für einen Präsidenten abstimmen, sondern mit ihrem Stimmzettel ein „Electoral-College“ bestimmen, das aus 538 Wahlmännern besteht und dann für sie wählt. Jeder Bundesstaat hat eine verschiedene Anzahl an Wahlmännern, die durch die Einwohnerzahl des Staats bestimmt wird. Der Staat Rhode Island hat vier Wahlmänner, die zur Abstimmung entsandt werden – Kalifornien entsendet insgesamt 55. In nahezu allen Staaten erfolgt die restliche Wahl nach dem „winner-takes-it-all“-Prinzip: Der Kandidat, der über die Hälfte der Stimmen für sich gewinnen kann, erhält die Stimmen aller Wahlmänner aus einem Staat. Am 14. Dezember stimmt das „Electoral-College“ dann für einen Präsidenten ab. Das Entscheidende: Die Wahlmänner sind nur durch Ethos und nicht durch das Gesetz daran gebunden, hier die „richtige“ Stimme abzugeben.
Nicht alle US-Bürger sind wahlberechtigt
Als Gewinner der Präsidentschaftswahl geht der Kandidat hervor, der die absolute Mehrheit an Wahlmännern hat – also benötigt er die Stimmen von mindestens 270 der 538 Wahlmänner. Auf dieses zumindest teilweise fragwürdige demokratische Wahlverfahren stoßen auch Einschränkungen in der Wahlberechtigung. Personen, die straffällig geworden sind, kann das Wahlrecht entzogen werden. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich wahlberechtigte Personen vor der eigentlichen Wahl am 3. November in ein Wahl-Register eintragen mussten – das gestaltet sich je nach Staat kompliziert und benötigt teilweise eine lange Bearbeitungszeit. Die Hürden, die US-Amerikanern in den Weg gelegt werden, sorgen für eine geringe Wahlbeteiligung: Sie liegt aktuell ungefähr bei 50 Prozent.
Zusammengefasst: Am 3. November wählen die US-Bürger, für welchen Kandidaten die Wahlmänner ihres Staates abstimmen sollen. Viele Bürger haben bereits per Briefwahl gewählt. Der Kandidat, der die meisten Stimmen bekommt, erhält alle Stimmen aus dem Staat. Am 14. Dezember gehen die Wahlmänner „zu den Lokalen“ und bestimmen über die Zukunft Amerikas – obwohl sie nicht rechtlich dazu verpflichtet sind, den Kandidaten zu wählen, der ihnen durch das „winner-takes-it-all“-Prinzip vorgegeben wurde.
Aus dem Schattendasein zum Publikumsliebling
Während Trump es innerhalb der vergangenen Jahre geschafft hat, zur einer symbolischen (Witz-)Figur in den sozialen Medien zu werden, gestaltet sich Joe Bidens Wahlkampf eher ruhiger. Der 77-Jährige ziert nicht annähernd so oft wie sein Konkurrent die Schlagzeilen der Boulevard-Presse und steht deswegen weiterhin in seinem Schatten. Um Biden aus diesem Schattendasein zu holen, bekennen sich immer mehr prominente US-Bürger zu dem Demokraten, darunter Taylor Swift, Billie Eilish, Michelle Obama und Dwayne „The Rock“ Johnson. Unter den Hashtags #vote4bidenharris und #votebidenharris2020 werden gerade jüngere US-Bürger dazu aufgefordert, wählen zu gehen und ihre Meinung auszudrücken – „Make him Sweat“ ist das Motto in den sozialen Netzwerken. Doch Biden wird nicht nur aus seinen eigenen Riegen unterstützt; auch zahlreiche Republikaner stellen sich hinter ihn. John Kasich (ehemaliger Gouverneur von Ohio), Miles Taylor (ehemaliges Mitglied der Trump-Administration), Colin Powell (Vier-Sterne-General und ehemaliger Außenminister der Vereinigten Staaten unter George W. Bush) und noch viele mehr haben bekannt gegeben, dass sie nicht für Trump stimmen werden, weil sie die Demokratie sonst in Gefahr sehen.
Wahl zwischen „Pest und Cholera“?
Wirklich zufrieden scheint aber keiner mit der Kandidatur Joe Bidens zu sein. In Deutschland wird die US-Wahl oft als eine „Wahl zwischen Pest und Cholera“ beschrieben. „Das Problem ist, dass sich viele etwas anderes von einem Demokraten erhoffen. Biden ist vielen nicht mehr ‚modern‘ genug und polarisiert nicht annähernd so viel wie Trump“, erzählt Irina Brittner, Dozentin für Amerikanistik an der Universität Osnabrück, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Biden sieht sich selber als Jemanden, der die Nation vereint und will Kompromisse schaffen. Gerade in der aktuellen Situation rund um Corona und die Unruhen um George Floyd will er Stabilität geben; anstatt wie Donald Trump draufzuhauen. Deswegen handelt es sich bei der Wahl auch nicht um die ‚Wahl zwischen Pest und Cholera‘ – das Sprichwort drückt aber aus, dass kein Kandidat da ist, mit dem sich Wähler wirklich identifizieren können.“
Aus „Election Night“ wird „Election Week“
Das studentische Projektseminar „U.S. Presidential Elections 2020: Make Democracy Great Again!?“ unter der Leitung von Brittner hat die US-Wahl etwas genauer unter die Lupe genommen. Die „Election Week“ soll Einblicke in die Mechanismen hinter der Wahl geben: „Die ‚Election Week‘ ist für alle gedacht und auf ein breites Publikum ausgelegt. Wir versuchen einen guten Mittelweg aus Wissenschaftlichkeit und Alltäglichkeit zu finden“, so die Dozentin des Fachbereichs Amerikanistik. Schon bei den vergangenen Wahlen stieß die „Election Night“ der Universität auf große Resonanz: „Sonst fand die Veranstaltung zur US-Wahl im Kreishaus Osnabrück am Wahltag statt. Hier hatten wir einen großen Hörsaal und der war auch ganz gut gefüllt.“ In diesem Jahr mussten die Lehrenden und Studierende aufgrund der aktuellen Corona-Situation auf ein anderes Format zurückgreifen.
Fundamentale Aspekte der Demokratie
In einer „Election Week“ soll das Programm entzerrt und in die virtuelle Welt verlegt werden. Auf dem YouTube-Kanal des Projektseminars werden seit dem 28. Oktober Videos hochgeladen, die sich unter anderem satirisch mit der US-Wahl befassen. Der Höhepunkt der „Election Week“ am morgigen Dienstag kann allerdings nur von Studierenden abgerufen werden: Auf dem universitätseigenen Portal stud.ip wird es nach einem vorab aufgezeichneten Vortrag von Matt LeMieux, einem US-amerikanischen Rechtsanwalt, eine virtuelle Diskussion der Lehrenden des Fachbereich Amerikanistik geben. „In der Veranstaltung wollen wir auf wirklich fundamentale Aspekte der Demokratie hinweisen und auch auf das Wahlsystem in den Vereinigten Staaten eingehen. Schon seit den 60er Jahren besteht die Debatte, ob das ‚Electoral College‘ abgeschafft werden soll – und wie demokratisch es eigentlich ist.“ Studierende, die an der Teilnahme interessiert sind, können sich in die Veranstaltung „US Election 2020: Make Democracy Great Again!?“ bei stud.ip eintragen. Sie findet am Dienstag ab 20 Uhr statt.