Der Botanische Garten in Osnabrück hat auch in diesem Jahr wieder meckernde Besucher: Eine kleine Herde Ziegen ist in den naturnahen Steinbruch des Botanischen Gartens eingezogen. Über mehrere Wochen machten sich die 14 Tiere, darunter neun Zicklein, als “Landschaftspfleger” nützlich.
Krankenhaus oder doch ein Parkhaus? Bevor die beiden Steinbrüche am Osnabrücker Westerberg in den 1960-er Jahren zum Landschaftsschutzgebiet erklärt wurden, hatten Planer unterschiedlichste, kreative Ideen, wie man das Gelände am effektivsten nutzen könnte. Statt einem „Krankenhaus am Steinbruch“ ging 1984 aus einem Teil des Areals schließlich der Botanische Garten der Universität Osnabrück hervor. Mittlerweile umfasst das Gelände mehr als 8 Hektar und bringt ein Stück (exotische) Natur in die Friedensstadt.
Freundeskreis Botanischer Garten
Mit der Errichtung trat circa zwei Jahre später der Freundeskreis Botanischer Garten der Universität Osnabrück e.V. hervor. Seit 1986 setzten sich zahlreiche Helferinnen und Helfer mit verschiedensten Tätigkeiten für den Garten mit dem besonderen Naturerlebnis ein. Dieser Einsatz reicht allerdings über das Gießen und Pflegen der Pflanzen hinaus – regelmäßig organisiert der Freundeskreis verschiedenste Veranstaltungen und unterstützt Wissenschaft, Lehre und Forschung.
“Unglaublich schützenswertes Areal”
Im Jahr 2007 gelang den Mitgliedern ein weiterer großer Schritt zum Ausbau des Botanischen Gartens: Für den verbliebenen „zweiten“ Steinbruch, konnte mit dem Eigentümer, der Stadt Osnabrück, ein 30-jähriger Pachtvertrag abgeschlossen werden. „Das ist ein unglaublich schützenswertes Areal“, erklärt Yvonne Bouillon, technische Leiterin des Botanischen Gartens, „einige Teile wurden zudem unter besonderen Biotopschutz gestellt.“ Im naturnahen Steinbruch leben mittlerweile über 200 Arten – einige davon sind sehr selten. „Von den 56 festgestellten Moosarten befinden sich fünf Arten auf der Roten Liste der Moose Niedersachsens und Bremens“, ergänzt Bouillon.
Platz zum Überleben für seltene Arten
„Das besondere an dem Gelände ist die Kombination von verschiedenen Standortbedingungen“, so Markus Karow, Biologe von der „Grünen Schule“, die es sich seit Gründung im Jahr 1993 zum Auftrag gemacht hat, Besucherinnen und Besuchern Wissen über die vielfältige Pflanzenwelt des Botanischen Gartens zu vermitteln. „Dank der Unterstützung zahlreicher fleißiger Helferinnen und Helfer, sowie der Haarmann-Stiftung, ist es uns gelungen invasive Pflanzen, wie die Herkulesstaude oder den Japanischen Knöterich einzudämmen“, erklärt er, „letzteren sieht man an zahlreichen Orten hier in Osnabrück.“ Durch das Entfernen dieser Pflanzen im Steinbruch, soll speziellen Arten, wie dem unter Naturschutz stehenden Kalk-Magerrasen, genug Platz zum Überleben geschaffen werden. Ohne Außeneinfluss verschwinden die artenreichen Magerrasen innerhalb weniger Jahre. Ein weiteres Ziel ist es, die natürliche Bewaldung der Fläche zu verhindern – eine zeitintensive Angelegenheit. „Für das Entfernen der Eschenkeimlinge über 30 Meter haben wir mit mehreren Personen manchmal vier bis fünf Stunden gebraucht“, berichtet Karow.
Ziegen halten Einzug
Doch nicht nur engagierten Ehrenamtliche können den naturnahen Steinbruch am Westerberg ihre „zweite Heimat“ nennen – auch eine Herde Ziegen zählt seit geraumer Zeit regelmäßig zu den besonderen Bewohnern des Areals. „Dies ist bereits das fünfte Jahr, dass wir das Projekt Weidetiere im naturnahen Steinbruch in Angriff nehmen“, erklärt Bouillon bei einem Rundgang über das Gelände. Insgesamt 14 Tiere, fünf Muttertiere und ihre Zicklein, durften in den vergangenen fünf Wochen im Steinbruch Landschaftspflege betreiben. „Seit 2017 kommen die Tiere zweimal im Jahr zu uns“, fügt sie hinzu. In diesem Jahr wurde die Gruppe neu zusammengewürfelt. „Anfangs waren die Tiere ein wenig zurückhaltend. Mithilfe von ein paar Leckerlis konnte ich sie allerdings schnell an mich gewöhnen“, schmunzelt Karow.
Eschen, Ahorn und Stauden
Besitzer der Ziegen ist Ludger Weiligmann aus Lengerich. „Zurzeit habe ich insgesamt 100 Ziegen, die unter anderem am Silberberg, in Bad Iburg, Lengerich und am Piesberg Landschaftspflege betreiben“, berichtet er. „Im naturnahen Steinbruch am Westerberg beknabbern die Ziegen Eschen, Ahorn und Stauden“, erklärt Bouillon. Und auch die Rinde älterer Gehölze bleibt nicht verschont: „Durch das Abknabbern der Rinde kann Stockausschlag reduziert werden.“ Somit wird die Ausbildung von neuen Seitensprossen an Stümpfen gefällter Bäume oder Sträucher eingedämmt.
Herkulesstaude – ein unliebsamer Bewohner
Ein besonders unliebsamer, pflanzlicher „Bewohner“ des naturnahen Steinbruchs ist die Herkulesstaude. „Beim Menschen kann der Saft der Pflanze auf der Haut zu schweren Reizungen oder Verbrennungen führen“, erklärt Biologe Karow. Früher hat er die Staude regelmäßig mit einer Handsense „abgesenst“. Nun schafft die Beweidung durch Ziegen bei dieser unscheinbaren Gefahr Abhilfe. „Die Ziegen ernähren sich während ihrer Zeit im naturnahen Steinbruch, vollständig von den hier wachsenden Pflanzen. Natürlich sorgen wir dafür, dass den Tieren stets ausreichend Wasser zur Verfügung steht. Außerdem haben wir mithilfe einer Plane einen provisorischen Unterstellplatz errichtet“, so Bouillon.
“Bitte nicht füttern”
Schilder am Zaun rund um den naturnahen Steinbruch weisen darauf hin, die Ziegen nicht zu füttern. „Das hat zum einen den Grund, dass die Gesundheit der Ziegen nicht gefährdet werden soll. Zum anderen sollen die Tiere das Gelände beweiden und nicht anderweitig gefüttert werden“, so die technische Leiterin des Botanischen Gartens. „Glücklicherweise haben wir in diese Richtung noch keine schlechten Erfahrungen gemacht“, fügt Karow hinzu.
Vollzähligkeit und Wohlbefinden
Bouillon zieht ein Fazit: „In der kurzen Zeit, in der sie hier waren, haben die Ziegen gut was abgefressen. Irgendwann ist es ausgereizt. Im September, wenn die Tiere wiederkommen, sollte einiges nachgewachsen sein.“ Doch auch die Ziegen haben ihre Grünzeug-Präferenzen: Ausgerechnet den invasiven Japanischen Knöterich nahmen die kurzzeitigen Bewohner des Steinbruchs nur zögerlich an. „Zudem sollte man den Betreuungsaufwand nicht unterschätzen. Uns ist es wichtig, dass es den Tieren gut geht“, so die technische Leiterin des Botanischen Gartens. Vollzähligkeit und Wohlbefinden der Ziegen musste im Stadtgebiet Tag und Nacht überwacht werden.
Sinnvolle Unterstützung
Die Tiere können somit zeitintensive Arbeiten im naturnahen Steinbruch nicht ersetzen, den Ehrenamtlichen allerdings sinnvoll unter die Arme greifen. Am vergangenen Montag (27. Juli 2020) holte Weiligmann seine Tiere aus dem naturnahen Steinbruch ab. „Ob im September wieder dieselbe Herde zu uns kommen wird, wissen wir noch nicht. In jedem Fall freuen wir uns auch im Herbst wieder über die tierischen Bewohner“, so Bouillon abschließend.