„Und auch das war wieder nur ein Statement“, kommentierte Ausschussvorsitzende Anette Meyer zu Strohen, sichtlich um Fassung bemüht, am Donnerstagabend den Redebeitrag des Ausschussmitglieds Giesela Brandes-Steggewentz.
Aus der Präsentation einer von der Wirtschaftsförderung beauftragten Studie zum Osnabrücker Stadthafen wurde an diesem Abend eine Grundsatzdiskussion, an deren Extrempunkten die Umgestaltung des Hafens für Freizeitzwecke oder die Nutzung als wichtiger Baustein für die Infrastruktur des Standorts Osnabrück stand.
Linken-Politikerin will Amazon-Logisitk mit dem Binnenschiff verhindern
Die Linken-Fraktionsvorsitzenden Brandes-Steggewentz hatte in ihrem Statement einen Bogen vom Stadthafen zum boomenden Onlinehandel gezogen und am Ende einer für den Beobachter nur schwer nachvollziehbaren Argumentationskette dafür plädiert, dass der Osnabrücker Stadthafen nicht zum Umschlagplatz für mit dem Binnenschiff angelieferte Amazon-Pakete werden dürfe.
Abgesehen davon, dass Amazon eher darüber nachdenkt wie noch am gleichen Tag mit Drohnen und über den Luftweg geliefert werden kann, wobei Binnenschiffe sicher nicht zur Diskussion stehen, stand auf der Tagesordnung der letzten Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umwelt (StUA) lediglich die Präsentation und Kenntnisnahme einer bereits 2017 vom Rat der Stadt in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsförderung (WFO) und den Stadtwerken beauftragten Studie für einen Masterplan „Steigerung des Schiffsumschlags im Osnabrücker Stadthafen“.
Zu entscheiden gab es nichts, doch das hielt die Ausschussmitglieder nicht auf.
Osnabrücker Hafen wichtiger Umschlagplatz für Massengüter
Zurück zu Studie, die so viele Wortbeiträge der Lokalpolitiker auslöste: In einem kompakten und sachlich vorgetragenen Vortrag blickte ein Vertreter der mit der Erstellung beauftragten Prognos AG zu Beginn auf das über mehr als 20 Jahre im wesentlichen konstante Frachtaufkommen zurück. Im weiteren Verlauf wurden die rund 40 direkt oder indirekt an den Stichkanal und das Hafenbecken angrenzenden Unternehmen vorgestellt, sowie die Ergebnisse einer Befragung dieser Unternehmen hinsichtlich ihrer Einschätzung, wie sich das Frachtaufkommen perspektivisch entwickeln werde.
Im Rückblick zeigte sich, so ein Ergebnis der Prognos-Studie, dass von den im Hafen hauptsächlich umgeschlagenen Massengütern (vorrangig Zellstoffe, Mineralölerzeugnisse, Eisenschrott sowie Steine und Erden) in den vergangenen Jahren einzig der Umschlag von Heizöl und Treibstoffen für Wachstum gesorgt hatte.
Mehr als 600.000 Tonnen Frachtumschlag pro Jahr, die der Grenzwert für die Einstufung in das Kernnetz C des Bundesverkehrswegeplans 2030 sind, wurden 2015 jedoch nur haarscharf verfehlt.
Da das Frachtaufkommen in den vergangenen Jahren durchgängig knapp unter und nur selten über dieser 600.000 Tonnen Grenze lag, konstatierte der Grüne Ratsherr Sebastian Bracke, dass angesichts eines in anderen Bereichen stetig steigenden Frachtaufkommens, die Bedeutung des Hafens für den Warenverkehr seiner Ansicht nach eher als rückläufig anzusehen sei.
Prognos-Forscher sehen Entwicklungschancen für den Hafen
In einem Minimalszenario kann, so die Forscher der Prognos AG, die sich auf die ermittelten Wachstumspläne der im Hafen ansässigen Nutzer stützen, perspektivisch ein Schiffsumschlag von mehr als 650.000 Tonnen pro Jahr erreicht werden, weshalb der Hafen auch bald in die Wasserstraßenklasse C des Bundesverkehrswegeplans aufgenommen werden könne.
In einem von Prognos ebenfalls ermittelten Maximalszenario könnte der Schiffsumschlag der bisherigen Hafennutzer und von bisher nicht im Hafen ansässigen Betrieben durch Hebung weiterer Potenziale auf 968.760 Tonnen pro Jahr gesteigert werden.
Bei einem Schiffsumschlag von dann knapp erreichten 1 Mio. Tonnen ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis für den Ersatzneubau der beiden Schleusen in Haste und Hollage ausgeglichen. Damit wäre im Maximalszenario die notwendige Bedingung für die Aufnahme dieser Investitionen als „vordringlicher Bedarf“ in den Bundesverkehrswegeplan fast erreicht.
In Zukunft autonome Binnenschiffe mit Elektroantrieb?
Aber auch wenn die für moderne Binnenschiffe zu schmal dimensionierten Schleusen des Stichkanals nicht erneuert werden, sehen die Verkehrsforscher dennoch Zukunftspotential für den Warenverkehr auf dem Wasser. Zukünftig könnten Schubverbände, die sich an den vorhandenen Engstellen in Haste und Hollage aufteilen lassen, weiterhin die Erreichbarkeit des Hafens sicherstellen.
Perspektivisch erwarten die Prognos-Forscher eine Umstellung der alten langsamlaufenden und dreckschleudernden Schiffsdiesel auf moderne Elektroantriebe. Auch autonome oder zumindest auf dem letzten Abschnitt von Hollage aus selbstfahrende Schiffskonzepte wären denkbar. Um die Zukunft des Hafens zu sichern solle jedoch neben der Fokussierung auf neue Technologien in der Binnenschifffahrt auch der Ersatzneubau der Hollager und Haster Schleuse und ein Ausbaggern des Hafenbeckens, das aktuell flacher ist als der eigentliche Stichkanal und damit die maximale Zuladung der Schiffe limitiert, ins Auge gefasst werden.
Stadtbaurat Otte stellt gesamte Studie in Frage
So viel konkrete Handlungsempfehlung war dann aber den Grünen im Ausschuss zu viel. Als Stichwortgeber fungierte der Stadtbaurat.
Frank Otte erklärte, dass er ja die Forschungsfrage ganz anders gestellt hätte. Seiner Ansicht nach hätte man der Untersuchung die Frage voranstellen stellen sollen, welche anderen Möglichkeiten man hätte, um den Hafen zu nutzen.
Diesen Ball nahm sein Parteifreund Michael Kopatz dankend auf, verwies auf den zu einer Event-, Büro und Wohnfläche umgestalteten Hafen in Münster und bezeichnete die Nutzung des Osnabrücker Hafens für den Verkehr mit Massengütern als „totes Pferd“, das man nicht weiterreiten solle.
Kopatz zählte dabei nochmals die dort häuptsächlich umgeschlagenen Güter auf und meinte wohl vor allem die für die individuelle Mobilität nachgefragten Mineralölprodukte, die seiner Ansicht nach keine Zukunft haben würden.
Nicht ganz soweit gehen wollte Heiko Panzer (SPD), der allerdings kritisierte, dass die Macher der Studie davon ausgehen würden, dass mit der Attraktivierung des Hafens ein Ansatz verfolgt würde, bei dem erst das Angebot komme, mit dem dann eine Nachfrage stimuliert werden solle, die es so seiner Ansicht nach nicht geben würde.
Münsters Hafen war bereits tot, Osnabrücks Hafen ist aktiv
Bemüht die ausufernde Diskussion wieder einzufangen, erinnerten die beiden Ratsmitglieder Verena Kämmerling und Rita Feldkamp (beide CDU), dass es für den Ausschuss überhaupt nichts zu beschliessen gäbe. Beide wiesen auch auf die gänzlich andere Situation in Münster hin, wo der Hafen über lange Zeit ungenutzt war, bevor er umgestaltet wurde, während der Hafen Osnabrück durchaus nennenswerten Warenumschlag zu verzeichnen habe und für einige Unternehmen existentiell sei.
Auch Thorsten Wassermann (Unabhängige, ehemals BOB) zeigte sich zurückhaltend angesichts der ablehnenden Haltung der Grünen mahnte an, vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftslage doch erstmal abzuwarten „wo die Reise hingeht“.
Mit einem Seitenhieb auf die Ablehnung des allgemein als umweltfreundlich geltenden Binnenschiffs durch den Grünen Michael Kopatz und seiner offenen Abneigung gegen die im Hafen ansässigen Unternehmen der Mineralölwirtschaft, gab es von CDU-Ratsfrau Kämmerling eine wohlgesetzte Spitze in Richtung der Grünen: „Nur weil einem persönlich ein paar Unternehmen nicht passen, kann man sie nicht rausekeln“, und weiter „es macht Sinn dieses Pferd weiterzureiten“.
Neuansiedlungen am Hafenbecken werden nicht mehr erwartet
Die Analysen der Prognos-Forscher und ein Wortbeitrag von Stadtwerke-Chef Dr. Stephan Rolfes bereiteten den Weg für eine tatsächlich an diesem Abend durch den Ausschuss zu treffende Entscheidung.
Bei der Analyse des Ist-Zustandes des Osnabrücker Stadthafens wurden nur noch zwei potentielle Erweiterungsflächen für eine mögliche Neuansiedlung von Betrieben, die einen direkten Zugang zur Wasserstraße benötigen, identifiziert. Der alte Ölhafen direkt vor der Haster Schleuse und ein kleines Waldstück hinter dem Firmengelände der Firma Rawie, angrenzend an das Hochregallager der Spedition Hellmann an der Dornierstraße in Eversburg.
Stadtwerke Chef Rolfes und der Prognos-Forscher erklärten übereinstimmend, dass eine Ausweitung des Warenumschlags im Osnabrücker Hafen nur von den dort bereits ansässigen Unternehmen erfolgen könne.
Dass sich irgendwo in Deutschland ein Unternehmen auf die Suche nach einem Grundstück mache, das einen direkten Zugang zu einer Wasserstraße hat, betrachteten beide Fachleute für unwahrscheinlich, zumal der Stichkanal Osnabrück eben nicht direkt der Mittellandkanal sei und die vorgelagerte Schleuse Haste das zur Diskussion stehende Waldstück nochmals unattraktiver mache.
Vor diesem Hintergrund entschlossen sich die Ausschussmitglieder, die dann doch noch etwas zu entscheiden hatten, die Verwaltung damit zu beauftragen eine planungsrechtlichen Absicherung der Waldflächen zwischen Dornierstraße und Stichkanal vorzubereiten.
Kommentar des Redakteurs
Wie wohltuend waren doch die ersten Rats- und Ausschusssitzungen während der Corona-Krise, als sich die Lokalpolitiker noch darauf konzentrierten sachlich zu diskutieren und Entschlüsse zu fassen um die gemeinsame Zeit in geschlossenen Räumen kurz zu halten.
Ist es wirklich so schwer zu verstehen, wenn in der Tagesordnung zu einer wirklich gut aufbereiteten und vorgetragenen Präsentation einer Studie lediglich steht „Kenntnisnahme“?
Wie realistisch ist es Bitteschön, wenn mehr als ein Redebeitrag der Grünen sich darum rankt, dass man eine ausgewachsene Bundeswasserstraße zum dann wohl längsten Freiluftschwimmbecken der Republik, von Eversburg bis Bramsche, umgestalten könne? Und der Verweis auf Amazon, deren Ansiedlung am Hafenbecken verhindert werden müsse, kann von der Osnabrücker Linken-Chefin eigentlich nicht ernst gemeint gewesen sein. In der Welt in der einige Politiker leben, sind aber auch die absurdesten Ideen noch einen Redebeitrag wert.
Nun gut, 600.000 Tonnen Frachtumschlag, das mag ja irgendwie nicht nach viel klingen, aber es sind immerhin (gemessen an der maximalen Zuladung) rund 24.000 LKW-Ladungen, die nicht über die Straße abgewickelt werden müssen. In Güterzügen gerechnet wären das über 500 komplette Züge (je nach Streckenlast), die sich den Fahrweg mit Personenzügen streitig machen müssten.
Eigentlich sollte die Binnenschifffahrt ein absolut grünes Thema sein, aber weil unter der im Osnabrücker Hafen abgewickelten Fracht auch Mineralölerzeugnisse sind, stellen die ökobeseelten Freizeitpolitiker gleich den gesamte Binnenschifffahrt in Frage. In Kurzform: LOL und OMG!
Aber auch wenn man die Treibstoff- und Heizölhändler außen vor lässt und sich die anderen Hauptkunden des Osnabrücker Hafens anschaut, zeigt sich wie absurd die Diskussion über eine Umwandlung des Hafens zu einer Freizeitoase ist.
Das Stahlwerk in Georgsmarienhütte, dessen Produktion voll auf Recycling eingestellt ist, bezieht seinen Rohstoff nahezu zu 100% über den Hafen. Auch für die Papierfabrik Kämmerer, die gerade erst ihre Energieversorgung auf neue Umweltstandards umgestellt hat, ist der Hafen überlebenswichtig. Und selbst wenn einige Ökoaktivisten die Mineralölwirtschaft zum Feindbild erklärt haben und offenbar deswegen den Betrieb eines Binnenhafens ablehnen. Wie bitte soll denn zukünftig – sollte Deutschland tatsächlich eine Umstellung auf Wasserstoffwirtschaft gelingen – dieser Rohstoff verteilt werden? Zwar ist eine dezentrale Umwandlung mit erneuerbaren Energien möglich, doch dafür werden die paar Windräder auf dem Piesberg nicht ausreichen. Auch der Betrieb von Binnenschiffen mit Wasserstoff wird längst erprobt. Wir werden den Hafen noch brauchen!
Wer gerne im Freien Schwimmen gehen will oder attraktive Gastwirtschaften sucht, der findet im Moskaubad und in der Osnabrücker Altstadt bereits ein reichhaltiges Angebot.
Vielleicht sollten einige Lokalpolitiker mal darüber nachdenken wie man bestehenden Betrieben helfen kann, statt über die Umwandlung einer Infrastruktur-Perle in eine Freizeitlandschaft zu fabulieren?