Das Osnabrücker Hospiz ist für seine Gäste in den meisten Fällen der Ort, an dem sie ihren Lebensabend verbringen. Wut und Trauer, aber auch Freude über die kleinen Dinge im Alltag prägen das letzte Lebensumfeld. Trauerbegleiter und Mitarbeiter im psychosozialen Dienst Steffen Brockmeyer spricht im Interview von seinen Erfahrungen in der Hospizarbeit.
Am Freitagmorgen empfängt Steffen Brockmeyer uns im stationären Hospiz in Osnabrück. Mit einem Lächeln auf den Lippen öffnet er die Tür und führt uns in den Ruheraum des Hospizes. „Hier ist ein Geschenk: Die Klobürsten sind angekommen!“, sagt Brockmeier lachend zu seinen Kolleginnen und Kollegen. Der Zusammenhalt unter ihnen ist stark. Kleine Späße zwischendurch und aufmunternde Worte gehören zum täglich Brot. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden im Hospiz regelmäßig mit dem Tod konfrontiert. Für viele ist das ein abstraktes Thema; etwas, mit dem man sich nicht gerne auseinandersetzt und lieber verdrängt. Wer will auch darüber nachdenken, was „danach“ kommt?
Stützen, nicht Drücken
Brockmeyer hat bereits vor elf Jahren im Osnabrücker Hospiz gearbeitet – damals noch im Zuge seines Anerkennungsjahrs als Sozialarbeiter. Danach studierte er Sozialarbeit im Master und arbeitete in einem Seniorenzentrum in Lotte. Die Themen Tod und Trauerarbeit begleiteten ihn in dieser Zeit. „Für mich ist es wichtig, Menschen ein würdevolles und schönes Lebensende zu ermöglichen. Hier im Hospiz schaffen wir Erinnerungen – negative aber auch positive. Es geht uns darum, zu zeigen: Jemand war da, man ist nicht alleine. Es ist eine schwere Arbeit, die aber auch mit viel Freude verbunden ist.“ Das Emblem des Hospizes sind zwei Hände, die eine Kugel stützen – nicht halten oder drücken. Ähnlich gestalte sich die Arbeit in der Trauerbegleitung: „Es geht darum, dass wir Menschen stützen. Alles, was wir machen, machen wir nur auf Wunsch.“
Nähe zum Leben – trotz Nähe zum Tod
Für Brockmeyer ist klar, dass zum Trauern auch Begreifen gehört. „Wie fühle ich mich?“ und „Wie gehe ich damit um?“ sind nur wenige Fragen, die Trauernden durch den Kopf gehen. Trotz der Nähe zum Tod ist es gerade die Nähe zum Leben, die Brockmeyer an seinem Beruf fasziniert. „Man ist so dicht am Leben und an den Menschen, mit allen Emotionen. Wut und Trauer, aber auch Freude und Dankbarkeit über einen schönen Abschied erleben wir immer wieder.“ Distanz zu wahren, sei allerdings nicht in jedem Fall leicht. „Allein durch die Tatsache, dass ich kein Zugehöriger bin, ist eine Art von Distanz da. Aber manchmal, gerade in sehr emotionalen Fällen, nimmt man etwas mit nach Hause. In der Trauerarbeit liegt viel Schmerz, aber auch etwas Befreiendes. Wir versuchen, stützend an die Seite zu gehen.“
Der Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl ist für Brockmeyer entscheidend: „Niemand will bemitleidet werden – und das machen wir hier auch nicht. Wir helfen Menschen dabei, einen guten Abschied nehmen zu können, mit viel Mitgefühl.“ Der Austausch mit dem Team sei eine der größten Stärken im Osnabrücker Hospiz. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können sich regelmäßig über belastende Situationen unterhalten und sich damit wichtigen Raum nehmen. Die Fluktuationsrate unter ihnen sei entsprechend gering. Neben dem festangestellten Team, das aus Pflegerinnen und Pflegern, dem psychosozialen Dienst, der Hauswirtschaft und einem Hausmeister besteht, unterstützen ungefähr 20 Ehrenamtliche den Hospizdienst.
Einfühlungsvermögen und Sensibilität
Doch wie wird man eigentlich Trauerbegleitung? In einem Auswahlgespräch wird zunächst die eigene Belastbarkeit geklärt. Tod, Abschied und Trauer sind keine leichten Themen. „Die wichtigsten Eigenschaften sind wahrscheinlich Einfühlungsvermögen und Sensibilität“, überlegt Brockmeyer. „Ein Gespür fürs Gegenüber fasst das ganz gut zusammen. Im Endeffekt bringt jeder im Team bestimmte Fähigkeiten mit und wir ergänzen uns.“ Insgesamt sei die Arbeit sehr situativ: Die Tätigkeiten richten sich in vielen Aspekten ganz nach den Gästen. Oberthema sei stets die Begleitung. „Wir berücksichtigen vor allem die Betätigungswünsche der Gäste. Das kann was Rechtliches sein, etwa Nachlassregelungen, oder auch was Kreatives. Viel hängt auch mit Biographiearbeit zusammen.“
Namen erzählen Geschichten
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verabschieden sich mit bestimmten Ritualen von den Gästen, die manchmal nur wenige Tage im Hospiz sind. „Wenn es Zeit wird, werden die Gäste gewaschen und das Zimmer schön hergerichtet. Auf einem Tischchen steht eine Glasschale, in die wir angezündete Teelichter stellen.“ Der Name von jedem Gast, der im Hospiz verstorben ist, wird in einer Dienstbesprechung vorgelesen. Jeder von ihnen trage zur Geschichte des Hauses bei. Der Satz „Mögest du im Licht und in der Liebe sein“ begleitet Steffen Brockmeyer jeden Tag. Er kennt ihn von einem Kollegen aus der Pflege. Die Worte wirken tröstend und sicher, behütend und ermutigend.
Jede Person kann im Osnabrücker Hospiz nach Trauerbegleitung bitten – auch ohne jemals Kontakt mit dem Haus gehabt zu haben. Neben einem Sonntagstreff für Trauernde und Einzelbegleitung lädt das offene Angebot einer Schreibwerkstatt zur kreativen Verarbeitung von Gefühlen ein. Das Erinnerungscafé ist das einzige Trauerangebot, das sich ausschließlich an Zugehörige ehemaliger Gäste richtet.