In den 1960er und 70er Jahren befand sich in der Osnabrücker Weidenstraße 15 auf dem Werksgelände der Firma Karmann die größte regionale „Sammelunterkunft“ für mehr als 4.000 Arbeitsmigrantinnen und -migranten, die überwiegend aus Spanien kamen. Unter Anleitung des Professors für Neueste Geschichte der Universität Osnabrück Dr. Christoph Raß erarbeiteten Studierende eine digitale Ausstellung zu dem stadtgeschichtlichen Thema.
Seit Mitte der fünfziger Jahre wanderten viele Menschen nach Deutschland ein. In zahlreichen Fällen sollten die Zugewanderten nur temporär bleiben, aber verbrachten dann ihr ganzes Leben in Deutschland. Im Mittelpunkt eines Seminars von Prof. Dr. Christoph Raß unter dem Titel „Transformation einer Stadtgesellschaft: Internationale Migration und Osnabrück von der Zwangsarbeit zur ‚Gastarbeit'“ stand die Frage, wie diese Arbeitsmigration, eine Stadt und ihre Einwohner- bzw. Einwohnerinnenschaft verändert und die Migrationsgesellschaft in Deutschland bis heute prägt. Zu diesem Thema erarbeiteten Studierende eine virtuelle Ausstellung mit Fokus auf die Weidenstraße: Dem Ort, an dem sich die größte regionale „Sammelunterkunft“ für Arbeitsmigrantinnen und -migranten befand. Ab sofort ist das Ergebnis ihrer Forschungen hier einsehbar.
Studierende an digitale Formate heranführen
“Mit unseren Seminaren zur digital public history möchten wir Studierende praktisch an online-Ausstellungsformate heranführen und ihnen ermöglichen, ihre Ergebnisse nicht einfach als Hausarbeiten vorzulegen, sondern als echte Ausstellungen, für die wir eine begleitete Veröffentlichung anbieten”, erklärt Professor Raß. So auch in diesem Fall: Die Studierenden haben zunächst eine erste Version ihrer Ausstellung erarbeitet, die auch bewertet wurde. Danach folgten mehrere redaktionelle Bearbeitungen, um das Produkt publikationsreif zu machen. “An diesem zweiten Schritt nehmen die Studierenden dann freiwillig teil, um ihre Ausstellung bis zum Start zu begleiten und dabei zu lernen, was alles noch zwischen erster Version und letzter Version zu tun ist“, fügt die Projektkoordinatorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin Janine Wasmuth hinzu. Die redaktionelle Betreuung der Ausstellung vor der Publikation hat am Historischen Seminar der wissenschaftliche Mitarbeiter Maik Hoops übernommen: “Für uns ist die Arbeit mit Studierenden, die in einem solchen Projektzusammenhang riesiges Engagement zeigen, stets sehr spannend – jetzt sind wir froh, eine weitere fertige Ausstellung freischalten zu können.”
Spannende Projektentwicklung
Thematisch habe sich das Projekt für die Studierenden spannend entwickelt. Die Recherchen konnten bei den Daten aus der Osnabrücker Ausländermeldekartei ansetzen, die in einer Kooperation mit dem Niedersächsischen Landesarchiv erschlossen wurden. Bei der Auswertung der Daten wurden die Studierenden auf ein ganzes Netzwerk bisher weitgehend unbekannter “Sammelunterkünfte” für die euphemistisch als “Gastarbeiter” bzw. “Gastarbeiterinnen” bezeichneten Menschen aufmerksam. “Wir waren total überrascht von diesem Befund”, sagt Johannes Pufahl, einer der Studierenden im Seminar. “So viele und auch so große Einrichtungen haben wir nicht erwartet.” Sein Kommilitone und studentische Hilfskraft am Historischen Seminar Frank Wobig ergänzt: “Wir haben uns sofort gefragt, ob wir noch Spuren finden, wie dieses Wohnheim die Nachbarschaft verändert hat und ob wir noch Osnabrückerinnen und Osnabrücker befragen können, die über die Weidenstraße in die Stadt gekommen sind. Schockiert waren wir allerdings, wie eng beieinander doch die Orte der Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg und die Orte der ‘Gastarbeit‘ im sogenannten Wirtschaftswunder lagen.”
Zahlreiche digitale Projekte der Neuesten Geschichte
Neben der Online-Ausstellung zur Weidenstraße konnte der Fachbereich Neueste Geschichte der Universität Osnabrück bereits zahlreiche andere digitale Formate auf den Weg bringen: Im Bereich Stadtgeschichte gibt es Online-Ausstellungen zu Osnabrück im Ersten Weltkrieg und zur „Papenhütte“ in Eversburg. Überregionale Projekte beschäftigten sich unter anderem mit der Erschließung des Vernichtungsortes Maly Trascjanec in Belarus. Die bereits im Dezember 2022 angekündigte Veröffentlichung eines Ausstellungskomplexes zu den Emslandlagern steht noch aus.