In der ersten Ratssitzung des Jahres am 30. Januar, auf den Tag genau 91 Jahre nach der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler, wurde aus aktuellem Anlass eine Resolution aller Ratsfraktionen – außer des AfD-Ratsherrn, der sich enthielt – gemeinsam angenommen. In der Resolution wird die Stärke Osnabrücks als vielfältige und weltoffene Stadt beschrieben. Rechtsextreme Tendenzen in der aktuellen Politiklandschaft deutschlandweit werden verurteilt und den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Schutz der demokratischen und freiheitlichen Grundwerte durch die Kommunalpolitik versprochen.
Einigkeit im Rat
Gemeinsam legen die Gruppen FDP/UWG, SPD/Grüne/Volt, DIE LINKE/Kalla Wefel und Fraktionen BOB und CDU gemeinsam mit Oberbürgermeisterin Katharina Pötter die Resolution „Nie wieder ist jetzt – gemeinsam für Demokratie, Solidarität und Vielfalt!“ in der ersten Ratssitzung 2024 vor. Aus gegebenem Anlass betonen alle Osnabrücker Ratsfraktionen – ausgenommen der AfD-Vertreter Alexander Garder – die Wichtigkeit der demokratischen und freiheitlichen Grundwerte der Bundesrepublik Deutschland. Ohne Ausnahme wird das Erstarken der AfD und die rechtsextremen und faschistischen Tendenzen in Deutschland verurteilt und stattdessen die Werte der Demokratie, Solidarität und Weltoffenheit sowie das Grundgesetz in deren Wichtigkeit betont. Die Mitglieder des Osnabrücker Stadtrats sind sich einig: Osnabrück ist vielfältig, weltoffen und bunt – und so soll es auch bleiben.
(Kommunal-)Politik muss aktiv für Demokratie werben
Dass es Aufgabe der Politik sei, die bürgerliche Mitte und Demokratie zu stärken einigt die Ratsfraktionen ebenfalls. Oberbürgermeisterin Katharina Pötter nennt die Resolution einen Teil des Kampfes für Demokratie. Doch damit sei es nicht getan: Die Politik müsse die Frage beantworten, was jeder einzelne Bürger tun kann und jeden mitnehmen, denn jeder einzelne muss für Demokratie eintreten. Außerdem müsse man den Fokus auf Probleme vor Ort setzen und das Problem nicht nur auf Ostdeutschland, Berlin und Ereignisse wie die Konferenz in Potsdam wegschieben. In der Politik müsse Selbstkritik stattfinden, denn wenn Menschen mit dem Gedanken spielen Extremisten zu wählen, dann sei der Fehler auch beiden demokratischen Parteien zu suchen. Politik müsse daher sensibler werden und transparenter sein, um jeden mitzunehmen, so Pötter. Auch Marius Keite (CDU) sieht es als Aufgabe der Politik, gegen das AfD-Erstarken in ganz Deutschland zu wirken. Man müsse über die Gefahr der AfD aufklären und den Menschen aufzeigen, dass die populistischen Versprechen der AfD keine Lösung für Deutschland sind, sondern die Demokratie gefährden. Nicht nur die Politik, sondern auch Bürgerinnen und Bürger, Initiativen und Organisationen, müssen sich als Demokratinnen und Demokraten gegen Rechtsextremismus und Faschismus stellen, betont Dr. Thomas Thiele (FDP).
Friedensstadt lebt demokratische und freiheitliche Werte
„Der Begriff Friedensstadt ist keine leere Floskel oder ein Markenzeichen, sondern gehört zum Selbstverständnis dieser Stadt: Wir sind weltoffen, stehen für Toleranz, Vielfalt und gegenseitigen Respekt. Wir leben eine ausgeprägte Kultur des Miteinanders, auf die wir stolz sind,“ so Ratsvorsitzender Michael Hagedorn. Genau das habe Osnabrück bei der Demonstration am 27. Januar im Schlossgarten gezeigt. Mehr als 25.000 Menschen beteiligten sich an der Demonstration „gegen rechts“ und zeigten sich damit solidarisch mit den in Osnabrück lebenden Menschen aus 140 verschiedenen Herkunftsnationen. Die Oberbürgermeisterin dankt der Organisatorin, Melora Felsch von der SPD, ausdrücklich dafür, die Initiative ergriffen und die Demonstration möglich gemacht zu haben.
Geschichte darf sich nicht wiederholen
SPD-Fraktionsmitglied Susanne Hambürger dos Reis und Grünen-Fraktionsmitglied Michael Hagedorn erinnern beide an die deutsche Geschichte des Nationalsozialismus. Hambürger dos Reis benennt die Remigrationspläne, die von Correctiv aufgedeckt wurden, als Deportationen wie sie im Nationalsozialismus durchgeführt wurden. Die Pläne, die Correctiv bei dem Potsdamer Treffen aufdeckte, seien „ein Plan zur Vertreibung unserer Mitmenschen“. In Osnabrück beträfen diese Pläne ein Drittel unserer Einwohner, das sind fast 60.000 Menschen.
In seiner Rede erinnert Michael Hagedorn an die Geschichte seines bereits verstorbenen Vaters, der als Zehnjähriger die Machtübernahme der Nationalsozialisten erlebte und später in der Wehrmacht kämpfen musste. Er erinnert sich an die Zeitzeugengeschichten, die er von seinem Vater erzählt bekam und dass er so lernte, dass so etwas nie wieder passieren dürfe. Damit sei eine Verinnerlichung von Toleranz und Demokratie als Werte entstanden. In seinem Leben hat er genau das in der Friedensstadt gelebt und erfahren. Am Ende zeigt er einen Generationenvergleich auf: Seine Enkeltochter ist mit zehn Jahren heute so alt wie sein Vater bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933. Nur vier Generationen später entsteht die Angst, dass sich die Geschichte wiederholt.
CDU-Ratsfraktion distanziert sich von AfD
Der AfD-Vertreter Alexander Garder beteiligt sich nicht an der Debatte. CDU-Fraktionsmitglied Marius Keite betont deutlich mit Blick auf den Einzelkandidaten: „Für uns kommt niemals eine Zusammenarbeit mit der AfD in Betracht.“ Außerdem würde der AfD-Vertreter im Rat ohnehin nichts leisten: „In der ganzen Wahlperiode gab es keinen Antrag der AfD, sie macht nichts. Die Arbeit wird von den demokratischen Parteien geleistet.“ Auch wenn er der einzige ist, der es deutlich ausspricht, mögen sich hier wohl kaum die Geister mit den restlichen Fraktionen scheiden. Bei aller Einigkeit und dem Betonen der gemeinsamen Werte und Ziele, gibt es aber auch Unterschiede und Unstimmigkeiten.
Kalla Wefel offenbart „Wahrheiten, die gerne verschwiegen werden“
So meint Kalla Wefel, der eine Gruppe mit den Linken bildet, seinen Redebeitrag zu nutzen, um „Wahrheiten, die gern verschwiegen werden“ auszusprechen. Seine Freude darüber, dass der AfD-Vertreter im Rat keinen Antrag gestellt hat, die Resolution zu unterstützen, mag noch Zustimmung finden, doch die Kritik an der Unterschrift der BOB-Fraktion wohl kaum. Schließlich nutzt er seine Zeit, um gegen die Osnabrücker Medien zu wettern, die Hasskommentare und faschistisches sowie rechtsradikales Gedankengut zuließen und Platz zur Verbreitung böten. Auch Kerstin Meyer-Leive von der BOB-Fraktion verurteilt in ihrer Rede Ratsmitglieder und örtliche Medien: „Pauschalurteile, Charakterisierungen und Verunglimpfungen sollten weder von Ratsmitgliedern öffentlich genutzt noch ihnen beigepflichtet werden. Diese Verantwortung gilt ebenso und insbesondere für die Medien.“
Kritik an der Bundestagsfraktion der CDU
Der Redebeitrag von Timo Spreen aus der SPD-Fraktion mag insbesondere der CDU-Fraktion nicht gepasst haben. Die AfD schüre Rassismus, meint er. Bis dahin wohl Einverständnis im Rat. Er fährt fort: „Das Wochenende hat gezeigt: Antifa ist nicht linksextrem, sondern menschlich.“ Und er appelliert dafür, dass die CDU das auf Bundesebene erkenne. Populistische Aussagen wie die Zahnarzt-Aussage von Friedrich Merz würden popularisieren und die Grenze zu AfD-Aussagen verwischen, denn sie entzweien die Gesellschaft. Seine Forderung mag auch nicht jeder teilen: „Wir müssen uns alle aktiv für antifaschistische Initiativen stark machen. Wir müssen als Kommune Vereine und Initiativen unterstützen, die gegen Rassismus und für Vielfalt kämpfen. Mein Dank geht an alle aktive Antifaschisten. Wir stehen zusammen: Alerta, alerta antifascista!“