Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode hat in seiner Osterbotschaft die derzeitige Vertrauenskrise der katholischen Kirche aufgegriffen

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„Kirche ist bis in ihren Grund erschüttert“, sagte Bode in der Osternachtfeier im Osnabrücker Dom am Karsamstagabend (20. April).

Mit Blick auf die Missbrauchsfälle betonte er, dass Geweihte und verantwortliche Personen ihre Schuld nicht erkannt, sie verschwiegen oder vertuscht hätten. Bei allen Enttäuschungen und Entfremdungen wachse aber auch neuer Wille zum Mitgestalten und Vertiefen des Glaubens. Es gehe dabei um größere Einfachheit, um Transparenz und Lauterkeit und mehr „Wachheit für die Zeichen der Zeit und das Leben der Menschen“.

Wortlaut der Predigt von Bischof Dr. Franz-Josef Bode
in der Osternachtfeier im Dom zu Osnabrück am 20. April 2019:

Vorige Woche habe ich eine Wanderung zum Großen Freeden bei Bad Iburg gemacht und den Anfang der Freedenblüte erlebt bei herrlichem Wetter, wie man es sich zu Ostern nur wünschen kann.

Es war faszinierend: die noch völlig tot scheinenden entblätterten Bäume des Winters, unter denen sich ein unübersehbarer grüner Teppich ausbreitet mit den ersten weißen und violetten Blüten des Hohlen Lerchensporns, gepaart mit dem leichten Duft des frühen Bärlauchs.

Ich dachte an unsere derzeitige Lage in der Kirche mit all den Erschütterungen der vergangenen Wochen. Der harte Felsengrund und die kahlen Bäume: ein Bild für vieles, was wir derzeit erleben.

Der Baum der Kirche scheint allen Vertrauens entkleidet. Er steht nackt da in der Blöße der Schuld, die geweihte Personen auf sich geladen haben und die verantwortliche Personen nicht erkannt, verschwiegen oder vertuscht haben. Sie taten es, weil sie sich den Verbrechen nicht stellen wollten und die Opfer nicht genug im Blick hatten.

Kirche ist bis in ihren Grund erschüttert; viele wollen in diesem Wald aus Undurchsichtigkeit und Doppelbödigkeit nicht mehr bleiben. Und doch wächst hauchdünn und zart neues Leben heran, gegenüber den gewaltigen Bäumen ganz klein und gefährdet, aber auch kraftvoll und wirksam.

Nichts möchte ich damit beschönigen oder kleinreden. Ja, mancher tote Baum muss abgeholzt werden, damit mehr Licht in die Dunkelheit kommt. Und manches ist bis in die Wurzeln krank. Aber die Kraft der kleinen grünen Blätter und der Blüten ist unübersehbar und nicht aufzuhalten.

Auch in unserem persönlichen Leben gibt es so manche entblätterte und entblößte Zeit. Winterzeit, in der nichts wächst und gelingt und die Wurzeln zu versagen scheinen. Oft genug haben wir bei uns selbst den Eindruck: Mein Wald müsste mal wieder gelichtet werden, das Gestrüpp der Verstrickungen, in die ich geraten bin, wo ich vor lauter kranken Bäumen schon gar keinen Wald mehr sehe. – Aber die Kraft des Lebens lässt sich nicht unterkriegen!

Diese gartenhafte Landschaft vom Freeden ist mir in ihrem scharfen Gegensatz von winterhohen Bäumen und dem grünen Teppich am Boden ein Bild für das, was wir in dieser Nacht feiern. Christus hat sich am Baum des Kreuzes ausspannen lassen in den Spannungen und Gegensätzen dieser Welt, zwischen oben und unten, Himmel und Erde, rechts und links, und hat so alle Spannungen ausgehalten, unsere persönlichen und die der Kirche und der Welt. Und er hat sie mitgenommen in den Tod und er hat sie gewandelt. Aus dem Grab, in das er tot und starr gelegt wurde, wächst neues Leben, wächst neue Hoffnung, die zuerst die Frauen entdecken, mutige und sensible Frauen, die es den ungläubigen Apostelmännern weitersagen.

Das Bild des Gartens gehört zu Ostern und zum Grab. Andreas Knapp hat das sehr schön verdichtet unter der Überschrift „Gartendrama“. Er schaut die Gärten in der Geschichte Gottes mit den Menschen an von Adam und Eva bis Jesus:

in einem garten hab ich mich
an fremder frucht vergriffen
der tod liegt mir schwer im magen

in einem garten hast du
unter zitternden ölbäumen eingewilligt
zum gottesknecht gesalbt zu werden

in einem garten hat man dich
eilig ohne totenbalsam
in fremde erde gelegt

in einem garten ist über nacht
von hand eines geheimnisvollen gärtners
neues leben aufgeblüht

(in: Andreas Knapp, Höher als der Himmel. Göttliche Gedichte, Würzburg 2010, S. 41)

Paradies, Ölgarten, Grabesgarten und Friedhofsgarten sind jetzt der Ostergarten: In einem Garten ist über Nacht von Hand eines geheimnisvollen Gärtners neues Leben aufgeblüht.

Ja, auch in unserer Kirche wächst ganz empfindsam und fragil neues Vertrauen heran. Davon bin ich überzeugt, wenn ich die vielen Bemühungen sehe, Kirche wieder stärker vom Evangelium, von der Frohen Botschaft her zu prägen. Die Bemühungen so vieler um größere Einfachheit, um Transparenz und Lauterkeit, um mehr Hören und Horchen auf den Willen Gottes in dieser Zeit, um mehr Wachheit für die Zeichen der Zeit und das Leben der Menschen.

Es wächst bei allen Enttäuschungen und Entfremdungen auch neuer Wille zum Mitgestalten und zum Vertiefen des Glaubens in der Kirche und mit der Kirche. Es gibt die Menschen, die sich zu einem „Jetzt-erst-recht trotz alledem“ in der Kirche durchringen, weil ihnen an der Zukunft der Gesellschaft und der Menschheitsfamilie gelegen ist. Ja, selbst aus Protest aus der Kirche Ausgetretene wollen ihre Beziehung zu Christus und der von ihm geprägten Kirche nicht völlig verlieren und suchen mitunter nach neuen Wegen ihres Glaubens.

Wieviel Energie wird zur Zeit von engagierten Christen aufgebracht, Männern und Frauen, Priestern und Laien, Alten und Jungen, Suchenden und Betroffenen, um das Haus der Kirche wieder aufzubauen und einladend zu machen, damit mitten unter kahlen Bäumen Vertrauen wieder wachsen kann und der Garten der Sünde und des Zweifels, ja der Garten der Gräber wieder zu einem Garten werde, in dem alle frei atmen und leben können.

Diese Nacht, diese Feier fordert uns heraus, nicht bei den leeren Gräbern und dem erstorbenen Vertrauen, der erstorbenen Hoffnung, der erstorbenen Liebe zu bleiben, sondern uns weiterziehen zu lassen von der unzerstörbaren Lebens- und Liebeskraft unseres Gottes und seines auferstanden Sohnes, auch wenn es vielen zuerst, wie damals zu biblischen Zeiten, nur Geschwätz ist. Wir sollten uns in Zukunft von mehr Frauen in der Kirche überzeugen lassen.

Ein anderer geistlicher Dichter unserer Tage, ebenfalls Priester wie Andreas Knapp, er heißt Wolfgang Metz, schreibt einen Text, der mich sehr angesprochen hat. Er heißt „weitergehen“:

irgendetwas hat sie bewegt
gedrängt weiterzugehen
nicht am grab stehen zu bleiben

irgendetwas ist in ihnen passiert
ein widerschein mitten in der dunkelheit
erleuchtete die hoffnungslose grabesleere

irgendetwas hat sie ergriffen
aufgerufen nicht festzuhalten
und die alten grabesvorstellungen loszulassen

irgendetwas ist in ihnen vorgegangen
weil das vertrauen gewachsen ist
dass einer ihnen vorangeht
der auch nicht am grab stehen geblieben ist

(in: Wolfgang Metz, brannte uns nicht das Herz? Gedichte, Würzburg 2017, S. 47)

Irgendwas ist in ihnen vorgegangen, weil das Vertrauen gewachsen ist, dass einer ihnen vorangeht, der auch nicht beim Grab stehengeblieben ist.

Das ist mein größter Wunsch an diesem Ostern, dass der Auferstandene uns ermutigt weiterzugehen, nicht am Grab der Enttäuschung und Wut stehenzubleiben und uns neues Vertrauen schenken zu lassen – auch in dieser unserer Kirche. Amen.