Eine persönliche Betrachtung einer kuriosen Investitionsentscheidung, die in Hamburg bereits für viel Spott gesorgt hat – von Heiko Pohlmann
6, fühlen Sie sich gut? 1.700, schon besser? 38.000, nun geht´s uns aber richtig toll, oder?
„6“ ist die Anzahl der Fahrradzählanlagen, die von der Stadt angeschafft werden sollen. „1.700“ Fahrradfahrer erwartet die Verwaltung zukünftig auf dem Radschnellweg von Osnabrück nach Belm, und „38.000“ Euro sollen (nach Schätzung) für Fahrrad-Zählanlagen ausgegeben werden – allerdings kostete in Hamburg eine einzelne Zählanlage bereits mehr als 31.000 Euro, dazu unten im Video mehr.
Zahlen sind schon was tolles, und mit Graf Zahl aus der Sesamstrasse lernen schon die Jüngsten, dass das Zählen Spaß machen kann.
Und was den Kleinsten so viel Freude bereitet, soll in Osnabrück den Größeren – die schon ohne Stützrad Fahrradfahren können – noch viel mehr Lustgewinn bereiten. Verwaltung und Politik wollen dafür richtig Geld ausgeben: Für das Zählen und für die Zahlen.
Warum nicht mit Echtzeit-Zahlen die Ampeln steuern?
Zählen kann auch richtig sinnvoll sein, und vor allem wenn der Verkehr gezählt wird. Richtig eingesetzt, vernetzt und programmiert, kann mit Hilfe einer Verkehrszählungsanlage der Verkehr verflüssigt werden und aus Staufallen wird eine „Grüne Welle“. Wenn man es richtig macht und die richtigen Dinge zählt, natürlich.
OK, für Osnabrück ist so eine Vernetzung von Daten und Ampeln Utopie. Die Ampeln in der Hasestadt schalten zumeist einfach stumpf und stupide den ganzen Tag über das immer gleiche Programm durch, egal ob sich dichter Berufsverkehr durch die Stadt wälzt, das Lotter Kreuz gesperrt ist oder spät in der Nacht nur vereinzelt mal ein einsames Fahrzeug unterwegs ist.
Irgendwann im Verlauf eines langen Tages wird das unflexible, weil nicht über aktuelle Verkehrsdaten verfügende hartverdrahtete Ampelprogramm dann schon den richtigen Takt finden. Die 70er Jahre lassen grüßen.
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„Adaptive Verkehrssteuerung“, andernorts schon eine Selbstverständlichkeit, auch um durch Verflüssigung des Verkehrs für saubere Luft zu sorgen, ist in Osnabrück nahezu unbekannt, hier gibt es andere Prioritäten: In Osnabrück werden bald Fahrradfahrer gezählt, einfach so.
Osnabrück will Fahrradfahrer zählen, einfach so
Nun also soll in Osnabrück groß in Verkehrszählung investiert werden, nicht eine, nicht zwei und auch nicht drei Verkehrszählanlagen will die Stadt kaufen [Graf Zahl lacht…] sondern sechs [ha ha ha ha].
Und dann? Ja, dann werden die Verkehrszählanlagen einfach so eine Zahl anzeigen. Die Zahl der Fahrradfahrer, die am jeweiligen Tag vorbeigeradelt sind. Oder die Zahl der Fahrradfahrer, die in der vergangenen Woche vorbeigefahren sind, oder seit Anfang des Jahres, seit Christi Geburt oder was immer sonst in die Anlage einprogrammiert und durch diese gezählt wird. Einfach so!
Einfach so, und ohne, dass diese Daten einer direkten Verwendung zugeführt werden. Es wird nicht etwa eine Ampel, zum Beispiel bei der Einmündung in die Liebigstraße, gesteuert. Auch die Querung des Radschnellweges mit dem Power Weg, wo zusätzlich auch noch die Bahn gekreuzt werden muss, wird nicht etwa durch die vorab von Sensoren erfassten Radler gesteuert.
Nein, wie oben geschrieben, es wird einfach so gezählt und die Zahlen werden auf der „Stele“, wie Stadtbaurat Frank Otte die Zählanlage bei der Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umwelt (StUA) am Donnerstag beschrieb, angezeigt …einfach so.
Nein, doch nicht ganz „einfach so“. Da nur 2-3 der insgesamt für geschätzte 38.000 Euro anzuschaffenden Zählanlagen über ein Display verfügen, wird die Beschaffung auch damit begründet, dass so wichtige Planungsdaten ermittelt werden.
Andere Städte finden das toll, also brauchen wir das auch?
Ganz besonders wichtig seien aber die Zählgeräte, die ihr Zählergebnis in die Welt hinaus anzeigen. Das, so Otte, das hätten ihm auch immer wieder Vertreter anderer – für ihn mustergültiger, weil fahrradfreundlicher – Kommunen bestätigt, wo man ganz hin und weg sei von diesen Zählgeräten, die Zahlen anzeigen, einfach so.
Dass man sich mit so einer Fahrradzählanlage auch bundesweit zum Gespött machen kann, hat bereits die finanziell deutlich besser gestellte Hansestadt Hamburg bewiesen. Dort war man bei der Anzahl der beschafften Zählanlagen zwar deutlich zurückhaltender und kaufte erstmal nur eine der Zähl-Stelen. Für das Satiremagazin extra 3 machte sich eine Verwaltungsmitarbeiterin unfreiwillig „zum Horst“, als sie vergeblich versuchte, die Sinnhaftigkeit der Anlage zu erklären, die vor laufender Kamera auch munter kleine und große Hunde zählte… wichtige Daten also für die Verkehrsplanung?
Hamburger Verwaltung machte sich bundesweit lächerlich
In Hamburg, so der NDR, hat eine einzelne Anlage „mehr als 31.000 Euro“ gekostet.
Die Frage könnte sich aufdrängen: Haben die Hamburger zu teuer eingekauft oder wurde die von Stadtbaurat Frank Otte der Verwaltung präsentierte Kostenschätzung von 38.000 Euro für insgesamt sechs Anlagen bewusst oder unbewusst nach unten korrigiert, um mit einer niedrigen Zahl eine positive Entscheidung der Ausschussmitglieder zu befördern?
Stadtbaurat will Geld nicht in Sicherheit investieren
Im Verlauf der kurzen Debatte gab es übrigens nur eine zaghafte kritische Wortmeldung aus den Reihen der CDU-Fraktion, die am Ende dem Gesamtpaket allerdings ihre Zustimmung nicht verweigerte und erneut eine Chance verpasste, sich gegen eine ideologisch betriebene Verkehrs- und Ausgabenpolitik zu stellen.
Rita Feldkamp wollte für die Union wissen, ob das Geld denn nicht besser in die Prävention von Unfällen investiert wäre…?
Stadtbaurat Otte wollte das nicht gelten lassen. Nach der Meinung des passionierten Radfahrers, müsse „ein Paket“ für die Osnabrücker Radfahrer geschnürt werden. Einigen Radlern sei ein besonders glatter Asphalt wichtig, andere bräuchten halt zusätzliche Bestätigung für den Umstieg auf den Fahrradsattel durch eine Zahl, die am Straßenrand angezeigt wird… na denn.
Kleiner Nachtrag: Die Investitonssumme, die für die Zählanlagen in Osnabrück ausgegeben werden soll, auch unter Inanspruchnahme von Fördermitteln, entspricht ungefähr dem jährlichen Steueraufkommen von etwa 54 Durchschnittsverdiener-Familien (zwei Kinder im Haushalt). Irgendwo muss das Geld ja herkommen… einfach so.