„Es ist dabei völlig irrelevant von welcher Qualität die Aufnahmen sind oder ob sie gespeichert werden“
Die unmißverständlichen Worte sind womöglich die Kernaussage in einem Artikel, den die Juristin und ehemalige HASEPOST-Mitarbeiterin Bianka Specker auf ihrem Nachrichtenportal OSKURIER veröffentlichte.
Specker machte sich an eine aufwendige Recherche um zu hinterfragen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Überwachung oder Zählung von Verkehrsteilnehmern durch den Einsatz von Videokameras erlaubt ist.
Eine mehrtägige Kameraüberwachung wurde im vergangenen Herbst von Stadtbaurat Frank Otte für den überbreiten Fahrradweg „Protected Bike Lane“ angeordnet, was den Mitgliedern des Stadtrats und der Öffentlichkeit erst durch eine beiläufige Bemerkung des Baurats in der März-Ratssitzung bekannt wurde.
Passantenfrequenzen in der Innenstadt werden per Laser gemessen
Anders als zum Beispiel die mit Laserabtastung erfolgende Messung der Passantenfrequenzen in der Innenstadt, setzt die im Verantwortungsbereich des Stadtbaurats agierende Verwaltung bei der Erfolgskontrolle ihrer Baumaßnahmen auf Kameras, die in Ratsvorlagen euphemistisch auch als „Sensor“ bezeichnet werden, die tatsächlich aber Videosequenzen erfassen, speichern und deren Bilddaten exportiert werden können.
Wo sonst in der Osnabrücker Innenstadt, zum Beispiel in der Großen Straße, mit Videokameras aufgezeichnet wird, weisen Hinweisschilder ausdrücklich auf den Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung hin.
Wie unsere Redaktion am Donnerstag belegen konnte, wurden von der Verwaltung zum Beweis der angeblich schlechten Videoqualität ihrer „Zähl-Kamera“ Screenshots und eine Videodatei herausgegeben, die nachträglich in Dateiformaten mit potentiell verlustbehafteten Kompressionsalgorithmen abgespeichert wurden.
Der auch den Mitgliedern des Stadtrats zur Verfügung gestellte Screenshot wurde zusätzlich aus dem Ursprungsmaterial heraus hoch-skaliert, was für eine weitere Verfälschung der Originalaufnahme gesorgt haben kann.
Wieso wurden Aufnahmen nach der Analyse nicht gelöscht?
Auffällig ist auch, dass es nach Informationen unserer Redaktion verwaltungsintern die Aussage gegeben haben soll, dass die am Wall im vergangenen Herbst gemachten Videoaufnahmen überhaupt nicht gespeichert bzw. direkt nach der Analyse gelöscht wurden, jedoch eine Videosequenz existiert, die mit einem Zeitstempel von diesem April versehen ist.
Sogar Kamera-Attrappen sind juristisch problematisch
Nach den Recherchen der Juristin Specker, kommt es auch nicht auf die Qualität des erfassten Videomaterials an. Selbst der Aufbau einer Kamera-Attrappe, auch wenn die Aufzeichnungsanlage nur „bedingt wahrnehmbar“ sein sollte, ist demnach bereits ein schwerer Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und somit strafbar.
Neben der grundsätzlichen Frage nach der Verhältnismäßigkeit, stellt sich die Frage, so die Analyse von Bianka Specker, warum nicht – wie vom niedersächsischen Datenschutzgesetz vorgegeben – durch geeignete Maßnahmen auf die Kameraüberwachung hingewiesen wurde?
Selbst die Lokalpolitiker erfuhren von Kameraüberwachung erst durch Zufall
Soweit bekannt, gab es weder eine Ankündigung im Amtsblatt oder auf der Website der Stadt Osnabrück, noch wurden im Umfeld der Zählkamera, die auch an der neugestalteten Buseinfahrt der Bramscher Straße zum Einsatz gekommen sein soll, einen Hinweis an die Öffentlichkeit auf die heimliche Bildaufzeichnung.
Auch die Lokalpolitiker erfuhren erst durch eine zufällige Bemerkung des Stadtbaurats in der März-Sitzung des Stadtrats von der Überwachungsmaßnahme am Heger-Tor-Wall.
Kommentar des Autors
Es mag zwar tatsächlich eine weit verbreitete und bislang nicht in Zweifel gestellte Praxis – nicht nur der Osnabrücker Verwaltung – sein, dass Kameras für die Verkehrszählung eingesetzt werden.
Ein „das machen aber alle“ oder „das haben wir schon immer so gemacht“ ist eine sehr schlechte Argumentation für eine Maßnahme, die völlig zu Recht als Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte wahrgenommen wird. Wo ist die Verhältnismäßigkeit?
Ein Fahrradweg ist eben nur ein Fahrradweg – und selbst wenn da mal für fünf Minuten ein Paketlaster parkt, rechtfertigt das nicht eine tagelange Vollüberwachung. Dabei ist es auch völlig irrelevant, wie gut oder wie schlecht die eingesetzte Kamera ihre Bilder auflöst. Solange es nicht um den Schutz von Leib und Leben geht, hat der Staat nicht wahllos Kameras aufzustellen – schon gar nicht um das persönliche Lieblingsprojekt „Luxusfahrradweg“ zu überwachen!
Irgendetwas ist da bei dem Verantwortlichen total aus dem Ruder gelaufen – nicht nur die Kosten, die Osnabrück bekanntlich bundesweite Aufmerksamkeit bescherten, mit dem womöglich teuersten Fahrradweg der Republik.
Völlig unverständlich ist, dass die Maßnahme von einem Mitglied der Partei angeordnet wurde und verteidigt wird, die ihren Gründungsmythos auch aus der Volkszählungsdebatte und Datenschutz-Paranoia der 80er Jahre bezieht. Jetzt, mehr als drei Jahrzehnte später, scheinen den Grünen auch orwell´sche Allmachtsfantasien des Staates völlig egal zu sein, wenn es um das in ihren Augen offensichtlich höhere Gut „Verkehrswende“ geht.