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Ohne Skandale keine Triumphe: Warum der VfL Osnabrück 1963 in die Bundesliga gehört hätte!

Der VfL Osnabrück wurde in seiner 121-jährigen Geschichte einige Male entscheidend benachteiligt: Der wohl größte Skandal, der nach unserem Wissen noch nie wirklich detailliert aufgearbeitet wurde, fand 1963 statt, als man dem Verein die Teilnahme an der 1. Bundesliga verwehrte.
Kalla Wefel und Peter von Koss, die Autoren des Buches “111 Gründe, den VfL Osnabrück zu lieben”, sagen einhellig dazu: “Wir waren damals 11, respektive 16 Jahre alt und haben nun in häuslicher Isolationshaft unser Kindheitstrauma dank unserer akribischen Nachforschungen endlich überwinden können.”
Hilfe zur Selbsthilfe für hartgesottene VfL-Fans und Fußball-Historiker.


Wenn die Zukunft ungewiss ist, sollte man sich um die Vergangenheit kümmern.

Wie grausam war sie früher, diese fußballlose Zeit zwischen zwei Spielzeiten. Und nun? Freut sich wirklich jemand auf den Geister-Fußball, der in leeren Stadien demnächst auf uns zukommen soll?
Seit fast einem Monat läuft im Fußball so gut wie nichts. Und irgendwie scheint der Ballzauber nur wenigen wirklich zu fehlen, zu wichtig ist die Gegenwart und die Angst oder auch nur Ungewissheit vor der Zukunft. Und so entweicht dem Fußball von Tag zu Tag immer mehr Luft, wenngleich die in Panik geratenen Offiziellen nicht müde werden, ihn als systemrelevant darzustellen.

Ob in den Printmedien oder im TV: Angesichts des fehlenden Profisports greifen die Redaktionen ins Archiv und erfreuen uns mit brandaktuellen Aufzeichnungen oder ollen Kamellen. Sogar längst archivierte „Bad Boys“ geraten wieder ins Rampenlicht. Ob man dabei dem Ohrenschmaus eines Mike Tysons oder den vollendeten Bestechungsversuchen eines Schiedsrichters eine Plattform geben muss, ist sicherlich Geschmackssache und darüber streitet man bekanntlich nicht, über Geschmacklosigkeiten, wie sie von einigen DFB-, DFL- oder Vereinsfunktionären nicht erst seit heute immer wieder in die Welt gesetzt werden, allerdings schon.

Selten wurde es in den vergangenen Tagen und Wochen offensichtlicher, dass sich beim Profifußball alles, wirklich alles, nur ums Geld dreht und er sich selbst viel zu wichtig nimmt. Denn eins wird in diesen Tagen auch klar: Der Fußball ist alles Mögliche, nur ist er garantiert nicht systemrelevant und jede Krankenschwester, Kassiererin oder Altenpflegerin, jeder LKW-Fahrer oder Krankenpfleger ist wichtiger und auch wertvoller als ein Messi oder Neymar.

Mit der geplanten Einführung der Geisterspiele beschreiten DFL und DFB den Weg in die fanlose Sackgasse, aus der es womöglich kaum noch ein Zurück geben wird. All die Skandale um die FIFA, die UEFA oder um den DFB lassen sich seit Jahren nicht mehr vertuschen und werden uns in ihrer gesamten Lächerlichkeit, Niedertracht und Menschenverachtung spätestens im wüsten Katar auch plastisch vor Augen geführt werden. Es wird spannend, wie sich der Fußball in der nach Corona-Zeit generell präsentieren wird. Es wird spannend, ob die Fans nach wie vor jede Kröte schlucken werden.

Derzeit läuft übrigens in der Schweiz ein Gerichtsverfahren gegen den DFB fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit, das auf den 20. April verschoben wurde und somit kurz vor der Verjährung steht. Warum aber die Aktualität bemühen und in die Ferne schweifen, wenn die wahren Skandale vor der Haustür liegen, inszeniert und arrangiert vom Deutschen Fußballbund höchstpersönlich.

Fußballmafia DFB!

Seit Jahren skandieren die Fans in den Fußballstadien der Republik „Fußballmafia DFB!“. Situationsbezogen müsste es des Öfteren anstatt „DFB“ wohl „DFL“ heißen, aber der gemeine Fan benutzt den DFB als Synonym für all jene Entscheidungen, die die Kurven missbilligen.
Da die DFL erst seit dem 1. Juli 2001 die Bundesliga und die 2. Bundesliga organisiert und vermarktet, kann der am 28. Januar 1900 im Leipziger Mariengarten gegründete DFB auf eine wesentlich längere Historie zurückblicken, hatte also auch deutlich mehr Zeit, etliche Skandale und Intrigen für sich in Anspruch zu nehmen.

Bis in die jüngere Vergangenheit hinein wird deutlich, dass Transparenz nicht unbedingt zu den hervorstechendsten Merkmalen der Entscheider in der Frankfurter DFB-Zentrale zählt. Aktuell versucht ein Schweizer Gericht Licht in das Dunkel um merkwürdige Zahlungen im Zusammenhang mit der WM 2006 zu bringen. Die Verjährungsfrist, aktuell mit Corona gedopt, läuft der Wahrheitsfindung davon und wird wohl nicht mehr eingeholt werden.

Was aber hat das mit unserem VfL zu tun?

An der Bremer Brücke hätte man schon seit Jahrzehnten jeden Grund gehabt, skandierend oder auf Plakaten den Verband an den Pranger zu stellen, der dem VfL 1963 die Eingliederung in die 1. Bundesliga verweigert hatte.

Bis zum Sommer 1963 wurde der Deutsche Fußballmeister in einer Endrunde ermittelt. Dort trafen in zwei Vierergruppen in Hin- und Rückspielen die Staffelsieger der fünf Oberligen sowie drei Zweitplatzierten aufeinander; die beiden Gruppensieger bestritten das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft. In dieser Endrunde war der VfL 1949/50 (noch mit 16 teilnehmenden Mannschaften, die im K.o.-System auf neutralem Platz gegeneinander antraten) und 1951/52 vertreten.

Als der DFB am 28. Juli 1962 in Dortmund beschlossen hatte, zur Saison 1963/64 die Bundesliga einzuführen, konnten sich Vereine bis zum 1. Dezember 1962 um einen der 16 vorgesehenen Plätze bewerben. Die Gründung einer eingleisigen höchsten Spielklasse wurde vom ehemaligen Bundestrainer Sepp Herberger schon lange gefordert, war aber dennoch nicht unumstritten. So gab es unter anderem beim Hamburger SV und beim 1. FC Nürnberg anfangs eine eher ablehnende Haltung.

Am Ende reichten insgesamt 46 Vereine ihre Bewerbung ein, darunter auch der VfL Osnabrück, der in der alten Oberliga Nord neben dem HSV, Werder Bremen und dem FC St. Pauli alle 16 Spielzeiten komplett durchgespielt hatte. Dass dieser Umstand nicht unwichtig war, wird deutlich, wenn man die sportlichen Kriterien betrachtet, nach denen die Gründungsmitglieder ursprünglich ausgewählt werden sollten.

Von den 16 zukünftigen Bundesligavereinen sollten jeweils fünf aus den Oberligen West und Süd, drei aus dem Norden, zwei aus dem Südwesten und einer aus Berlin kommen. Der DFB entwickelte einen abenteuerlichen Qualifikationsmodus auf der Grundlage der vergangenen zwölf Spielzeiten, die sogenannte Zwölfjahreswertung:

  • Jeder Verein, der zwischen 1951 und 1963 in einer der fünf Oberligen spielte, erhielt pro Saison drei Punkte. Der Erstplatzierte der Abschlusstabelle seiner Oberliga erhielt sechzehn Zähler zusätzlich, der Zweite bekam fünfzehn, der Dritte vierzehn und so weiter.
  • Die Punkte aus den Jahren 1956 bis 1959 wurden verdoppelt, jene von 1960 bis 1963 verdreifacht. Für die Platzierungen in den Endrunden um die Deutsche Meisterschaft gab es weitere Bonuspunkte.
  • Der Deutsche Meister und der Pokalsieger erhielten zwanzig Zähler extra, die Finalisten zehn. Für die Spielzeit 1962/63 wurden keine Zusatzpunkte verteilt.

Eine über jeden Zweifel erhabene Findungskommission …

… wurde eingesetzt, zu der der spätere DFB-Präsident Hermann Neuberger als Vorsitzender des Saarländischen Fußballverbandes und Unterstützer des 1. FC Saarbrücken gehörte. Ludwig Franz (1. FC Nürnberg), Franz Kremer (1. FC Köln), Willi Hubner (Essen) und Walter Baresel (Norddeutscher Fußballverband) komplettierten den Rat der fünf Weisen. Um diesen fünf Herren alle manipulativen Freiheiten zu erhalten, hielt der DFB die Kriterien zunächst unter Verschluss!

Ursprünglich hieß es, dass vor allen Dingen sportliche Gesichtspunkte für die Qualifikation maßgebend seien. Neuberger wies irgendwann darauf hin, dass der wirtschaftlichen Lage der Vereine eine erhebliche Bedeutung zukommt. Die Stadien sollten über mindestens 35.000 Plätze und eine Flutlichtanlage verfügen; Saarbrückens „Ludwigsparkstadion“ erfüllte diese beiden Kriterien zufälligerweise ganz genau.

Der DFB entschied sich zudem für ein „Derbyverbot“, erlaubte also pro Stadt nur einen Verein. Das führte zum Scheitern des FC Bayern, obwohl er in der Zwölfjahreswertung mit 288 Punkten weit vor dem TSV 1860 München mit 229 Punkten lag. Die Findungskommission begründete ihre Entscheidung mit der fehlenden sportlichen Vergangenheit des FC Bayern.

Der Faktor Tradition spielte allerdings nur eine Rolle, wenn es der Kommission in den Kram passte. Borussia Neunkirchen spielte von 1912 bis 1963 ununterbrochen erstklassig, musste aber hinter den 1. FC Saarbrücken zurücktreten. Noch heute ist man in Neunkirchen darüber empört, dass die Auswahlkriterien so zurechtgebogen wurden, dass Hermann Neuberger seinen 1. FC Saarbrücken in die Bundesliga hieven konnte und fragt sich, warum es die Zwölf- und nicht eine Zehn- oder Achtjahreswertung gab.

Die Erklärung ist einfach. Neubergers 1. FC Saarbrücken stand in der Saison 1951/52 (also genau zwölf Jahre vor Gründung der Bundesliga) letztmals in einem Endspiel um die Deutsche Meis­terschaft. Das verschaffte dem FCS jene zehn Bonuspunkte, mit denen er sich in der Wertungstabelle am FK Pirmasens und an Borussia Neunkirchen vorbeischob. Dass es für die Teilnahme an der Endrunde 1962/63 keine Bonuspunkte gab, war ein zusätzlicher Nachteil für Neunkirchen, denn die Schwarz-Weißen qualifizierten sich als Südwestzweiter zwar für die Endrunde, ohne dass dieses relevant wurde.

Mathematik à la Fußballmafia DFB

Am 11. Januar 1963 erhielten der HSV, Werder Bremen, der 1. FC Nürnberg, Eintracht Frankfurt, der 1. FC Köln, Borussia Dortmund, Schalke 04, Hertha BSC Berlin und der 1. FC Saarbrücken (!) vorab die Nachricht, dass sie dazugehören. Auch der FC St. Pauli war damit wegen des Derby-Verbots aus dem Rennen.

Merkwürdig daran war, dass sich alle Nominierungen aus der Zwölfjahreswertung ergaben – mit Ausnahme von Saarbrücken, das weit hinter dem 1. FC Kaiserslautern der Südwest-Wertung lag, wobei der FCK als zweiter Südwest-Verein die Qualifikation jedoch als Oberliga-Meister 1963 schaffte.

Am 6. Mai 1963 verkündete der DFB die restlichen Vereine der neuen Spielklasse, das waren neben Lautern der Karls­ruher SC, VfB Stuttgart, 1860 München, Preußen Müns­ter, Eintracht Braunschweig sowie der Meidericher SV.

Ermittlung der Bundesligisten / Zwölfjahreswertung

Oberliga West: 5 Plätze Oberliga Nord: 3 Plätze
1. FC Köln 466 Hamburger SV 518
Borussia Dortmund 440 Werder Bremen 396
Schalke 04 396 VfL Osnabrück 313
Alemannia Aachen 285 Hannover 96 309
Preußen Münster 251 St. Pauli 303
Meidericher SV 250 Holstein Kiel 294
Eintracht Braunschweig 276
Oberliga Süd: 5 Plätze
1. FC Nürnberg 447 Oberliga Südwest: 2 Plätze
Eintracht Frankfurt 420 1. FC Kaiserslautern 464
Karlsruher SC 419 1. FC Saarbrücken 384
VfB Stuttgart 408 FK Pirmasens 382
Kickers Offenbach 382 Borussia Neunkirchen 376
Bayern München 288
1860 München 229 Stadtliga/Vertragsliga Berlin: 1 Platz
Hertha BSC 346
Tasmania 1900 324
Kursiv: Trotz sportlicher Qualifikation nach dem Punkteschlüssel nicht aufgenommen
Fettdruck: Aufgenommen in die 1. Bundesliga

Die sportlichen Kriterien waren komplett ad absurdum geführt, denn in der Rangliste lagen der VfL Os­nabrück, St. Pauli und Hannover 96 vor Eintracht Braunschweig. Braun­schweigs Klubchef Kurt Hopert hatte offenbar hinter den Kulissen die Weichen für seine Eintracht gestellt.

Die Hannoversche Allgemeine Zeitung vertritt die Auffassung, dass der VfL mangels bundesweiter Erfolge keine echte Möglichkeit hatte, zu Bundesligaehren zu kommen. Vielleicht klärt uns die HAZ irgendwann dahingehend auf, inwieweit Eintracht Braunschweig vor 1963 über relevante bundesweite Erfolge gegenüber dem VfL verfügte. Der BTSV nahm nur einmal (1957/58) an der Endrunde zur Deutschen Meisterschaft teil.

Ein Foulspiel nach dem anderen …

Der Ausschuss hielt noch ein völlig absurdes Kriterium parat: Alle Vereine, die in der Zwölfjahres­tabelle nicht mehr als fünfzig Punkte auseinander lagen, wurden als sportlich gleich­wertig betrachtet. In diesem Fall sei die Platzierung in der Oberligasaison 1962/63 ausschlaggebend für die Lizenzvergabe. Bezogen auf den VfL vertrat der DFB zusätzlich die Auffassung, dass Eintracht Braunschweig „wirtschaftlich stabiler“ sei als der VfL.

Für die Oberliga Südwest galt diese merkwürdige Regelung in der Abschlusstabelle 1962/63 offenbar nicht, denn vor dem 1. FC Saarbrücken (5.) rangierten Neunkirchen (2.), Pirmasens (3.) und Worms (4.).

Der VfL stand nicht allein da. Insgesamt legten 13 Vereine erfolglos beim DFB Beschwerde ein, Kickers Offenbach und Alemannia Aachen zogen sogar vor ein ordentliches Gericht, scheiterten jedoch. Womit eine finstere DFB-Geschichte ihr vorläufiges Ende fand.

 

Kalla Wefel und Peter von Koss, die Autoren dieses Artikels, haben auch gemeinsam das Buch 111 Gründe, den VfL Osnabrück zu lieben geschrieben

Ohne Skandale keine Triumphe: Warum der VfL Osnabrück 1963 in die Bundesliga gehört hätte!

 


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Kalla Wefel
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