Die Waldschule Lüstringen gehört zu den Vorreitern in Niedersachsen: Seit dem Schuljahr 2022/23 unterrichtet die Schule durchgängig nach dem Churer Modell, einem innovativen Lernkonzept aus der Schweiz, das in über 50 Prozent der dortigen Volksschulen eingesetzt wird. Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter besuchte die Schule jetzt, um sich selbst ein Bild von diesem besonderen Unterrichtsansatz zu machen.
Individuelles Lernen im Fokus
Das Churer Modell setzt auf individualisiertes Lernen, bei dem Schülerinnen und Schüler selbstständig und im Team an Aufgaben arbeiten. Schon in der 4. Klasse zeigt sich, wie flexibel und effektiv das Konzept ist. Während einige Kinder an Tischen sitzen, arbeiten andere im Stehen oder an Bänken. Bewegung, gegenseitige Unterstützung und konzentriertes Arbeiten prägen die Atmosphäre, die trotz lebhafter Interaktion strukturiert bleibt.
Jeden Morgen beginnen alle Klassen mit zehnminütigen Bewegungsübungen nach dem INPP-Programm (Institut für Neuro-Physiologische Psychologie). Diese Übungen, die frühkindliche Reflexe abbauen und die Konzentration fördern, ähneln Kinder-Yoga und helfen den Schülerinnen und Schülern, entspannt in den Schultag zu starten. Seit Dezember 2024 ist die Waldschule sogar INPP-zertifiziert.
Teamarbeit und Sitzkreis als Schlüssel
Ein zentraler Bestandteil des Modells ist der Sitzkreis, in dem die Lehrkraft mit den Kindern Aufgaben und Ziele bespricht. Am Ende der Lernphase kommen alle erneut zusammen, um Erfolge und Herausforderungen zu reflektieren. Diese Struktur fördert nicht nur die soziale Interaktion, sondern schafft auch Raum für gezielte individuelle Unterstützung durch die Lehrkräfte.
„Die Unterrichtsvorbereitung ist für das Kollegium zwar intensiver“, erklärt Schulleiterin Marietta Vortkamp, „doch die Zusammenarbeit und der Austausch innerhalb des Teams haben sich deutlich verbessert.“ Auch die räumliche Gestaltung der Klassenzimmer unterstützt das Konzept: Statt starrer Sitzordnungen dominieren flexible Arbeitsplätze und der zentrale Sitzkreis.
Herausforderungen in der Umsetzung
Für die vollständige Implementierung des Modells sind jedoch ausreichend qualifizierte Fachkräfte nötig – sowohl im Vormittagsunterricht als auch im Ganztagsbereich. Derzeit ist dies im Nachmittagsbereich nur schwer umsetzbar aufgrund von Minijobbern, die jeweils nur einige Stunden im Ganztag eingesetzt werden können. Auch im Vormittagsbereich ist die Unterrichtsversorgung ausbaubedürftig. Zudem fehlen bauliche Voraussetzungen, etwa ein Raum für kollegialen Austausch.
Eltern überzeugt vom Konzept
Auf die Frage der Oberbürgermeisterin, wie die Eltern das Churer Modell bewerten, äußerten sich die Vertreterinnen des Schulelternrats und des Schulvorstands, Pamela Treschnak und Bianca Yildiz, positiv: „Wir waren anfangs skeptisch, besonders in Bezug auf die Vorbereitung auf weiterführende Schulen. Aber die Selbstständigkeit und Organisation, die unsere Kinder gelernt haben, haben uns voll überzeugt.“
Individuelle Förderung in der Praxis
Zum Abschluss ihres Besuchs erlebte Katharina Pötter eine Unterrichtsstunde im 2. Jahrgang. Die Schülerinnen und Schüler arbeiteten in ihrem eigenen Tempo: Ein Junge half einem Mitschüler bei einer Aufgabe, bevor beide eine kreative Pause einlegten, und zwei Mädchen arbeiteten konzentriert zusammen, während die Lehrerin einem anderen Kind intensivere Unterstützung bot. Diese Szenen verdeutlichten, wie das Churer Modell auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder eingeht.