Zahlreiche Sportstätten wurden in der NS-Zeit in Arbeitslager umgewandelt – so ist es auch im Osnabrücker Stadtteil Gartlage geschehen. Dort, wo der VfL Osnabrück 1939 noch große Erfolge und einen fulminanten 3:0-Sieg in der Gauliga über den damals amtierenden Meister Hannover 96 feierte, lebten und arbeiteten nur Monate später Menschen unter permanenter Todesangst. „Von einem Ort des Jubels zu einem Orts des Unrechts“ – mit diesem Titel will ein Osnabrücker Projekt die Historie aufrecht erhalten und weitererzählen.
Eineinhalb Stunden Fußweg, zwölf Stunden Arbeit und wieder eineinhalb Stunden zu Fuß: Rund drei Jahre lang war dieser Ablauf für Antonina Vasilijewna Sidoruk Alltag. Mit 14 Jahren wurde die heute 95-Jährige aus ihrem Heimatdorf nach Deutschland verschleppt, um dort Zwangsarbeit in Osnabrück zu leisten und die deutsche Kriegsmaschinerie aufrecht zu erhalten. Gemeinsam mit weiteren Mädchen und Frauen lebte und arbeitete sie im heutigen Stadtteil Gartlage – drei ihrer Begleiterinnen verlor sie währenddessen, etwa wegen Totschlags.
Aus Ort des Jubels wird Ort des Unrechts
Dort, wo Sidoruk Totschlag und Misshandlung erlebte, bejubelte nur kurz zuvor noch der VfL Osnabrück große sportliche Erfolge. Mit Kriegsbeginn wich der Fußballplatz dann allerdings dem Arbeitslager. Aus einem Ort des Jubels wurde ein Ort des Unrechts. Heute, rund 80 Jahre später, haben die Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht gemeinsam mit dem VfL-nahen Bündnis „Tradition lebt von Erinnerung“ ein bundesweites Projekt auf den Weg gebracht, das die Erinnerung an eben jenes Unrecht aufrecht erhalten soll. Mithilfe einer interaktiven Online-Karte sollen künftig Infos zu vergessenen Lagern und davon betroffenen Sportstätten aus der ganzen Bundesrepublik gebündelt werden. Gefördert wird das Projekt im Rahmen der „Bildungsagenda NS-Unrecht” durch die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) sowie das Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit 482.567 Euro.
„Die Umwandlung von Sportstätten zu Zwangsarbeitslagern war ein bedeutender Teil des NS-Systems“, erklärt Dr. Michael Gander, Geschäftsführer der Gedenkstätten. Dies sei aber auch in Fachkreisen bisher wenig bekannt. „Diese Systematik wollen wir interaktiv sichtbar machen und so ein nachhaltiges Wissen schaffen, das künftig für Bildungsarbeit jeglicher Art genutzt werden kann.“
VfL will partizipatives Projekt unterstützen
Das auf zwei Jahre angelegte Projekt sieht dabei vor, dass Interessierte ihr Wissen partizipativ einbringen können – etwa Vereine wie der VfL oder auch Fangruppierungen. VfL-Präsident Holger Elixmann kündigte dazu bereits an, dass der Verein dort unterstützen werde, wo es möglich ist. Im Ergebnis soll es in Osnabrück neben einem Platz auf der interaktiven Karte in Zukunft auch eine Infotafel geben. Nahe des heutigen KME-Geländes wird diese künftig auf das dort gelegene frühere Arbeitslager hinweisen und über die Geschichte dahinter informieren.
Ein Projektteam aus Tina Schröter, Julian Krings, Melanie Helming, Bastian Satthoff und Gero Kopp kümmert sich während der zwei Jahre um die Umsetzung, die Vernetzung und darum, Bildungsmaterialien zu sammeln und zu erstellen. Für Sidoruk, die im Anschluss an ihre Zeit in der Gartlage zunächst mit 260 Mark entschädigt wurde und später weitere Zahlungen erhielt, ist das Engagement vor dem Hintergrund des erneuten Krieges in ihrer derzeitigen ukrainischen Heimat umso bedeutender: „Es ist wichtig, zu verstehen, warum es diese Feindschaft damals gab. Um das zu verstehen, muss die Geschichte festgehalten werden. Wenn man das nicht lernt, dann passiert so ein schrecklicher Krieg wie jetzt wieder. Daher ist es so wichtig, dass die junge Generation versteht, dass man in Freundschaft leben muss.“