Neulich in Osnabrück: Wegen einer lästigen Angelegenheit musste ich mehrmals zur Nachschau in ein Osnabrücker Krankenhaus.
Ein Kolumnenbeitrag von Heiko Pohlmann
Behandelt wurde ich, weil es eigentlich nur um eine Routine handelte und der junge Mann wohl noch etwas lernen musste, von einem freundlichen Assistenzarzt.
Die jeweilige Behandlung dauerte immer einige Zeit – lästig aber notwendig. Wir kamen dabei ins Gespräch und irgendwann kam das Gespräch dann auch auf sein Studium und wie es ihn nach Osnabrück verschlagen hatte.
Studiert hatte er wohl ursprünglich in Münster oder Bielefeld. Osnabrück kannte er als attraktive Nachbarstadt, die er auch schon während seiner Studienzeit besucht hatte.
Als es daran ging sich als Arzt zu qualifizieren, war das Osnabrücker Krankenhaus dann eines auf der Liste der möglichen neuen Arbeitsorte, weil er sich der Liebe wegen nicht weit von seinem ursprünglichen Studienort wegbewegen wollte.
Weil mein freundlicher Assistenzarzt mit Vornamen vielleicht Ali, Mohammed oder Hussein hieß und auch einen arabisch klingenden Nachnamen hatte, war ich bereits von einem Migrationshintergrund ausgegangen. Den hatte er auch, allerdings war er tatsächlich erst nach dem Ende seiner Schulausbildung nach Deutschland gekommen und hatte hier ganz offensichtlich nicht nur erfolgreich Medizin studiert, sondern auch ein nahezu akzentfreies Deutsch gelernt.
Nach seiner Ausbildung zum Facharzt, vielleicht nachdem er noch ein paar Jahren Berufserfahrung gesammelt hätte, wolle er aber unbedingt zurück in seine alte Heimat. Dort wolle er dann eine eigene Praxis eröffnen, erzählte er mir während einer meiner regelmäßigen Nachschautermine.
Hier in Deutschland sei die Ausbildung zwar hervorragend, aber die technische Ausstattung – auch in dem Osnabrücker Krankenhaus – doch eher nicht der letzte Stand. Vieles, was man in seiner Heimat mit moderner Technik erledigen würde, wäre hier noch so, wie man es vor zehn oder zwanzig Jahren gemacht hätte.
Und neben dem medizinischen Standard, wäre übrigens auch der Verdienst für ihn in seiner Heimatstadt viel besser als in Deutschland, wo doch alles sehr reguliert wäre. Viel zu oft würden für Kleinigkeiten mit den Krankenkassen nicht nachvollziehbare Summen abgerechnet, aber die wirklich aufwändigen Operationen brächten kein Geld ein, weil die Krankenkassen sie nicht oder nur teilweise bezahlen würden, obwohl er doch im Studium gelernt hätte, wie damit den Patienten viel besser geholfen werden könne. Alles irgendwie von gestern hier, war sein ernüchterndes Fazit. Gut ausgebildete Ärzte, aber Patienten, die nicht immer die beste Behandlung nach dem neuesten Stand von Forschung und Technik bekommen würden.
Und irgendwann erzählte er dann auch mehr von seiner Heimatstadt, nachdem wir uns zuvor über die schönen und vielleicht auch weniger schönen Seiten meiner Heimatstadt Osnabrück ausgetauscht hatten.
Geboren und aufgewachsen sei er in Tel Aviv. Wo es so einen wunderschönen Strand direkt vor der Stadt geben würde und das Nachtleben mit keiner europäischen Stadt vergleichbar sei.
Ja, er sei Araber, kein Jude. Er erzählte dazu noch ein par Anekdoten, wie sein Vermieter in Deutschland völlig überrascht gewesen wäre, als er sich am Telefon als aus Israel kommend vorgestellt hatte, und wie sie sich dann bei der Wohnungsbesichtigung getroffen hätten und er so gar nicht ausgesehen hätte, wie sich sein Vermieter wohl einen jungen Israeli vorgestellt hatte.
Davon, wie ihm immer wieder Kommilitonen von einem angeblichen Apartheidstaat in Israel erzählen würden und gar nicht glauben wollten, dass knapp jeder fünfte Israeli arabische Wurzeln hat und nicht im Gaza-Streifen wohnt – auch seine Familie nicht. Und er erzählte auch von Schutzräumen im Wohnhaus seiner Eltern. Und vom Terror der auch damals regelmäßig völlig ungezielt auf Israel abgefeuerten Raketen, die auch ihn und seine Familie bedrohen würden, genauso wie seinen Nachbarn jüdischen Glaubens im Haus nebenan.
Ich frage mich, wenn an diesem Sonntag vor dem Osnabrücker Hauptbahnhof wieder für Palästina demonstriert wird und am Montagabend darauf vor dem Theater eine Solidaritätsveranstaltung für Israel stattfindet: Wo würde sich mein Assistenzarzt von damals da wohl wiederfinden?
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