Es ist ein Spagat: Ganz deutlich erleben wir seit dem erneuten Ansteigen der Infektionszahlen, wie sehr die Verantwortlichen sich bemühen, die unterschiedlichen Bedürfnisse bei den Entscheidungen für Maßnahmen zu berücksichtigen – und wie schwer es ihnen fällt, genau diesem Anspruch in Bezug auf die Schulen gerecht zu werden.
Ein Gastkommentar von Yeliz Sever
Wie sich der Infektionsschutz und das Recht auf Bildung am besten miteinander vereinbaren lassen, versuchen Politiker durch ständige Anpassung der Vorgaben schon seit Monaten herauszufinden. Als Schülerin kann ich sagen, dass die optimale Lösung wohl noch nicht gefunden wurde und der Schulalltag aktuell durch verschiedene Faktoren extrem belastet wird.
Während in der Freizeit strenge Kontaktbegrenzungen gelten, lassen sich in Klassenräumen mit rund 30 SchülerInnen nicht einmal ansatzweise die Mindestabstände einhalten. Klar, wir tragen Masken, es wird regelmäßig gelüftet und wir waschen uns die Hände. Alles gut, wir halten uns an die Vorgaben. Aber reicht das?
Seit Beginn der Pandemie wird aus gutem Grund immer wieder auf die AHA-Formel verwiesen: Abstand-Handhygiene-Alltagsmaske – durch Kombination der drei Maßnahmen sei ein größtmöglicher Schutz vor Ansteckung gegeben. Und genau dieser größtmögliche Schutz ist in vollen Klassenräumen, in denen die Abstände nicht eingehalten werden können, nicht gegeben, ließe sich aber erreichen durch eine Teilung der Klassen, wie wir sie schon vor den Sommerferien hatten: im täglichen Wechsel wurde die Hälfte der Klasse in der Schule unterrichtet, während die andere Hälfte im Homeschooling war.
Dieses Wechselmodell, das „Szenario B“, tritt in Niedersachsen aktuell nur dann in Kraft, „wenn am Standort der Schule die 7-Tage-Inzidenz 100 oder mehr beträgt, und eine andere die Schule betreffende Infektionsschutzmaßnahme angeordnet wurde“.
Der Inzidenzwert in der Stadt Osnabrück liegt seit Wochen deutlich über 100, an mehreren Schulen wurde vorübergehend auf Wechselunterricht umgestellt, nachdem dort Infektionen aufgetreten waren.
Aber warum wird eigentlich gewartet, bis Schüler oder Lehrer infiziert sind, bevor verschärfte Maßnahmen für den Infektionsschutz in der Schule gelten? Warum werden all die Nachteile eines unzureichenden Schutzes vor Ansteckungen in den Klassenräumen in Kauf genommen?
Durch Umstellung auf das Wechselmodell ließe sich das Infektionsrisiko schon rechnerisch mindestens halbieren (halbe Klassen = halb so viele Kontakte), darüber hinaus ließen sich Abstände einhalten und somit die Ansteckungsgefahr weiter reduzieren.
Vom RKI werden verkleinerte Lerngruppen schon ab einer 7-Tage-Inzidenz von 50 empfohlen.
All das ist bekannt. Und dennoch wird am Präsenzunterricht in voller Klassenstärke festgehalten.
Für viele ist der Schulalltag dadurch mit Unsicherheit und Ungewissheit verbunden. Das Gefühl, das sich seit März wie ein Faden durch die gesamte Corona-Zeit zieht, wird von der Tatsache verstärkt, dass man als SchülerIn momentan nicht weiß, ob vielleicht morgen schon ein Corona-Fall in der Klasse auftritt und wir in häusliche Quarantäne versetzt werden oder ob die geplante Klassenarbeit überhaupt geschrieben werden kann. Alles kann sich schlagartig ändern. Die Regelmäßigkeit, die besonders jetzt in der Schule so wichtig wäre, steht komplett in Frage. Jede Kleinigkeit kann das sonst so durchdachte System plötzlich auf den Kopf stellen.
Mit einer sofortigen Umstellung auf das Wechselmodell könnten wir uns in der Schule sicherer fühlen. Die Angst, uns anzustecken oder das Virus zu übertragen, wäre nicht mehr so groß und wir könnten uns besser auf den Unterricht konzentrieren.
Ein weiterer positiver Aspekt, der sich auch schon in vergangenen Phasen des Wechselmodells gezeigt hat: in kleineren Gruppen lernt sich ́s besser, der Unterricht ist deutlich effektiver und alle werden gleichmäßiger mit einbezogen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das zu mehr Motivation führt und wir uns individuell besser entfalten können.
An Tagen mit „häuslichem Lernen“ könnten wir uns die Aufgaben selbstständig einteilen, bei Fragen unsere Lehrer per „Iserv“ kontaktieren und sogar an Videokonferenzen mit der anderen Klassenhälfte teilnehmen. An den Schulen wurden gute Konzepte für das „Szenario B“ entwickelt, die auch einige Vorteile mit sich bringen.
Warum also weiter im Normalbetrieb, wenn ein sofortiger Wechsel in das Szenario B dazu beitragen kann, das Ansteckungsrisiko zu senken und Schulschließungen wie im März zu vermeiden?
Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrerenden sollten nicht länger einem unnötig erhöhten Infektionsrisiko ausgeliefert sein. Im Szenario B sind das Recht auf Bildung und der Infektionsschutz miteinander vereinbar.
Also: gebt uns ein B!
Unsere Gastautorin Yeliz Sever ist Schülerin einer 11. Klasse an einem Osnabrücker Gymnasium. Dieser Kommentar war Teil ihrer Bewerbung für ein Redaktionspraktikum.
Wir freuen uns, wenn wir Yeliz nach dieser hervorragenden „Arbeitsprobe“ im kommenden Sommer im Rahmen eines Praktikums als Teil unserer Redaktion begrüßen dürfen.
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