Guten Abend,
ich darf nach Hause kommen – in einer dunklen Nacht. Das ist für mich die zentrale Botschaft des Weihnachtsfestes, ebenso einfach wie prägnant. Man könnte auch sagen: in den Herzen wirds warm, still schweigt Kummer und Harm. Ich weiß nicht, ob Jesus auch eine muslimische Seite hat, so wie es ein großes deutsches Nachrichtenmagazin heute titelt. Ich weiß nicht, ob sich die Geburt von Gottes Sohn in einem Viehstall am Ende der Welt und die darauffolgende Flucht seiner Familie nach Ägypten als Parabel auf die gegenwärtigen Migrationsströme eignet. Ich weiß nicht einmal, ob man heutzutage in Schulen, in denen sich Schüler aus vielerlei Kulturen und mit unterschiedlichem Religionsverständnis des deutschen Bildungssystems erfreuen, noch Weihnachtslieder singen sollte. Ehrlich gesagt sind mir diese Dinge aufgrund meiner eher schlichten protestantischen Erziehung und einer wahrscheinlich angeborenen norddeutschen Nüchternheit auch gar nicht so wichtig. Ich weiß aber, daß in der derzeitigen hysterisch aufgeladenen politischen Atmosphäre alles, was die angebliche Tradition des Weihnachtsfestes in irgendeiner Form zu bedrohen scheint, allgemeiner scharfer Kritik ausgesetzt ist. Da wird dann gerne mal die beliebte Warnung vor einer Islamisierung des Abendlandes aus der Schublade gezogen, vor einem Ausverkauf unserer Werte und Normen respektive der deutschen Leitkultur gewarnt und von einigen besonders gut informierten Zeitgenossen auch gleich der komplette Austausch des deutschen Volkes gegen irgendwelche ominösen Zuwanderer heraufbeschworen. Nun bin ich ja ein großer Freund der freien Meinungsäußerung und vor allem der Unantastbarkeit der menschlichen Würde, ganz egal welche Absonderlichkeiten von diversen Würdenträgern dabei auch von sich gegeben werden. Wenn ich allerdings in den vergangenen vier Adventswochen gesehen habe, mit welcher Inbrunst und Verbissenheit die Vertreter der Christenheit die Ballermannisierung des Weihnachtsfestes betreiben, dann muss ich ganz ehrlich gestehen, daß ich keinerlei Verständnis für die Ängste vor einer angeblichen Gefährdung unserer guten alten Weihnachtstraditionen habe.
Ich mag es durchaus als weihnachtlich gelten lassen, wenn man auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Dom oder der Marienkirche den ein oder anderen Glühwein zuviel zu sich nimmt oder auf der betrieblichen Weihnachtsfeier den ersten Preis für professionelles sich daneben benehmen gewinnt. Wer aber an den letzten Freitag- und Samstagabenden gegen 22 Uhr zwischen Heger Tor, Hasestraße, Domhof und Redlingerstraße lustgewandelt ist, der konnte sich schwerlich des Eindrucks erwehren, daß hier alles mögliche gefeiert wurde, nur nicht das Weihnachtsfest. Die Lautstärkepegel übertrafen das Treiben an den Ossensamstagen um ein Vielfaches und der Alkoholkonsum ließ jeden Getränkestandbetreiber der Maiwoche blaß werden. Die Szenerie erinnerte mich vielerorts an das Gebaren deutscher Urlauber auf Mallorca. Wer braucht da noch vorgebliche Feinde des Abendlandes, wenn er nicht nur zur Weihnachtszeit an dem Untergang eines gesitteten Miteinanders und des Respekts vor dem Bedürfnis vieler Mitmenschen nach Ruhe und Einkehr in diesen festlichen Tagen doch selber so rücksichtslos und beharrlich arbeitet.
In meinem Alter hat man nicht mehr viele Wünsche. Ich würde es aber trotzdem begrüßen, wenn ich zukünftig im Dezember von mitternächtlichen Sprechchören a la “Daß wir aus dem Emsland sind, das weiß ein jedes Kind”, “Ole Ole Ole Ole, hier kommt der VfL, Ole” oder “Schwarz-Weiß Lienen, der beste Verein der Welt” verschont bliebe.
Vor ein paar Tagen bin ich zu später Stunde durch die Krahnstraße gegangen. In Höhe der Theaterpassage stand eine junge Dame und spielte auf ihrer Geige einige weihnachtliche Melodien. In diesem Bereich der Osnabrücker Innenstadt war ausnahmsweise mal wenig Betrieb und so fand die Musikerin leider kaum Zuhörer. Ich habe mich auf eine in der Nähe befindliche Bank gesetzt und mich an früher erinnert. An die Vorfreude auf das Fest im Kreis der Familie, an den obligatorischen Kirchenbesuch, den die Kinder immer klaglos über sich ergehen lassen mussten, bis endlich die Bescherung kam, an Spaziergänge mit meinem Hund über den menschenleeren Westerberg am Heiligabend. Weihnachten kann so vieles sein und hat wohl für jeden von uns seine ganz besondere und individuelle Bedeutung. Aber wir sollten dieses Fest beim besten Willen nicht zu einer endlosen Ballermann-Party machen. Dann haben wir eine unserer wichtigsten und schönsten Traditionen endgültig verloren. Und dann brauchen wir uns auch nicht mehr über die angebliche Heimatlosigkeit vieler Menschen in einer globalisierten Welt beschweren. Denn Weihnachten ist ja vor allem das nach Hause kommen dürfen – in einer dunklen Nacht.
Ich wünsche allen HASEPOST-Lesern fröhliche Weihnachten und natürlich einen guten Rutsch in ein neues Jahr, in dem es nichts zu mösern gibt. Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Ihr
Justus Möser