Guten Abend,
als bewegte Bürger, die wir die zukünftige Entwicklung unserer Stadt aktiv mitgestalten wollen, haben wir Rechte und Pflichten. Wir dürfen unsere Meinung zu politischen Ereignissen in Wort, Bild und Schrift kundtun, wir dürfen Stellung nehmen, Position beziehen, deutlich machen, was uns freut und was uns mißfällt. Wir dürfen demonstrieren, fordern, fördern. Und wir dürfen wählen gehen. Wobei ich finde, daß das Wahlrecht schon fast einer Pflicht gleichkommt, zumindest wenn einem das Wohl und Wehe seiner Heimatstadt am Herzen liegt. Bei einer Wahl findet die ureigenste Form der politischen Mitbestimmung statt, hier kann man seine Präferenzen klarmachen, Partei nehmen im wortwörtlichen Sinne, der Demokratie ein wenig Leben einhauchen. Die Ausübung des Wahlrechts ist aktives demokratisches Handeln, egal, für welche Partei man schlußendlich stimmen mag. Es ist die Pflicht eines mündigen Bürgers, als den wir uns alle bei jeder sich bietenden Gelegenheit so gerne bezeichnen, dieses Recht wahrzunehmen und dadurch an der politischen Willensbildung mitzuwirken.
Seit geraumer Zeit ist von einer gewissen Demokratieverdrossenheit in Deutschland die Rede, von einer Abwendung der Bürger vom politischen System, von Enttäuschung und dem Gefühl, überhaupt nicht mehr ernst genommen zu werden. Ich kann diesen Eindruck, dieses Gefühl gut nachvollziehen. Politik hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten immer mehr vom Gestalter zum Verwalter gewandelt, es werden keine großartigen Visionen und Pläne mehr präsentiert, es werden Dinge als alternativlos konstatiert, die tief in den Alltag von uns allen eingreifen und wo trotzdem unter Auslassung von notwendigen Diskursen und Kontroversen versucht wird, kaltlächelnd und äußerst machtbewußt eine bestimmte politische Richtung als alleinige Wahrheit bzw. als der Weisheit letzten Schluß zu verkünden. Widerspruch scheint zwecklos zu sein, der Bürger hat zu akzeptieren und gutzufinden. Tut er das nicht, kann die Politik auch schon mal äußerst ungemütlich werden. Dann werden Menschen als Pack bezeichnet, dann ist die Rede von Dunkeldeutschland (wo auch immer das liegen mag), von Demokratiedefiziten und verwirrten Menschen, im schlimmsten Fall von rechtsextremistischen Hetzern und Demokratiefeinden. Die Massenmedien blasen dann auch gerne in dieses Horn, es wird ein breiter Konsens der Vernünftigen vorgetäuscht, dabei wird leider nicht bedacht, daß zur Freiheit in erster Linie die Freiheit der Andersdenkenden gehört. Ich sehe in dieser Entwicklung eine große Gefahr für die Demokratie in Deutschland, aber ich bin mir ziemlich sicher, daß die Nichtausübung des Wahlrechts dieser Entwicklung nicht entgegenwirkt, sondern sie im Gegenteil noch weiter fördert.
Sonntag ist es mal wieder soweit, die mündigen Bürger sind zum Wählen aufgefordert. Es ist zwar „nur“ eine Kommunalwahl, aber die birgt gerade hier in Osnabrück einigen Zündstoff in sich. Leider haben vor allem die Parteien, die durch Koalitionen in den letzten Jahren eine Mehrheit im Stadtrat hinter sich versammeln konnten, die Streitpunkte zwischen den politischen Lagern auf eine Sperrung oder Öffnung des Neumarkts für den Autoverkehr reduziert. Ich halte das bei einer Stadt dieser Größenordnung für völlig unangemessen. Auf die politischen Entscheidungsträger im neuen Stadtrat werden weitaus komplexere Aufgaben zukommen; es gilt, Osnabrück fit für die Zukunft in einer zunehmend globalisierten und digitalisierten Welt zu machen. Da mutet der Streit um den Neumarkt eher wie eine Provinzposse an. Durch die zunehmenden Migrationsbewegungen muß bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden, müssen zuverlässige Bildungsangebote her, muss der Zusammenhalt zwischen zum Teil sehr unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und ein Interessenausgleich sichergestellt werden. Keines dieser Themen hat den Kommunalwahlkampf bestimmt, kein Kandidat hat es gewagt, unorthodoxe Ideen und Lösungsvorschläge in die Öffentlichkeit zu tragen und darauf hinzuweisen, daß wirklich erfolgreiche Politik auch und gerade die unangenehmen Themen anpacken muss. Ich habe vollstes Verständnis dafür, wenn im Wahlkampf die politischen Positionen auf einfache Kernsätze und Parolen reduziert werden. Aber so einfach, wie es sich die politisch Verantwortlichen hier in Osnabrück machen, darf man doch nun wirklich nicht handeln. Dann muß man sich auch nicht wundern, wenn die schon erwähnte Politikverdrossenheit immer weiter um sich greift und Kommunalpolitik zur Billigware verkommt. Wir mündigen Bürger sollten ein Zeichen gegen diesen Trend setzen und unser Wahlrecht aktiv ausüben. Jeder möge in sich gehen und überlegen, welcher politischen Richtung er seine Stimme verleiht. Das hat unsere Stadt verdient. Denn trotz einiger Defizite in der Qualität der politischen Arbeit vor Ort läßt es sich hier immer noch wunderbar leben, lieben, arbeiten und feiern. Wollen wir hoffen, daß das auch nach dem 11. September 2016 so bleibt!
Ich wünsche allen HASEPOST-Lesern ein Wochenende, an dem es ausnahmsweise mal nichts zu mösern gibt. Und schönes Wetter. Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Ihr
Justus Möser
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