Guten Abend,
welche Bilder kommen Ihnen in den Kopf, wenn Sie an Osnabrück denken?
Ich sehe dann immer die Altstadt vor mir, da bin ich aufgewachsen. Die engen Gassen, die schmalen kleinen Häuser, die fleißigen Menschen, die ihrer Arbeit nachgehen. Heute ist hier vieles anders. Die Altstadt ist das Schmuckstück von Osnabrück geworden, ein letzter Rest Vergangenheit, eine Erinnerung an die gute alte Zeit. Das liegt wahrscheinlich daran, daß sich um uns herum alles verändert. Osnabrück hat durch die Bombenangriffe im zweiten Weltkrieg viel von seiner Ursprünglichkeit, von seiner Schönheit, von seiner Geschichte und Tradition verloren. Und die Bausünden in der Nachkriegszeit haben dieser Stadt dann fast den Rest gegeben. Das alte Osnabrück, die stolze Hansemetropole, die altehrwürdige Handels- und Friedensstadt, der wichtige Verkehrsknotenpunkt zwischen West- und Osteuropa, zwischen den Niederlanden und Skandinavien, zwischen Nord- und Südwestdeutschland, dieses alte Osnabrück schien es plötzlich nicht mehr zu geben. Zum Glück ist es dann ja doch nicht so schlimm gekommen, wie nach dem Krieg befürchtet wurde. Osnabrück hat sich wieder ganz gut gemacht, ist ein bedeutender Handelsstandort geblieben, mit zufriedenen Einwohnern, die sich in ihrer großen Mehrheit sogar glücklich schätzen, hier leben zu können. Und die Altstadt zeugt nach wie vor vom alten ursprünglichen Osnabrück, sie ist die gute Stube der Stadt, das Herzstück einer mehr als 1200jährigen Geschichte.
Es gibt Bilder, die lassen einen ein Leben lang nicht los. Ich sehe die schneebedeckten Felder am Westerberg, wo ich mit meinen Eltern spazieren gehe. Unser Familienhund läuft vorneweg und bellt vor Freude. Und zuhause wartet ein warmer Kachelofen auf die durchgefrorene Bande, und dann liest Vater noch ein bißchen was vor, vielleicht eine Kindergeschichte, ein Märchen, eine Sage aus dem Osnabrücker Land oder die wunderschöne Geschichte von Hermann, dem Cherusker. Ich versuche bis heute, mir die kindliche Freude an den ganzen Erinnerungen zu bewahren. In einer Welt, in der nichts mehr sicher scheint, in der wir uns ständig an mehr oder weniger sinnvolle und uns als unbedingt notwendig gepriesene Veränderungen gewöhnen und anpassen sollen, kann das Hervorkramen von alten Bildern nichts schaden. Und dann fange ich an zu vergleichen. Ich frage mich: war früher wirklich alles besser als heute? Oder hat die Menschheit im Lauf der Jahrhunderte doch dazugelernt und sich weiterentwickelt? Ich lande schließlich bei irgendwelchen Banalitäten, zum Beispiel, daß es früher viel mehr arme Leute gab als heutzutage, daß man viel schneller krank wurde, daß man nicht so viel reisen und etwas von der Welt sehen konnte. Wahrscheinlich war man auch nicht so schlau und gebildet, man wußte einfach nicht so viel, man hatte kaum Möglichkeiten, ohne größeren Aufwand an aktuelle und verläßliche Informationen zu kommen. Man mußte viel mehr arbeiten für sein Geld, es gab große Klassenunterschiede zwischen den Menschen, große Ungerechtigkeiten, große Traurigkeit und großes Glück. Je länger ich über früher und heute nachdenke, umso mehr komme ich schließlich zu der Überzeugung, daß sich gar nicht so viel geändert hat. Die Menschen sind sich im Großen und Ganzen treu geblieben, sie sind nach wie vor eine schwierige und gefährliche Spezies. Jede Generation mag ihre Eigen- und Besonderheiten haben, ihre ganz speziellen Macken. Menschen waren, sind und bleiben sonderbar. Das gilt auch und ganz besonders für die Osnabrücker, angeblich ja ein wenig mürrisch und wortkarg, aber doch geprägt von ihrer Stadt und ihrer ganz speziellen Geschichte. Das ist im 21. Jahrhundert nicht anders als vor dreihundert Jahren, das war schon so zu der Zeit, in der ich geboren wurde.
Vielleicht müssen wir einfach nur lernen, uns mit unseren Unzulänglichkeiten zu akzeptieren. Es wird wahrscheinlich nie eine völlig heile und fehlerfreie Gesellschaft entstehen, in der ausschließlich Harmonie und Frohsinn herrschen. Es wird immer Klassenunterschiede und Ungerechtigkeiten geben, in Osnabrück und im Rest der Welt. Daran kann keine noch so schnelle Internetverbindung etwas ändern, keine noch so gut gemeinten Appelle und Ratschläge von den selbsternannten Experten, die die Welt verbessern wollen und sie meistens doch nur unnötig verkomplizieren. Wir bleiben unseres Glückes Schmied, trotz aller Verheißungen und Versprechungen, die täglich auf uns hernieder prasseln. Zum Schluß sind wir auf uns selbst gestellt, sind wir selber für unser Schicksal verantwortlich. Jeder einzelne von uns! Deshalb ist es oft hilfreich, wenn man sich mal wieder auf alte Zeiten zurückbesinnt, in denen alles noch nicht so fehlerfrei und reibungslos funktionierte wie heute. Ich denke gerne an früher zurück, ich schaue mir oft die alten Bilder an, nicht nur die von der Altstadt. Ich sehe mich an der Seite meiner Frau und meiner Kinder, für die ich leider immer viel zu wenig Zeit gehabt habe. Im Nachhinein ist man immer klüger und weiser. Das gilt für unser Privatleben genauso wie für die großen weltbewegenden Dinge. Manchmal, wenn ich ganz traurig und niedergeschlagen bin und mich die Last der Aufgaben, die ich täglich zu bewältigen habe, schrecklich bedrückt, dann denke ich an Osnabrück, wie es mal war. An die engen Altstadtgassen mit den dunklen Lichtern, die diesen Namen eigentlich gar nicht verdient hatten, weil sie kaum Leuchtkraft gaben. Aber wir waren trotzdem froh, daß es sie gab, die Lichter in der Nacht, die uns nach Hause geführt haben. Ich denke an den Westerberg mit seinen Wiesen und Feldern, an die langen Winterspaziergänge mit meinen Eltern und an die jungen Leute, die sich hier an den Sommerabenden getroffen haben. Ich würde gerne einmal wissen, wieviele Ehen in Osnabrück in den verträumten und lauschigen Ecken des Westerberges ihren Ursprung nahmen. Ich sehe mich mit meiner Frau im Arm, wie wir am Markt entlangschlendern, jeder ein Kind an der Hand, wir plaudern und lachen und freuen uns einfach, daß wir zusammen sind. Ich weiß nicht, welche Zeit besser ist, die Vergangenheit oder die Gegenwart. Wahrscheinlich hat jede Zeit ihren ganz besonderen Reiz, wir müssen ihn nur für uns selbst entdecken. Schönheit, Glück und Zufriedenheit liegen immer im Auge des Betrachters.
Ich wünsche allen Hasepost-Lesern ein Wochenende, an dem es nichts zu kritisieren gibt. Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Ihr
Justus Möser