Guten Abend,
morgen jährt sich mein Geburtstag zum dreihundertstenmal. Eine gute Gelegenheit, um einen Moment innezuhalten und eine kurze Bilanz meines Schaffens und Wirkens zu ziehen.
Ich war zeitlebens ein überzeugter Osnabrücker und habe meine Tatkraft, meine Kreativität, mein literarisches Talent und meine fundierte akademische Ausbildung stets mit Begeisterung und ganz viel Herzblut in den Dienst für meine Heimatstadt gestellt. Bis zu meinem Tod im Januar 1794 war ich als Jurist, Publizist und Historiker tätig. Für heutige Rechtsgelehrte gelte ich als einer der Väter des deutschen Rechts, das mit meiner Hilfe vom germanischen in das römische Recht überführt wurde.
Mit der Herausgabe der „Wöchentlichen Osnabrückischen Intelligenzblätter“ begründete ich das Zeitungswesen in Osnabrück. Hier publizierte ich auch die schließlich deutschlandweit berühmten ‚Patriotischen Phantasien‘, in denen ich mich zu Brauchtum und Volkskunde bevorzugt in meiner Heimatregion ausließ. Goethe war ein Fan von mir und meine Tochter Jenny von Voigts fungierte in meinen letzten Lebensjahren als Herausgeberin meiner gesammelten Werke, die eben unter dem Namen ‚Patriotische Phantasien‘ bis heute bekannt sind. Darin tat ich auch meine Meinung zu politischen Fragen kund.
Mein Ideal war ein freier Bürger- und Bauernstand, in seinem Eigentum gesichert und je nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch dazu verpflichtet, am gemeinsamen Wohlergehen seiner Heimatregion mitzuwirken. Diese politische Idee fand schließlich als ‚Aktientheorie‘ ihren Eingang in die politischen Wissenschaften, hat heutzutage aber in den aktuellen politischen Diskussionen so gut wie keine Bedeutung mehr. Zu meinen Lebzeiten waren die alltäglichen Probleme allerdings durchaus anders gelagert als in der Gegenwart. Der 30jährige Krieg lag mit seinen verheerenden Nachwirkungen immer noch wie ein Bleimantel über vielen deutschen Landstrichen. Ich forderte Teilhabe der Bürger an den politischen Entscheidungsprozessen, um Wohlstand und Sicherheit für das Volk zu gewährleisten. Ein Patriot war für mich nicht unbedingt jemand, der für sein Land in die Schlacht zieht. Vielmehr hielt ich es für dringend geboten, durch die Förderung von Ackerbau, Handel und Gewerbe seinem Land zu dienen und dadurch am politischen Entscheidungsprozess mitwirken zu dürfen.
Das mag im Jahr 2020 als eine national-konservative Einstellung gelten, zu meiner Zeit im 18. Jahrhundert galten diese Ideen aber als durchaus revolutionär. Wobei ich kein Freund von Revolutionen war, schon gar nicht von der französischen. Ich hielt sie für eine Bedrohung des friedlichen Gemeinwesens, für eine Überforderung des nach dem 30jährigen Krieg mühsam wiederaufgebauten Staatswesens und der damit einhergehenden funktionierenden allgemeinen Verwaltung. Wobei ich dabei nie den Untertanengeist, der uns Deutschen so oft unterstellt wird, fördern wollte. Mein Ideal war der am Gemeinwohl orientierte mündige und verantwortungsbewusste Bürger, der sein Leben in weiten Teilen selbstbestimmt gestaltet und doch stets das Wohl und die Zufriedenheit seiner Mitmenschen im Blick hat. Das mag heute nicht mehr modern sein, ich habe dadurch aber wesentliche Teile der politischen Entwicklung in Deutschland entscheidend mitgeprägt. Man möge es mir verzeihen, wenn ich es nicht jedem recht machen konnte. Vielleicht sind solche Staatsmänner wie ich ein wenig aus der Mode gekommen; ein kritischer Diskurs über den besten Weg, um das Leben der Bürger besser zu machen, kann meines Erachtens aber nicht schaden.
Ich bin mit mir, meinem Leben und Wirken nach dreihundert Jahren im Reinen. Was will man mehr? Happy Birthday to me!
Ihr
Justus Möser
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