Guten Abend,
der heilige Augustinus hat einmal gesagt: „Nimm das Recht weg, was sind Staaten dann anderes als große Räuberbanden.“
Nun bin ich kein Fan von katholischen Geistlichen, da kommt dann doch meine lutherische Erziehung durch. Aber in diesem Fall muß ich dem Augustinus einfach mal begeistert beipflichten. Was haben wir schon Großartiges zu bieten, das unsere Gesellschaft und unseren Staat ausmacht? Es ist vor allem das Recht, das Gesetz, die Werte, die für jeden Menschen ohne Ausnahme gelten, die dafür Sorge tragen, daß unser Land im besten Sinne des Wortes funktioniert. In diesen Tagen ist viel vom Grundgesetz die Rede, von einem sogenannten gemeinsamen Wertekanon, der unsere Leitkultur ausmacht und verbindlich für alle Bürger Gültigkeit hat. Ich finde es gut, daß über unser Grundgesetz gesprochen und diskutiert wird. Ich finde es gut, daß das Bewußtsein für Recht und Gesetz wieder in den Mittelpunkt unserer gesellschaftlichen Diskussion rückt. Der Bundesjustizminister hat vor kurzem behauptet: „Auch ein juristischer Diskurs kann entgleiten und zur geistigen Brandstiftung beitragen.“ Vielleicht hat er damit sich selbst und seine Schimpftiraden gemeint, mit denen er die mutmaßlichen Rechtsbeugungen der Regierenden in den vergangenen Monaten nun nachträglich zu legitimieren versucht. Es ist wieder vermehrt von geistiger Brandstiftung die Rede. Was will man uns damit eigentlich sagen? Ist ein geistiger Brandstifter, wer das Regierungshandeln kritisiert und in Frage stellt, wer darauf hinweist, daß ein Großteil der Bürger nicht mehr einverstanden ist mit dem, was ihm als alternativlos oder als angebliches Zeichen der Mitmenschlichkeit verkauft wird? Wo verläuft die Grenze zwischen einer öffentlichen Meinungsäußerung und geistiger Brandstiftung? Wer entscheidet darüber, was in unserem Land geistige Brandstiftung ist? Wer definiert diese Begrifflichkeiten? Die Meinungsfreiheit kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden in ihrer Bedeutung für unsere Demokratie und unser tägliches Leben. Ohne Meinungsfreiheit ist alles nichts. Sie zu schützen und ihrer Entfaltung soviel Raum wie möglich zu geben, das ist eine der wichtigsten Aufgaben des Staates und seiner Funktionsträger. In diesen wilden Zeiten sehen das viele Regierende offenbar anders.
Einer meiner Facebook-Freunde hat vor ein paar Tagen gepostet: „Mal eine Frage an meine Freunde: Wer von euch findet die AfD gut? Sollte das jemand mit Ja beantworten können, dann empfehle ich, Euch selbst hier zu entfernen. Ich möchte mit niemandem befreundet sein, der für die AfD schwärmt und sonstwie mit denen sympathisiert. Ich habe auch nicht vor darüber zu diskutieren.“ Kurze Zeit später folgten zwei weitere Einträge: „Ha! der erste hat sich `entfreundet`! HEUREKA!“ sowie „Und noch Ein `AfD-Freund` ist weg… Super!“ Dieser Mensch überschlägt sich offensichtlich vor Begeisterung, wenn er Freunde verliert, die eine andere politische Meinung vertreten als er selbst. Vielleicht haben sich seine Facebook-Freunde ja auch nur von ihm „entfreundet“, weil sie seine Art, mit anderen politischen Meinungen umzugehen, nicht mehr ertragen konnten. Denn nicht jeder, der für die Vielfalt des politischen Meinungsspektrums in Deutschland eintritt, muß zwangsläufig ein AfD-Sympathisant sein. Diese Möglichkeit kommt ihm allerdings nicht in den Sinn. Ich nenne ein solches Verhalten Selbstgerechtigkeit in ihrer hochmütigsten Form. Und ich möchte an dieser Stelle einfach mal unser Grundgesetz zitieren: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ (Artikel 4, Absatz 1) und „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ (Artikel 5, Absatz 1) Wo verlaufen die Grenzen zwischen freier Meinungsäußerung und geistiger Brandstiftung? Gilt bei politischen Auseinandersetzungen ab sofort der Grundsatz: „Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein!“? Ist das die Zukunft der politischen Debattenkultur in unserem Land? Willst du nicht so denken, wie ich es für richtig halte, dann entziehe ich dir meine Freundschaft! Überlege dir gut, was du tust und sagst! Denn wenn mir deine politische Meinung nicht gefällt, dann wirst du sehr plötzlich sehr einsam werden. Big Brother läßt grüßen, der Gesinnungs-TÜV läuft sich schon mal warm. Und er rekrutiert mühelos seine willigen Mitläufer, die sich berufen fühlen, für politische Sauberkeit in der deutschen Debattenkultur zu sorgen. Sogar einige meiner ansonsten sehr geschätzten Facebook-Freunde scheinen sich dazu berufen zu fühlen.
Der Bundesjustizminister hat im Zusammenhang mit seiner Warnung vor den geistigen Brandstiftern auch gesagt, daß die Kritiker der Rechtstreue der regierenden Politiker der politischen Kultur und dem Recht schweren Schaden zufügen würden, daß sie die Geltungskraft der Gesetze schwächen und schließlich die Rechtstreue der Menschen erschüttern. Er behauptet, daß es verheerende Folgen für die politische Kultur eines Landes hat, wenn Legitimität und Legalität des Regierungshandelns notorisch bestritten werden. Was will er uns damit bloß sagen? Daß wir aufhören sollen, die regierenden Politiker zu kritisieren, weil wir damit unserem Land schaden und zu geistigen Brandstiftern werden? Ich bin ganz fassungslos. Der Bundesminister für Justiz kritisiert die eigenen Kritiker. Das ist sein gutes Recht. Aber die Worte, die er dafür wählt, implizieren eine gewissenlose Vorverurteilung, eine Ausgrenzung der Kritiker, die dem Land angeblich schaden würden und die deshalb nicht mehr so richtig dazugehören. In Deutschland wird wieder unterteilt in Gut und Böse, in Schwarz und Weiß. Ich will die deutsche Regierung nicht als Räuberbande bezeichnen, aber sie muß sich doch wenigstens die Frage gefallen lassen, ob sie zur Zeit auf der Grundlage des gültigen Rechts handelt. Und sollte sich herausstellen, daß das nicht der Fall ist, dann hat sie gefälligst zum Recht zurückzukehren. Ohne Ausflüchte, ohne Wortverdrehungen, ohne Drohungen und Beschimpfungen. Sonst passiert das, was der Bundesjustizminister unterschwellig andeutet und den Kritikern vorwirft, wofür aber die herrschende politische Klasse einzig und allein selbst die Verantwortung trägt: der Verlust des Vertrauens in den Rechtsstaat, der Rückzug und die Resignation des Bürgertums und zum Schluß der Sieg des Faustrechts. Diejenigen, die davor warnen, auf die Anklagebank setzen zu wollen, ist nun in der Tat eine verheerende Verdrehung der Wirklichkeit. Der Bürger sollte sich das nicht gefallen lassen. Eine freie Meinungsäußerung ist in erster Linie gelebte Demokratie und keine geistige Brandstiftung. Es wäre schön, wenn wir uns darauf einigen könnten. Wir sollten aufhören, Andersdenkende unter Generalverdacht zu stellen. Wir sollten wieder offen miteinander reden. Das ist unser gutes Recht!
Ich wünsche allen Hasepost-Lesern ein Wochenende, an dem es nichts zu kritisieren gibt. Machen Sie das Beste draus!
Ihr
Justus Möser