Der Freitagabend (03.08.2018) versprach ein morbider zu werden. Alfred Riepertinger, Leichenpräparator aus – und vor allem mit – Leidenschaft, hielt im Rahmen der Körperwelten-Ausstellung, die noch bis zum 02. September 2018 in der OsnabrückHalle gastiert, eine Mischung aus Vortrag und Lesung.
Sein Buch „Mein Leben mit den Toten – ein Leichenpräparator erzählt“ erschien 2012 im Heyne Verlag (hier bei Bücher Wenner bestellen). Darin erzählt Riepertinger von allerlei Erlebnissen seiner Berufslaufbahn, von hinzugedichteten Doktortiteln bis hin zur Präparation von Franz Josef Strauß. Doch handelt der Abend nicht nur von dem Buch, auch wenn zwischenzeitlich einige Zeilen vom Autor selbst vorgetragen werden. Es geht um das, was nach dem Tod mit einem Körper passiert, wenn er keine klassische Bestattung erfährt.
Bereits als Kind war Alfred Riepertinger mit dem Tod in Kontakt, besuchte mit seinen Verwandten immer wieder Leichenschauhäuser und andere Institute. Dadurch – so sagt er – habe er gar nicht erst die Chance gehabt, an toten Menschen etwas komisch oder abstoßend zu finden. Nach diesem persönlichen Einblick in das Leben des Präparators geht es weiter, es wird medizinischer. Er berichtet und zeigt auf Fotos die eindeutigen Kennzeichen des Todes, beginnend mit den Leichenflecken. Mit Ende des Herzschlags wird das Blut im Körper nicht mehr bewegt, was zu eindeutig erkennbaren Verfärbungen der Haut führt: Das Blut sammelt sich unten – je nach Position der Leiche also an verschiedenen Stellen. Kurz nach Eintritt des Todes sind diese noch wegdrückbar, doch nach etwa 8 Stunden verändern sich die Leichenflecke nicht mehr.
Wie ist das mit der Leichenstarre…?
Das zweite eindeutige Kennzeichen des Todes kennen viele Krimiliebhaber – die Leichenstarre. Erliegt der Stoffwechsel der Zellen kann sich auch das „Benzin“ der Zellen, das sogenannte ATP, nicht mehr bilden bzw. abbauen. Durch eine Aneinanderreihung weiterer Prozesse versteifen sich die Muskeln des Körpers und er wird starr. Riepertinger betont dabei auch die unterschiedliche Ausprägung, je nachdem wie muskulös ein Mensch ist: „Einen sehr muskulösen Sportler können sie wie ein Brett an die Wand lehnen, das wird beispielsweise mit einem klassischen Angestellten aus dem Büro eher schwierig.“ Also: Je mehr Muskeln, umso härter der Körper. Bei Zimmertemperatur ist eine Leichenstarre etwa nach sechs bis zwölf Stunden völlig ausgeprägt und dient damit als wichtiges Instrument zur Bestimmung des Todeszeitpunkts.
Für das dritte Merkmal, die Fäulnis, räumt Riepertinger zunächst mit einem kursierenden Gerücht auf: Fäulnis ist nicht gleich Verwesung. Bei der Verwesung braucht es keinen Sauerstoff, ohne den es jedoch nicht zu einer Fäulnis kommen kann. Doch betont er hier auch: Bei Merkmalen der Fäulnis gibt es keine Diskussion darüber, ob ein Mensch eventuell noch Leben könnte. Wer faul ist, ist tot.
Pathologie und Rechtsmedizin, wo ist der Unterschied
Ein weiteres Missverständnis, das in der heutigen Gesellschaft immer noch viel zu verbreitet ist, ist die mangelhafte Unterscheidung von Pathologie und Rechtsmedizin. Zwar gehört in beiden Bereichen unweigerlich der Tod zum Beruf, dennoch meinen die beiden Fachgebiete nicht dasselbe. Während die Pathologie sich mit Krankheiten befasst, also einzelne Gewebeproben untersucht oder nur dann obduziert, wenn die genaue Todesursache natürlichen Ursprungs ist. Bei der Rechtsmedizin ist immer der ganze Mensch im Fokus, der zudem an einem unnatürlichen Tod gestorben ist – Unfälle, unklare Leichenfunde oder das klassische Mordopfer. Betonen tut Riepertinger hier besonders, dass viel zu wenige Obduktionen stattfinden, da oft vorherige Diagnosen nicht bestätigt werden können und auch rein bildgebende Verfahren wie z.B. ein CT keine Sicherheit über die Todesursache geben können.
Einbalsamierungen gehen dabei über das Alltagsgeschäft hinaus – sie finden statt, wenn entweder die 96 Stunden Bestattungsfrist verstrichen sind oder die Räumlichkeiten, in denen der Leichnam aufgebahrt werden soll, dafür nicht vorgesehen sind. Ein weiterer Sonderfall, der leider immer mehr zum Alltagsgeschäft von Präparatoren wird, ist die plastische Rekonstruktion, also das optische Herrichten von Unfallopfern.
Patient brachte eigenes Herz im Eimer
Riepertinger berichtet anschließend über seine Erfahrungen, wie bspw. den Wiederaufbau der Präparatesammlung in München, dem Räumen einer Gruft im Kloster Attl 2008, oder auch – ein für ihn ganz besonderes Ereignis – das Präparieren des „ausgedienten“ Herzens eines Transplantationspatienten, der nach Absprache mit den Ärzten sein Herz in einem Eimer persönlich bei Alfred Riepertinger vorbeibrachte und plastinieren lies.
Nach einer Pause dreht sich der Vortrag um Körperwelten und vor allem um den gesellschaftlichen Aufruhr, den die erste Ausstellung 2001 verursacht hat. Dabei werden die vielen Künstler, Forscher, Politiker und Mediziner mit Plastinaten aus den Körperwelten verglichen – doch sind deren Werke viel älter. Bereits im 16. Und 17. Jahrhundert wurde konserviert und ausgestellt – damals jedoch noch mit 70%igem reinen Congac. Doch Riepertinger kennt nicht nur Gunther von Hagen, das Vorwort zu seinem ersten Buch „Mein Leben mit den Toten“ schrieb der Kriminalbiologe und ebenfalls Freund von von Hagens, Dr. Mark Benecke.
Zahl der Obduktionen sinkt
Auf die Frage, was Journalisten ihn ständig fragen würden, gab der Präparator die klare Aussage: „Erinnern Sie sich an ihre erste Leiche?“. Das ist ihm aber bei mehreren tausend toten Körpern nicht mehr möglich und durch seinen frühen Kontakt zum Tod auch kein einschneidendes Erlebnis. Überrascht wurde ich hingegen von der Antwort auf die gegensätzliche Frage – was er noch nie von Medien gefragt wurde, aber immer schon geschrieben sehen wollte? Ganz klar: „Käme die Medizin ohne Pathologie aus?“ – Nein, das käme sie nicht. Tote sind wichtig, vor allem auch um die klinische Diagnostik verbessern und überprüfen zu können. Ein Aspekt, der in seinen Augen aktuell noch zu wenig Berücksichtigung findet – und die sinkenden Zahlen von Obduktionen geben ihm Recht.
Plazenta des eigenen Enkels präpariert
Das besondere Highlight kam zum Schluss – Riepertinger hatte die Plazenta seines Enkels, inklusive der Nabelschnur, selbst präpariert und als Anschauungsobjekt mitgebracht. Ekel ist dabei völlig unangebracht – ein fertiges Plastinat ist Kunststoff und nahezu unverwüstlich. Auch auf meine Frage, was mit Ganzkörperpräparaten geschieht, die aussortiert werden, gab es keine Antwort – das war nämlich noch nie der Fall. Kunststoffe, vor allem Silikon, sind unglaublich haltbar. Dennoch könnten sie nicht einfach verschrottet werden – sie sind eine Mischung aus Restmüll und biologischem Abfall, können also weder bestattet, noch eingeäschert oder einfach weggeworfen werden. Riepertinger selbst würde, wenn es seine Entscheidung wäre, die Präparate an Länder weitergeben, die selbst noch keine eigenen haben und damit die Bildung auch in diesen Gegenden der Welt ermöglichen. Den eigenen Körper hautnah erleben, einfach mal sehen was sich unter der Haut versteckt – das ist ein Erlebnis, das jeder gemacht haben sollte.
Am 17.09.2018 erscheint ein neues Buch von Alfred Riepertinger, in dem er sich dem Spezialfall der Mumien widmet (hier bei Bücher Wenner bestellen). Die müssen dabei nicht aufwändig behandelt worden sein, wie es im alten Ägypten der Fall war, sondern es reicht ein stetiger Luftzug um einen Körper auszutrocknen – zu mumifizieren. Aus meiner Perspektive bekommen beide Bücher, sowohl „Mein Leben mit den Toten“ als auch „Mumien“ eine absolute Kaufempfehlung!
Am 13.08.2018 hält der oben bereits erwähnte Kollege von Alfred Riepertinger, Dr. Mark Benecke, einen Vortrag im Rahmen der Körperwelten. Diese Veranstaltung ist allerdings bereits ausverkauft.