Der Einzelhandel zieht sich zurück, der ÖPNV funktioniert nicht mehr, und KI wird die Arbeit neu definieren. In seiner Utopie regt Heiko Pohlmann an, die Osnabrücker Innenstadt radikal neu zu denken.
Esprit ist pleite, die Markenrechte nach China verkauft um bald zur reinen Onlinemarke zu werden. Das Galeria-Kaufhaus steht seit Jahren leer, alle tollen Konzepte für eine neue Nutzung gescheitert. Der Busverkehr in Osnabrück funktioniert nicht mehr. Und ehrlich gesagt, ich glaube kaum, dass in den Johannishöfen am Neumarkt noch Wohnungen entstehen – warum auch? Wäre es nicht an der Zeit, die Innenstadt von Osnabrück ’neu zu denken‘?
Eine Utopie(?) von Heiko Pohlmann
Seien wir ehrlich: Wir wissen es doch alle – selbst die Kommunalpolitiker und mit Sicherheit auch Oberbürgermeisterin Katharina Pötter, die schon oft bewiesen hat, dass sie bereit ist neue Wege zu gehen. Die Zeit der Innenstädte als Einkaufsmagnet und zentraler Arbeitsplatz ist vorbei. Keine Innenstadt braucht mehr die großen und zahlreichen Einkaufs- und Büroflächen, die irgendwann zwischen 1960 und 1990 entstanden sind. Auch der öffentliche Nahverkehr mit Busnetzen und Straßenbahnen ist zumindest in kleineren Städten praktisch dem Untergang geweiht – auf lange Sicht wird sogar der Individualverkehr mit dem eigenen, selbstgelenkten Auto weitestgehend und für die breite Masse verschwinden.
Das mag man alles bedauern, aber die Zukunft läßt sich nicht aufhalten. Es wird aber nicht so kommen, dass wir in naher Zukunft alle mit dem Lastenfahrrad in die Stadt fahren, um in einem der vielen Pop-up-Stores Dörtes Dinkelkuchen und vegane Lederschuhe aus fairer Produktion zu kaufen. Und nein, in einer absehbar schrumpfenden Gesellschaft wird es bald auch keinen Bedarf an immer mehr neuen Innenstadt-Apartments geben. Denn auch die Zeit der Wohnungsnot wird bald enden – es sei denn, ein Heilmittel gegen das altersbedingte Ableben wird erfunden.
Die jetzige Wohnungsnot ist nur ein Übergangsphänomen, das sich bald erledigt hat – auch wenn Politiker etwas anderes behaupten um an die Stimmen derer zu kommen, die es im Augenblick am Wohnungsmarkt (noch) schwer haben. Und der an Amazon, Zalando & Co. verlorene Einzelhandel kommt nicht mehr zurück in die Innenstädte, nie wieder.
Es stehen uns spannende Zeiten bevor – dabei habe ich bis hierhin noch nicht einmal die beiden Buchstaben „K“ und „I“ genannt.
Was also wird passieren? Die verbleibenden Einzelhandelsgeschäfte, die entweder mit Service oder sofortiger Warenverfügbarkeit punkten können – immer gepaart mit einem „Einkaufserlebnis“ – werden sich auf eine stark verkleinerte Fußgängerzone konzentrieren.
Diese Rumpf-Shoppingzone könnte in Osnabrück von der Krahnstraße bis zum Jürgensort reichen – also vom alten „Prelle-Haus“ bis in etwa der Höhe von Bücher Wenner und L&T.
Doch damit an diesen kompakteren Einkaufsbereich nicht, was angesichts des aktuellen Zustands der Johannisstraße zu befürchten ist, eine niedersächsische Version von Detroit oder Bangladesch anschließt, braucht es dringend Konzepte für alles jenseits dieser dann gesundgeschrumpften Fußgängerzone.
Niemand wird in dieser nahen Zukunft im oberen Teil der Großen Straße noch eine breite Shoppingmeile bis zum Neumarkt oder gar darüber hinaus benötigen. Warum also nicht aufreißen und einen kleinen Fluss dort anlegen und die Immobilieneigentümer animieren auf Gastronomie zu setzen? Und was ist mit den alten Kaufhaus-Ruinen von Galeria Kaufhof oder Wöhrl? Warum sollen dort nicht innerstädtische Parks entstehen?
Ob breite Gesellschaftsschichten in Zukunft noch genügend Geld für Außengastronomie haben werden, vermag ich nicht vorauszusagen – aber die Zeit zum Flanieren wird es geben. Hier kommt KI ins Spiel, denn Arbeit ist womöglich schon bald nur noch ein Phänomen für immer weniger Mitmenschen. Selbst für eine schrumpfende Gesellschaft dürfte der Schlossgarten irgendwann zu klein und der Rubbenbruchsee zu weit draußen sein, wenn die Arbeit immer mehr von KI übernommen wird. Der Bedarf an Freiflächen wird da sein – Kaufhaus- oder Bürogebäude braucht man aber nicht mehr. Das dürfte übrigens auch für zahlreiche andere große innerstädtische Gebäude gelten, die man besser schnell abreißt sobald die Büroflächen nicht mehr benötigt werden, statt sie – wie bislang – jahrelang leerstehen zu lassen.
Zurück zu meiner Aussage, dass die Zeit des ÖPNV mit großen Bussen oder gar einer Stadtbahn gezählt ist – nicht nur, weil die Stadt kein Geld mehr dafür hat.
In sehr sehr absehbarer Zeit werden selbstfahrende Fahrzeuge, die über verschiedene Abodienste von Google, Tesla oder Uber angeboten werden, ganz selbstverstädnlich zum Stadtbild gehören. Vorbei ist dann die Notwendigkeit, alle 10 Minuten einen meist völlig überdimensionierten und manchmal aber auch viel zu vollgestopften Stadtbus durch die Gegend zu schicken – von knappem Steuergeld subventioniert und mit 2,80 Euro für den Einzelfahrschein (in der App) immer noch verdammt teuer.
Diese neuen Träger des Nahverkehrs müssen jedoch irgendwie ihr Ziel erreichen, das jedoch nicht der zentrale Busbahnhof am Neumarkt oder am Adolf-Reichwein-Platz sein wird.
Statt, wie von den Osnabrücker Grünen immer wieder geplant, die Durchfahrt von der Hasestraße zur Dielingerstraße zu blockieren, sollte man ernsthaft darüber nachdenken mehr Platz für Mobilität zu schaffen. Dazu gehört es auch, die Johannisstraße wieder für den Autoverkehr zu öffnen – zumindest für selbstfahrende Fahrzeuge. Ganz passend dazu – wenn auch ohne Weitsicht hinsichtlich zukünftig autonom fahrender Fahrzeuge – forderte die FDP jüngst eine Abkehr von der aktuell mobilitätsfeindlichen Verkehrspolitik.
Wer in der Lokalpolitik hat den Mut, die Gewissheiten und Ideologien der 70er und 80er Jahre über Bord zu werfen und die Stadt so umzubauen, dass sie mit weniger Menschen, weniger Arbeitsplätzen und weniger Einzelhandel und dafür ganz neuen Formen der Mobilität klarkommt?
Abwarten gilt nicht. Der Einzelhandel stirbt schon jetzt, die demographische Wende wird kommen. Die Konzepte für neue Nahverkehrsangebote von Tesla, Uber & Co. liegen bereits in den Schubladen und warten nur darauf, umgesetzt zu werden – egal ob Städte wie Osnabrück darauf vorbereitet sind oder nicht. Es ist besser, vorbereitet zu sein!
[Gruß vom Herausgeber] Liebe Leserin, lieber Leser, schön, dass Sie es bis hier ganz unten geschafft haben. Ein paar Zeilen weiter finden Sie noch den obligatorischen Hinweis, dass gekennzeichnete Meinungsbeiträge stets ausschließlich die Meinung des Autors wiedergeben. Aber ich möchte diesem förmlichen Disclaimer noch etwas hinzufügen. Natürlich haben Sie, wie auch ich und jeder andere Leser, eine eigene Meinung. Vielleicht weicht Ihre Meinung fundamental von diesem oder einem anderen bei uns veröffentlichten Kommentar ab, vielleicht stimmen Sie aber auch vollkommen zu oder aber Ihre Meinung ist „irgendwo dazwischen“. Vielleicht kann ein Kommentar in der Hasepost dabei helfen, neue Gedanken zu denken oder bestehende An- und Einsichten nochmals zu überdenken, dann haben wir und unsere Autoren etwas richtig gemacht und ganz generell zum Denken angeregt.
„Denken ist schwer, darum urteilen die meisten.“ (C. G. Jung)
Bitte denken Sie mehr. Ihr Heiko Pohlmann
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