Kommentar
Was haben der Ossensamstag, die Jahrmärkte an der Halle Gartlage, die Osnabrücker Nachtflohmärkte und sogar der Einzelhandel in Osnabrück gemeinsam? Auf den ersten Blick nichts? Nein, das stimmt nicht! Sie standen oder stehen vor großen Umwälzungen. Beim Ossensamstag ist der Wandel gelungen, auch wenn früher mehr Menschen auf der Straße gefeiert haben.
Auch an diesem Ossensamstag wurde wieder daran erinnert, wie viel besser doch früher alles war. Damals, als noch Hunderttausende entlang des Karnevalsumzugs standen, sich ein Zug aus mehr als 100 Wagen bereits um 11:11 Uhr (wann sonst?) in Gang setzte und bis in die Nacht in der Altstadt gefeiert wurde. Und schon vor Wochen geriet der seit Jahren kränkelnde Jahrmarkt in die Schlagzeilen, weil erst die Schausteller und nun auch die SPD für einen neuen Standort plädieren.
Die 80er Jahren wird es nie wieder geben
Seien wir beim Osnabrücker Karneval doch mal ehrlich. Die Zeiten, als die Große Straße noch brechend voll war mit Menschen und vor allem Kindern, die waren nicht unbedingt besser und es wird sie so nie wieder geben. Und das vor ein paar Jahrzehnten propevolle Einsatzbusse zwischen Neumarkt und dem Jahrmarkt an der Halle Gartlage pendelten, war hauptsächlich ein Ausdruck des Mangels an Alternativen in der Freizeitgestaltung – jedenfalls aus heutiger Sicht.
„Mein Gott, wir hatten doch nichts“; teilweise trifft das tatsächlich auch auf die 80er Jahre zu. Wir hatten sonst nicht viele Möglichkeiten zu feiern. Und wir waren auch rein zahlenmäßig mehr; viel mehr junge Menschen.
Es war die Zeit der geburtenstarken Jahrgänge. Natürlich gab es da einfach mehr Kinder und Jugendliche, die teils auch sehr exzessiv den Karneval zum Anlass nahmen mal so richtig zu feiern und ihren Eltern der Kriegsgeneration zu zeigen, wie sie sich das Leben vorstellen.
Es gab auch einfach weniger Alternativen. Bevor es Netflix gab, musste erstmal das Kabel- und Privatfernsehen Einzug in die Wohnzimmer halten. Vom Internet und Videospielen, die mehr Grafik als ein paar bunte Klötzchen lieferten, ganz zu schweigen.
Freizeitparks gab es schon in den 80er Jahren, aber das waren seinerzeit oft noch aufgemotzte Märchenwälder – oder der Vogelpark in Walsrode.
So und nicht anders sah die Zeit aus, als zehntausende Cowboys, Clowns und Indianer gemeinsam den Ossensamstag feierten – und der Jahrmarkt ein weiteres der ansonsten wenigen Highlight des Jahres war.
Wer konnte sich damals schon Flugreisen leisten? Zeltlager im Sauerland war in den 80er Jahren für viele Jugendliche die Realität. Es geht heute mehrmals täglich und zu Ticketpreisen oft unter 100 Euro vom FMO direkt nach Mallorca, hätte das jemand in den 80er Jahren für möglich gehalten? Wer „die Sau rauslassen“ will, setzt sich heute einfach in den Flieger statt auf diesen einen Samstag im Vor-Frühling zu warten. Popcorn gibt es inzwischen aus der Mikrowelle und eine virtuelle Achterbahnfahrt auf der Playstation gibt es das ganze Jahr über.
Der Karneval lebt weiter – nur nicht mehr so sichtbar
Wen wundert es, wenn heute ein paar bunte Wagen und Schunkelmusik nicht mehr die ganz großen Massen mobilisieren? Dabei lebt der Karneval und der Frohsinn weiter in Osnabrück! Er fällt nur vielleicht an diesem einen Tag und zum Höhepunkt der närrischen Saison nicht mehr so auf. Unzählige Sitzungen zahlreicher Karnevalsvereine finden auch weiterhin statt – und das zwischen dem 11. November und dem unvermeidlichen Aschermittwoch. Es ist nur alles ein wenig überschaubarer aber dennoch nicht weniger reizvoll geworden.
Der Jahrmarkt hat Konkurrenz von allen Seiten
Und genau da liegt die Chance und das Vorbild für den Jahrmarkt, in der Akzeptanz des Wandels. Ein Wandel, der eine Abkehr vom großen Volksfest über zwei Wochen bedeuten wird.
Auch für gebrannte Mandeln und Karussellfahrten hat sich die Zeit gewandelt. Die beiden „anderen Osnabrücker Volksfeste“, also die Maiwoche und der Weihnachtsmarkt, wurden über die Jahre immer größer und attraktiver. Und natürlich haben sich für die Schausteller auch sonst die Rahmenbedingungen massiv geändert. Genau wie der Ossensamstag konkurriert der Jahrmarkt mit zusätzlichem Wettbewerb.
Wenn im Sommer inzwischen gleich zwei Weinfeste vor dem Rathaus stattfinden, dazu noch ein Bierfest und diverse andere Afrika- und sonstige Kulturfeste… wer nimmt da noch einen Jahrmarkt an der Grenze zwischen Gartlage und Schinkel wahr?
Der Nachtflohmarkt ist ein Kind von eBay & Co.
Der Flohmarkt – inzwischen ganz offiziell „Nachtflohmarkt“ – ist wie der Ossensamstag ein weiteres Beispiel des gelungenen Wandels. Irgendwann in den späten 90er Jahren war das Thema „Verkaufen und Kaufen“ für den Flohmarkt in den Hintergrund getreten. Wer bestimmte Ausgaben eines Lustigen Taschenbuchs für seine Sammlung sucht oder günstig Omas altes Aussteuer-Porzellan verkaufen will, der schaut seither bei eBay.
Die beiden Osnabrücker Flohmärkte reagierten vollkommen ungesteuert durch Politik und Verwaltung auf die Konkurrenz durch das Internet und wandelten sich zum Nachtflohmarkt.
Samstagabends den „Claim“ abstecken, alles aufzubauen, eine Decke darüber legen, zum Schlafen zurück nach Hause: so funktionierte das bis in die frühen Nullerjahre. Verkauft wurde erst ab dem frühen Sonntagvormittag. Irgendwann wurde nur noch in der Nacht zu Sonntag getrödelt. Die erste Antwort der Stadt auf diesen Trend: Bußgelder und Verbote. Doch es wurde weiter in der Nacht getrödelt.
Die Flohmarktbesucher kamen fortan vor allem nur noch um einen unterhaltsamen Samstagabend zu verbringen – der Flohmarkt ist zum Event geworden.
Seit einigen Jahren wird inzwischen schon in der Nacht wieder abgebaut.
Erst als sich der Flohmarkt bereits faktisch von selbst zum Nachtflohmarkt gewandelt hatte, reagierte die Stadt, änderte den Namen und erlaubt seither offiziell das zuvor lange Jahre verbotene Handeln in den Nachtstunden.
Von Ossensamstag und Nachtflohmarkt lernen
Was können Schausteller, Politik und Verwaltung vom Ossensamstag und vom Nachtflohmarkt lernen? Der Jahrmarkt muss damit beginnen wieder ein Bedürfnis zu stillen und erkennen was die Leute nicht mehr wollen. Die eher unansehnliche Fläche zwischen Viehauktionshalle und Eisenbahnstrecke ist jedenfalls kein Ort mehr, zu dem die Menschen kommen wollen.
Ein Jahrmarkt der Zukunft muss zu den Menschen kommen, also in die Innenstadt. Er wird vermutlich kleiner sein (Vorbild: Ossensamstag) und er wird womöglich nur noch ein enges Zeitfenster haben (Vorbild: Nachtflohmarkt), dann hat er eine Chance!
Aber eines wird er auch müssen: Der Jahrmarkt wird eine Stärke herausarbeiten müssen, die so kein anderes Volksfest in der Stadt zu bieten hat. Das können besonders spektakuläre Fahrgeschäfte sein oder ein kulinarisches Angebot (vielleicht Streetfood), das es in der Form dann nur zusammen mit dem Jahrmarkt geben wird. Hier sind die Schausteller gefragt die richtige Antwort zu finden. Die Stadt sollte – wie beim Flohmarkt – „nur reagieren (auf die Vorschläge der Profis, also der Schausteller), aber bitte nicht „agieren“. Verwaltungsvorgaben und Regularien haben schon beim Flohmarkt nicht funktioniert, als man versuchte durch Verbote den Verkauf in den Nachtstunden zu untersagen.
Auch beim Einzelhandel muss „reagiert“ werden
Und was hat das mit dem Stichwort „Einzelhandel“ zu tun, das oben in der Überschrift steht? Auch hier werden Politik und Verwaltung „reagieren“ müssen.
Reagieren bedeutet beim Thema Einzelhandel, sich sehr genau anzuschauen, was die relevanten Einflussgrößen für den Handel sind. Und dabei gibt es neben dem naheliegenden Thema Onlinehandel auch noch Aspekte wie ein geändertes Konsumverhalten und den demographischen Wandel.
Wenn man erkennt und akzeptiert, dass Menschen ihre Grundversorgung immer mehr online abwickeln und das Shopping in der Innenstadt vor allem durch ihr Freizeitverhalten bestimmt wird, dann macht es keinen Sinn mehr auf noch mehr Ladenflächen und den zweiten Standort eines schon längst in der Innenstadt vertretenen Filialisten zu setzen. Dann muss der vorhandene Einzelhandel gestärkt werden und bestehende Leerstände müssen schnell wieder durch neue Geschäfte bezogen werden.
Versuche mit unnötigen Neubauten und windigen auswärtigen Geschäftemachern die Immobilienproblematik zusätzlich anzuheizen, sollten endgültig beendet werden. Der Einzelhandel ist da wie der Ossensamstag, der Nachtflohmarkt und der Jahrmarkt: Er muss fokussierter werden.
Die Zeit des Wachstums ist vorbei – Spezialisierung und Reagieren auf Kundenwünsche ist die Lösung.