„Wie“ es die Osnabrücker Rathaus-Grünen zum Ausdruck gebracht haben, auf ihrer Facebook-Präsenz, angesichts einer sicher nicht leichten unternehmerischen Entscheidung und mit Seitenhieb auf die (nun ehemaligen) Gäste des Traditionslokals Fricke Blöcks, das war „daneben“ – aber neue Kneipen könnte die Stadt vertragen. Ein Kommentar.
Die Formulierung „daneben“ wählte auch der Vorsitzende der Grünen Ratsfraktion, Volker Bajus, der sich noch in der Nacht über Facebook zu dem Posting äußerte und den inzwischen gelöschten Kommentar als „Fehler“ bezeichnete.
In der Sache aber stimmt es: Osnabrück – nicht nur das Katharinenviertel – könnte wieder ein paar mehr Kneipen gebrauchen.
Diese (neuen) Kneipen müssen ja nicht unbedingt „abgerockt“ sein, und welcher „Szene“ sie zugehören mögen, ist auch egal, wenn es sie denn nur geben würde und sie auch wirtschaftlich zu betreiben wären. Nicht ohne Grund gibt es den Begriff „Kneipenkultur“. Und genau diese Kultur ist uns abhanden gekommen.
Besser am Stammtisch als am Schreibtisch bei Facebook diskutieren
Der „Stammtisch“ wird in der politischen Auseinandersetzung immer wieder herangezogen, wenn es darum geht eine politische Meinung zu diskreditieren. Oft ist es allerdings eben solch ein Stammtisch, an dem sich bei ein paar Bierchen nicht nur die Zunge löst, sondern auch Argumente ausgetauscht werden und eine Diskussion in Gang kommt. Und das geht „Auge in Auge“ übrigens viel besser am Stammtisch als einsam am heimischen Schreibtisch über die Kommentarfunktion von Facebook! Der Stammtisch könnte tatsächlich seinen Beitrag zur Debattenkultur und gegen Politikmüdigkeit beitragen – wenn es ihn denn noch geben würde. Tatsächlich hat der Verfasser dieser Zeilen vor ein paar Jahren mehr als nur „ein paar“ gut gekühlte „Rote“ und „Grüne“ (Liköre mit dem Spitznamen „Schwarze“ gibt es wohl nicht) mit dem damaligen Fraktionsvorsitzenden der Osnabrücker Grünen „gekippt“, und das hat doch vermutlich mehr zum Verständnis der Gegenseite beigetragen, als das kurze „Hallo“ zu dem man sich bei offiziellen Anlässen begegnet.
Als Osnabrück noch eine Kneipenkultur hatte
Wer das Glück hatte in den 80er und 90er Jahren in Osnabrück aufzuwachsen (die Gnade der frühen Geburt), der kennt sie noch, die lebendige und geradezu pulsierende Altstadt mit mehr als einem Dutzend Kneipen und die auch an allen Ausfallstraßen noch reichlich vorhandenen Lokale.
Damals gab es noch Verabredungen mit dem Ziel einmal vom Heger Tor die Lotter Straße und Rheiner Landstraße auf der einen Seite hoch und der anderen Seite wieder herunter zu gehen, und in jeder Kneipe ein Bier zu trinken. Heute könnte das eine recht nüchterne Veranstaltung werden.
Als Kneipenwirte ihr Personal noch aus der Kasse bezahlten
Damals wurde am bzw. im Katharinenviertel nicht nur im Fricke Blöcks sondern auch im Nil oder Merlin das Bier hektoliterweise ausgeschenkt. Aber das war eine andere Zeit! Da gab es für den Studenten hinter der Theke noch einen Fuffi „bar auf Tatze“ aus der Kasse. „Mindestlohn“ war ebenso wenig ein Thema wie das Nichtraucherschutzgesetz oder die obligatorische Anmeldung bei dem bürokratischen Monster „Minijobzentrale“. Und es gab weder beim Finanzamt noch beim Zoll detaillierte Arbeitsanweisungen, wie viele Milliliter pro Flasche Schnaps oder Faß Bier in Abzug gerechnet werden dürfen, bevor dem Wirt pauschal eine Steuerhinterziehung vorzuwerfen ist, die dieser dann im Rahmen einer Umkehr des Unschuldsprinzips zu entkräften hat.
Bürokratie, nicht Netflix & Co, macht die Kneipen kaputt
Wer heute die mangelnde Kneipenkultur beklagt, sollte einfach mal ein wenig Nachdenken, warum in den vergangenen Jahren so viele Kneipen gestorben sind und die wenigen überlebenden Adressen sich inzwischen einer gehobenen Küche zuwenden.
Natürlich, wir haben heute Netflix, das Internet und flexiblere Arbeitszeiten. Aber ich bin mir sicher, dass es viele Menschen gibt, die gerne einfach nur paar Bier trinken wollen um dabei lediglich eine Frikadelle zu essen. Doch wo geht das noch? Denn selbst eine Frikadelle zu servieren ist vielen Wirten heute oft nicht mehr möglich. Sobald es eine Frikadelle zum Bierchen gibt, droht die Bürokratie wieder voll durchzuschlagen – es sei denn, der leckere Hackfleischbratling wurde fabrikmäßig produziert, ist in Folie eingeschweisst und wird als „Snack“ gereicht. Wird die Bulette hingegen mit ein wenig Senf garniert, in der Mikrowelle erhitzt und auf einem Teller serviert, ist unser Kneipenwirt nach Ansicht der Bürokratie ein Restaurantbetreiber, der eine ordentliche Küche vorweisen und sich um die Kühlkette kümmern muss. Und wer hat es verbrochen? Die Politik!
Mir ist nicht bekannt, dass von Seiten der Grünen es irgendwelche Initiativen gegeben hat, diese ausufernde Bürokratie, die strengen Mindestlohnkontrollen und den Generalverdacht der Steuerhinterziehung für Gastwirte abzubauen. Wer von Seiten der Politik gegen Gastwirte polemisiert, sollte sich bitte vorher selbst fragen, ob es nicht die Politik war und ist, die überhaupt erst dafür gesorgt hat, dass wir immer weniger Kneipen haben.
Mit dem SUV kann man auch zum Bio-Supermarkt fahren
Und was das Feindbild SUV angeht… auch hier tut Nachdenken manchmal gut. Die hubraumstarken PS-Monster vom Schlage Audi Q7 oder BMW X5 machen nur einen Bruchteil der Zulassungsstatistik aus. Ein Großteil unter der Rubrik SUV geführten Autos sind VW Tiguan, Toyota RAV4 etc. – und die gibt es inzwischen mit Dreizylinder-Motörchen oder Hybridantrieb. Da sitzt dann nicht „der Feind“ hinter dem Steuer, sondern oft nur jemand mit Rückenschmerzen, der gerne ein wenig höher sitzt und es schätzt, bei umgeklappter Rückbank ein Fahrrad(!) oder den Einkauf aus dem Bio-Supermarkt(!!) transportieren zu können!
Und last not least: Mehr als 2.000 Mitarbeiter bei Volkswagen Osnabrück verdienen ihren Lebensunterhalt mit der Montage u.a. von SUV.
…meint Heiko Pohlmann