Warum sollte die Lagerhalle, ein gemeinnütziger Verein, der massiv aus der Stadtkasse und zahlreichen weiteren Fördertöpfen subventioniert wird, nicht auch noch am Spendenprogramm des Onlinehändlers Amazon teilnehmen? Es geht um Anstand, meint Heiko Pohlmann.
Ein Kommentar von Heiko Pohlmann
Mit Aufrufen zu Kaufboykotten haben wir in unserer Geschichte keine guten Erfahrungen gemacht. Schnell erinnert man sich an die NS-Zeit oder auch die unglücklichen Aufrufe einiger Osnabrücker Kommunalpolitiker aus dem linken Spektrum, als der Bund Osnabrücker Bürger (BOB) sich anschickte, ins Rathaus einzuziehen und man vermeintliche Förderer bei Facebook zu diskreditieren versuchte. Auch gegen Südfrüchte aus Israel gibt es immer wieder ähnliche Boykottaufrufe, in jüngster Zeit von der offen antisemitischen BDS-Bewegung. Man muss also vorsichtig sein; Boykottaufrufe gehen eigentlich gar nicht – im Kleinen wie im Großen.
Als mir in der vergangenen Woche ein alteingesessener Osnabrücker Kaufmann von dem Amazon-Spendenbutton auf der Website der Lagerhalle erzählte, hab ich daher direkt davor zurückgeschreckt, das thematisieren zu wollen. Bitte jetzt nicht auch noch Amazon boykottieren. Warum wurde trotzdem ein Artikel daraus, der erstaunlich viele Reaktionen zu Tage förderte und warum sollte gerade die Lagerhalle etwas zurückhaltender bei der Wahl ihrer Partner sein?
Ganz grundsätzlich geht es ja eben nicht um einen Aufruf zum Boykott von Amazon, sondern darum, ob man wegen ein paar Spenden-Euro explizit dafür werben sollte, bei dem US-Versandriesen Dinge zu bestellen, die es meist auch vor Ort zu kaufen gibt.
Und es geht überhaupt nicht darum, ob Amazon-Chef Jeff Bezos sich von den sprudelnden Gewinnen seines Versandunternehmens eine neue Segelyacht oder noch eine Insel kauft oder damit der US-Raumfahrtindustrie notwendige Impulse gibt.
Soll der Mann doch mit seinem Geld machen was er will! Raketen und Yachten werden von Menschen gebaut und auf seiner Privatinsel wird es auch reichlich Angestellte geben. Das Geld ist ja nicht weg und wie bei Onkel Dagobert in einem Geldspeicher gebunkert – es ist unterwegs im Kreislauf, der allerdings leider oft genug an Deutschland vorbeiführt.
Aber das ist eigentlich ein anderes Problem, wenn wir in Deutschland nicht mehr produzieren, was sich (Super-)Reiche so an Spielzeug wünschen. Von Apple-Gründer Steve Jobs ist bekannt, dass er geradezu verliebt war in seine Miele-Haushaltsgeräte aus dem nahen Gütersloh und in Autos aus Stuttgart. So funktioniert Wirtschaft, wenn die in Shenzhen gefertigten iPhones dafür sorgen, dass in Ostwestfalen und Schwaben mehr Waschmaschinen und Sportwagen produziert und Arbeitsplätze gesichert werden.
Wenn man mich fragt, dann geht es auch nicht darum, nach welchem Tarifvertrag genau in den Logistikzentren ein marktübliches Gehalt für Lagerarbeiter bezahlt wird – wie es die Gewerkschaft Ver.di gerne hätte.
Selbst die Diskussion über die Steuerpflicht von Amazon oder das Gewese darum, wie mit den allfälligen Retouren in den inzwischen meist im osteuropäischen Ausland angesiedelten Logistikzentren umgegangen wird, ist mir aus meiner Osnabrücker Perspektive schon fast herzlich egal – obwohl ich selbstverständlich eine Meinung auch dazu habe und hoffe, dass die Europa- und Bundespolitik hier endlich tätig wird; denn trotz öffentlichkeitswirksamer Beteuerungen kommt aus Brüssel und Berlin in Sachen Amazon weiterhin nur die übliche heiße Luft.
Vieles, was das Unternehmen Amazon und seinen Gründer ausmacht, hat entweder mit einer Neiddebatte zu tun (wir neigen in Deutschland dazu bei erfolgreichen Menschen immer nur das Negative zu suchen) oder es passiert schlichtweg weit außerhalb unseres lokalen Einflussbereichs.
Es geht um unseren Osnabrücker Mikrokosmos
Aber da sind wir endlich da, wo ich hin will. Der Lagerhalle e.V., aber auch einige andere Osnabrücker Vereine und der Zoo Osnabrück, die inzwischen von Leserinnen und Lesern als weitere Teilnehmer des kuriosen SMILE-Spendenprogramms genannt wurden, sind Akteure in unserem kleinen Osnabrücker Mikrokosmos.
Die Stadt Osnabrück ist faktisch pleite. Das Geld ist knapp und die Gewerbesteuer ist die einzige Steuer, die direkt in die klamme Stadtkasse fließt. Und dennoch erwarten diese „Amazon-Partner“ wie selbstverständlich, dass man sie aus Steuergeldern fördert.
Ein Leser der HASEPOST hat es in einem Facebook-Kommentar vorgerechnet. Für 10.000 Euro Umsatz, die notwendig sind, damit Amazon den Teilnehmern seines Smile-Spendenprogramms überschaubare 50 Euro überweist, kann die Stadt Osnabrück bei einer gut kalkulierten Marge des lokalen Einzelhändlers ein Mehrfaches der Spendensumme an Steuereinnahmen generieren.
Und nicht nur das: Mit jedem Einkauf innerhalb der Stadtgrenzen werden Arbeitsplätze in Osnabrück gesichert. 10.000 Euro Umsatz pro Mitarbeiter im Monat (= 50 Euro Spende von Amazon), dass ist in Zeiten der Pandemie für manch einen stationären Händler traurige Realität.
Und selbst wenn so ein leichtfertig auf die eigene Website integrierter Spendenbutton gar nicht für ein großartig geändertes Kaufverhalten der eigenen Klientel sorgt, es gehört zum Anstand dazu, sich genau zu überlegen, ob man als Verein, der von Steuerzahlungen alimentiert wird, die den Menschen und Unternehmen dieser Region abgepresst wurden, diesen als Dank einen symbolischen Mittelfinger zeigt.
Die Lagerhalle hat reagiert und den Spendenbutton inzwischen entfernt – das ist gut so.
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„Denken ist schwer, darum urteilen die meisten“ (C. G Jung).
Bitte denken Sie mehr, Ihr Heiko Pohlmann.
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