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Kinder zeigten Politikern die Auswirkungen der ÖPNV-Kappung in Belm

Was nützt die schöne neue Welt der der Elektrobusse, wenn diese mangels Reichweite oder der Bereitschaft der Politik sich an den Kosten zu beteiligen, nicht mehr auf bekannten Linien bis dorthin fahren, wo die Menschen leben?
Das ungefähr ist eine der Kernfragen, die sich die Bürger des Belmer Ortsteils Up de Heede seit Jahresbeginn stellen und die in der vergangenen Woche Hunderte auf die Straße trieb.

Auf Einladung von Silke Wortmann, die für die FDP im Belmer Gemeinderat sitzt, stellten sich Politiker aus dem Kreistag zusammen mit dem Bundestagsabgeordneten Matthias Seestern-Pauly den Fragen der Bürger vor Ort. Und die Bürger kamen reichlich!

In einem Leserbrief zur gekappten Busanbindung, den unsere Redaktion Anfang April veröffentlicht hatte, war von rund 1.000 betroffenen Bürgerinnen und Bürgern die Rede – das war wohl nicht übertrieben. Ein großer Teil dieser inzwischen vom ÖPNV abgeschnittenen Belmer Bürgerinnen und Bürger versammelte sich am Mittwochabend an der inzwischen ehemaligen Endhaltestelle „Schloßstraße“.

Hunderte Bürger versammelten sich an der alten Endhaltestelle Schlossstraße in Belm
Hunderte Bürger versammelten sich an der alten Endhaltestelle Schlossstraße in Belm. / Foto: Pohlmann

Die Politiker taten gut daran, dass sich die Betroffenen erst einmal den Frust von der Seele reden konnten. Dabei kristallisierten sich schnell einige sehr konkrete Themen heraus, die den Frust erklärten.

ÖPNV-Anbindung war oft ausschlaggebend für Grundstückskauf

Für viele Neu-Belmer, die in den vergangenen Jahren viel Geld für Baugrundstücke und Hausbau in der Stadtrandgemeinde Belm investierten, war die als hervorragend empfundene Anbindung ihres neuen Wohnortes im 20 Minuten Takt bis in die Osnabrücker Innenstadt oder zum Hauptbahnhof ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des Baugrundstücks.
Eine erboste Anwohnerin rechnete in einem Zwischenruf vor, dass der Aufpreis für das teurere Grundstück in Belm im Vergleich zu einer möglichen Alternative in Vehrte oder Ostercappeln, seinerzeit ungefähr genau dem Gegenwert eines Kleinwagens entsprochen hätte. Das Auto müsste sie aber nun trotzdem anschaffen, um bei Wind und Wetter zu ihrem Arbeitsplatz nach Osnabrück zu gelangen. Große Sorgen drückten viele Bürger mit Zwischenrufen darüber aus, dass die steigenden Energiekosten, Zinsen, die Inflation und vor allem auch die Benzinpreise bald nicht mehr zu stemmen sein werden.

Wollte die Gemeinde die Neu-Bürger bewusst täuschen?

Dass die Gemeinde eine aufwändig konstruierte Endhaltestelle zentral im Neubaugebiet platzierte, empfinden viele Neu-Belmer inzwischen rückblickend als Täuschung, die ganz bewusst nur solange aufrecht erhalten wurde, bis alle Grundstücke verkauft wurden.

Rest-Schülerverkehr nur am Morgen und oft unzuverlässig

Seit Umstellung der Metrobuslinie nach Belm auf Elektroantrieb wird die Endhaltestelle Schlossstrasse offiziell nur noch von lediglich drei Bussen für den Schülerverkehr angefahren.
Damit soll sichergestellt werden, dass am Morgen zumindest der Weg hin zur Schule ohne längeren Fußmarsch beginnen kann. Doch hier hapert es ganz offensichtlich mit der Verlässlichkeit. Wer sich auf die ohnehin nur äußerst überschaubare Zahl der Schulbusfahrten verlässt, wurde im vergangenen Winter mehrfach in der Kälte stehen gelassen.
Mal kam einer der drei angekündigten Busse nicht, mal war dieser bereits an der zweiten Haltestelle so voll, dass Schülerinnen und Schüler an der Haltestelle stehen gelassen wurden. Mangels einer Anbindung an das reguläre Liniennetz mussten die Schülerinnen und Schüler entweder durch strömenden Regen und Schneetreiben bis zur nächsten regulären Haltestelle weiterlaufen oder auf eine „Helikopter-Mutti“ hoffen, die ad hoc eine PKW-Fahrt zur Schule organisierte. Die erste Schulstunde war damit schon mal verpasst.
Besonders perfide finden die Anwohner der Siedlung, dass man mit den drei morgendlichen und nur unzuverlässig fahrenden (Diesel-)Schulbussen eine Anbindung an das Stadtbusnetz nur simuliere, denn für den Rückweg nach Hause werden keine Busse zur Verfügung gestellt.

Weg zu den neuen Bushaltestellen gefährlich und nicht geräumt

Eine junge Frau brachte noch einen weiteren Aspekt in die Diskussion ein, der vor allem die dunklen Wintermonate betrifft.
Um zu den weiterhin von den Stadtbussen angefahrenen Haltestellen zu gelangen, müsse sie einen Fußweg benutzen, der im Winter nicht geräumt wird und zudem auch an einem dunklen Ort vorbeiführe, der einfach nur „gruselig“ sei, „der perfekte Ort für böse Absichten“.
Sie selbst würde diesen Weg nach Einbruch der Dunkelheit nur gehen, wenn sie mit Ihrem Handy eine Verbindung zu einer Freundin halten könne.

Die Bürger aus dem Ortsteil „Up de Heede“ zeigten den Politikern, wo nun die Metrobusse halten
Die Bürger aus dem Ortsteil „Up de Heede“ zeigten den Politikern, wo nun die Metrobusse halten. / Foto: Pohlmann

Wie ernst ist es vor allem den Grünen mit der Verkehrswende?

Besonders viel Gegenwind musste Günther Westermann, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Belmer Stadtrat, einstecken.
„Ich dachte, dass ich in einer Welt lebe, in der der Busverkehr ausgebaut wird“, brachte eine Belmerin auf den Punkt, was viele in ihrer Nachbarschaft nicht verstehen können.
Die Gemeinde habe die Anbindung an den ÖPNV ja „nicht vertraglich zugesichert“ und warum denn bitteschön die Betroffenen nicht zu den Gemeinderatssitzungen gekommen seien, „dort wurden die Pläne bereits im Jahr 2020 in mehreren Sitzungen diskutiert“, argumentierte der Vertreter der Ökopartei, der auf seiner Wahlkampf-Webseite dafür wirbt, die A33 Nord verhindern zu wollen und ein „nachhaltiges Verkehrskonzept für Osnabrück und den Landkreis Osnabrück“ fordert.

Die Antworten des Grünen, von dem man sich vermutlich mehr Engagement für den ÖPNV erwartet hatte, sorgten für viel Frust.
Nicht wenige Bürgerinnen und Bürger erinnerten Westermann daran, dass die entscheidenden Gemeinderatssitzungen 2020 ja wohl auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie stattgefunden hätten und dass man – auch um die Kosten für Grundstückskauf und Hausbau abzubezahlen – oft genug noch am Arbeitsplatz gewesen sei, während die Kommunalpolitiker über die ÖPNV-Anbindung ihres Wohngebiets entschieden haben.

Grünen-Politiker verweist auf Kosten, die Belm nicht übernehmen will

Westermann nannte im Verlauf der Diskussionen mehrere Zahlen, die erklären, welchen Preis die Gemeinde Belm nicht bereit zu zahlen sei, damit der Status Quo im ÖPNV erhalten bleiben könne.
Demnach müsse die Gemeinde aktuell einen Betrag von jährlich etwa 650.000 Euro an die Stadtwerke Osnabrück zahlen, damit Belm in das Stadtbusnetz integriert bleibt.
Nachdem sich die Stadtwerke Osnabrück entschieden haben, ihre Busflotte nach und nach zu elektrifizieren, hätte eine Forderung in Höhe von etwa 250.000 Euro jährlich im Raum gestanden, damit die zwei Haltestellen im Baugebiet Up de Heede weiterhin angebunden bleiben – das sei der Preis, den Belm nicht zu zahlen bereit sei. Statt da, wo die Menschen wohnen, soll die für Belm geplante Ladestation für die E-Busse an der Bremer Straße entstehen.

Günther Westermann (Grüne) hatte einen schweren Stand bei den Bürgern in Belm
Günther Westermann (Grüne) hatte einen schweren Stand bei den Bürgern in Belm. / Foto: Pohlmann

Und überhaupt, so der Grünen-Politiker, der versuchte, eine formelle Ebene zu halten: Der zusätzliche Fußweg sei nach seinen Berechnungen nur 600 Meter und nicht 900 Meter lang, wie von den Bürgerinnen und Bürgern vorgebracht.

Wie lang ist der zusätzliche Weg mit den Beinen eines Grundschülers?

Die Diskussion, wie lang der zusätzliche Fußweg sei, war eine Steilvorlage für die Kritiker aus dem Baugebiet. Ein bereits mitgebrachter Schulranzen eines Erstklässlers und eine exemplarische Bastelarbeit, wie sie häufig mal aus der Schule mitgebracht wird, wurde den Politikern entgegen gehalten. „Und dann stellen Sie sich mal vor, wie Sie mit den kurzen Beinen eines Siebenjährigen damit nach Schulschluss und der Busfahrt nach Hause kommen.“

Matthias Seestern-Pauly wird damit konfrontiert, was ein Grundschüler auf dem Schulweg schleppen muss
Matthias Seestern-Pauly (MdB der FDP) wird damit konfrontiert, was ein Grundschüler auf dem Schulweg schleppen muss; rechts neben ihm steht der stellvertretende Landrat Michael Lührmann (CDW). / Foto: Foto: Pohlmann

Um zu demonstrieren, wie beschwerlich und lang der Schulweg für die Kleinsten jetzt ist, luden die Belmerinnen und Belmer die Parteivertreter ein, doch mal einen Schulweg gemeinsam abzulaufen.
Ein Praxistest, dem sich der Grüne Günther Westermann, der sich bei der Einschätzung der Lage lieber auf Google Maps verlassen wollte, entzog. Der FDP-Politiker Matthias Seestern-Pauly wagte hingegen das Experiment durch die Siedlung.

Am Ende des gemeinsamen Fußmarsches waren es 12 Minuten, die ein Grundschüler braucht, um aus dem Baugebiet zur nächsten noch regulär befahrenen Haltestelle zu gelangen – bei sommerlichen Temperaturen, ohne Starkregen und Schneetreiben.

Seestern-Pauly: „Das Thema bewegt“

„Das Thema bewegt, im Normalfall hätte ich nicht so viele Menschen erwartet“, fasste der FDP-Bundestagsabgeordnete schon zu Beginn des Aufeinandertreffens mit den Belmer Bürgerinnen und Bürgern seinen ersten Eindruck in Worte. Nach dem gemeinsamen Praxistest-Spaziergang betonte Seestern-Pauly, dass er sich dafür einsetzen werde, dass eine Lösung gefunden wird.

Michael Lührmann (CDW), der als stellvertretender Landrat ebenfalls den Praxistest-Spaziergang durch die Siedlung begleitete, betonte, dass der „ÖPNV genau wie die Breitbandversorgung“ eine „vordringliche Aufgabe“ für den Landkreis Osnabrück sei. Man könne aber nicht zum Beispiel Hasbergen gegen Belm ausspielen, sondern müsse jetzt sehen, für alle – und jetzt auch für die Belmer – eine gute Lösung zu finden.

Dass so viele große und kleine Belmerinnen und Belmer zu diesem Ortstermin gekommen seien, habe sie nachhaltig beeindruckt betonten abschließend Matthias Seestern-Pauly (FDP), Michael Lührmann (CDW) und Silke Wortmann (FDP).

Lührmann war so beeindruckt, dass er die rege Teilnahme vor allem der Kinder als „eine Lehrstunde in Sachen Demokratie“ bezeichnete. Damit der Lerneffekt, gerade bei den jungen Belmerinnen und Belmern nachhaltig sein wird, ist wohl nun die Politik am Zug.


[Persönliche Anmerkung des Redakteurs: Der Vertreter der Grünen war am Ende des Spaziergangs durch die Gemeinde schon lange nicht mehr gesehen, er musste wohl weiter daran arbeiten, die A33 Nord zu verhindern … Vielleicht hatte er auch einfach nur einen schlechten Tag?
Aber den Bürgern, die mit Nachdruck „ihren Bus“ zurückhaben wollen, zu entgegnen, sie hätten doch die Gemeinderatssitzungen besuchen sollen, das erinnert mich ganz persönlich sehr an das erste Kapitel von „per Anhalter durch die Galaxis“; lesenswert nicht nur in diesem Zusammenhang.]


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Heiko Pohlmann
Heiko Pohlmann
Heiko Pohlmann gründete die HASEPOST 2014, basierend auf dem unter dem Titel "I-love-OS" seit 2011 erschienenen Tumbler-Blog. Die Ursprungsidee reicht auf das bereits 1996 gestartete Projekt "Loewenpudel.de" zurück. Direkte Durchwahl per Telefon: 0541/385984-11

  

   

 

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