Die Wanderausstellung „Betroffene zeigen Gesicht“ ist ab sofort und bis zum 11. Juni im Forum am Dom zu sehen. Dadurch wird die wissenschaftliche Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück durch die Universität durch eine persönliche und emotionale Ebene von 22 Betroffenen ergänzt.
Seit September 2021 arbeitet die Universität Osnabrück den Umgang mit sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück seit 1945 auf. Im Herbst vergangenen Jahres stellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Ergebnisse in einem Zwischenbericht vor. Eine Ausstellung soll nun neben der sachlichen Aufklärung auch die Schicksale Betroffener in den Fokus der Öffentlichkeit bringen.
22 Einzelschicksale machen Missbrauch konkret
Dr. Ilonka Czerny hat die Wanderausstellung 2022 an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart konzipiert. Sie dokumentierte so 22 Einzelschicksale Betroffener. Auch Karl Haucke, Mitglied der Steuerungsgruppe in Osnabrück, zeigt dort sein Gesicht. „Ich habe Jahrzehnte gebraucht, um zu entkommen“, heißt es unter anderem in seinem Text. Haucke gab den Impuls, die Ausstellung in die Friedensstadt zu holen. Laut Universitätspräsidentin Prof. Dr. Susanne Menzel-Riedl sei es ein „wertvolles Zeichen“ der Auseinandersetzung, dass die Ausstellung im Forum am Dom und damit in den Räumen des Bistums Osnabrück gezeigt werde.
Fotos der Betroffenen zeigen sie zu der Zeit, in der ihnen der Missbrauch widerfahren ist. Eigene Texte geben ihre Emotionen wider, was der Missbrauch mit ihnen gemacht hat und welche (Zer-)Störung daraus folgte. „Als Kleinkind hat mir ein katholischer Gemeindepfarrer nicht nur meine Kindheit zerstört, sondern auch viele Bereiche in meinem heutigen Leben“, schreibt ein Betroffener. Einige schreiben von Selbstmordgedanken, von psychischen Problemen, Schulden oder Alkoholproblemen. „Mit 15 Jahren trank ich eine Flasche Schnaps am Tag“, „mit 18 schon drei Selbstmordversuche hinter mir“ oder auch „in meinem Kopf verjährt nichts“ zeigen eindrücklich, was geistlicher Missbrauch mit den Betroffenen macht.
Ausstellung auch Aufruf für Betroffene
Noch bis zum 11. Juni wird die Ausstellung außer montags von 11 bis 18 Uhr im Forum am Dom gezeigt. Die Ausstellung soll auch Betroffenen helfen, die sich bislang noch nicht gemeldet haben, den Mut zu finden, sich bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Osnabrück zu melden. Bereits nach dem Zwischenbericht im vergangenen Jahr hätten sich weitere Betroffene an das Uniteam gewandt. Derzeit befassen sich die Forschenden damit, wie es in kirchlichen Institutionen überhaupt dazu kommen konnte und was Missbrauch im Kontext Kirche beförderte.
Die Universität zählt derzeit 30 Betroffene. „Es gibt mehr Betroffene, als sich bisher bei uns gemeldet haben“, sagt Dr. Jürgen Schmiesing, Koordinator der Forschungsgruppe, die wiederum darauf angewiesen sei, dass sich Betroffene melden. „Niemand, der sich bei uns meldet, muss Angst haben, die Kontrolle über seine Informationen zu verlieren“, versichert Prof. Dr. Hans Schulte-Nölke. Es sei jederzeit möglich, Interviews abzubrechen oder sich aus dem Forschungsprozess zurückzuziehen. Betroffene können sich bei Dr. Jürgen Schmiesing melden – telefonisch unter 0541 9696422, per Mail oder postalisch (Universität Osnabrück, Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, z. Hd. J. Schmiesing, Postfach 4469, 49074 Osnabrück).