Es ist an sich keine Besonderheit, dass die Neurochirurgin Dr. Juliane Schroeteler vom Klinikum Osnabrück Eingriffe durchführt, bei denen sie den Schädel von Patienten öffnet und Tumore entfernt – nur, dass ihre Patienten normalerweise keine Katzen sind. Eine Verkettung glücklicher Umstände führte dazu, dass Dr. Schroeteler gemeinsam mit Dr. Carsten Grußendorf und Dr. Claudia Funcke im Tiergesundheitszentrum Grußendorf in Bramsche mit einer solchen hochspezialisierten Operation das Leben von Lilly, einer achtjährigen Britisch Kurzhaar Katze, retten konnte.
Freundschaft führt zur Operation
Für Lilly war es jedenfalls eindeutig ein Glücksfall, dass Schroeteler mit der Veterinärmedizinerin Dr. Claudia Funcke vom Tiergesundheitszentrum Grußendorf befreundet ist und ihre Unterstützung durch den privaten Kontakt zustande kam. Funcke hatte Schroeteler – ausgerechnet beim Reiten – von Lilly berichtet, um kollegialen Rat zu dem Fall einzuholen. Zu dem Zeitpunkt bestanden keine guten Aussichten für Lilly: Die u.a. auf Veterinäronkologie spezialisierte Funcke und der Veterinärchirurg Dr. Carsten Grußendorf hatten festgestellt, dass ein beträchtlich großer Hirntumor der Auslöser der massiven Gleichgewichtsstörungen und Gehbeschwerden war, von denen die Katze betroffen war.
Zuvor aussichtslose Situation für Lilly
„Hirntumore bei Katzen können gut mit Bestrahlungen behandelt werden, wie es auch häufiger im Tiergesundheitszentrum Grußendorf durchgeführt wird“, erklärt Funcke. „Bloß war der Tumor in Lillys Fall so groß, dass die Zeit dafür nicht mehr gereicht hätte. Sie litt bereits massiv unter den Folgen des gestiegenen Hirndrucks und es wäre nicht möglich gewesen, den Tumor mit anderen Behandlungen rechtzeitig zu schrumpfen, bevor es tödlich für sie gewesen wäre.“
Es habe im Raum gestanden, die Katze einzuschläfern. Natürlich sei sie von den Schicksalen ihrer kleinen Patienten auch außerhalb der Arbeitszeit bewegt. „Und wenn man in einem solchen Fall ausgerechnet mit einer Hirnchirurgin befreundet ist, spricht man natürlich darüber. Was ich nicht erwartet habe, war das Angebot, dass sie uns hilft“, sagt Funcke.
Kenntnisse und Technik als Voraussetzung
Dass sie sich den ungewöhnlichen Plan ausgedacht haben, geht, wie die beiden Frauen schildern, natürlich darauf zurück, dass Schroeteler über die erforderlichen Kenntnisse verfügt, eine solche Operation durchführen zu können. „Aber die Voraussetzung war erst einmal, dass in dem Tiergesundheitszentrum alle moderne Bildgebungstechnik und ein passendes OP-Setting vorhanden ist, wie sie in Krankenhäusern bei Menschen genutzt wird“, macht Schroeteler deutlich. „Nur mit einer Tierklinik, welche über einen solch hohen Standard hinsichtlich der operativen und der perioperativen Möglichkeiten von der OP-Ausstattung über Intensivstation bis Anästhesie sind solche komplexen Operationen möglich.“
Der Zeitpunkt hat einfach gepasst
Lillys Tumor hatte nach den Angaben von Schroeteler einen Durchmesser von fast zwei Zentimetern. Er sei fast so groß wie ihr Hirn gewesen. Eine Sache des Augenblicks, dass sie das Angebot gemacht habe, Lilly zu operieren. „Das Tiergesundheitszentrum ist so modern ausgestattet, dass sich ein solcher Eingriff überhaupt machen lässt“, sagt Schroeteler. „Aber der Grund liegt einfach darin, dass ich Tiere mag – wir haben auch eine Katze. Außerdem hat irgendwie alles gepasst, dass ich es schnell genug an dem Samstagvormittag einrichten konnte. Die beiden Kinder von Claudia Funcke, die etwas älter sind, haben in der Zeit der Operation auf meine beiden, aufgepasst‘ und alle haben sich darüber gefreut, dass wir zusammen eine Katze operiert haben.“
Operation nicht großartig anders als bei Menschen
Statt Menschen eine Katze zu operieren, sei keine so große Sache. „Letztlich sind wir alle Säugetiere“, sagt Schroeteler. Die MRT-Bildgebung habe es ermöglicht, den Eingriff ebenso präzise wie bei Menschen zu planen und dann auszuführen. „Der Schädel einer Katze hat eine andere Form und ihr Großhirn ist kleiner als unseres, aber im Grunde ist ein solcher Eingriff nicht anders als bei Menschen. Bloß stellt der Organismus einer Katze andere Anforderungen bei der Narkose – verkürzt gesagt, darf sie bei ihnen nicht lange dauern.“
Nach zwei Stunden war die Operation geschafft
Lillys Operation, an der neben Claudia Funcke auch Inhaber Dr. Carsten Grußendorf beteiligt war, sei nach zwei Stunden geschafft gewesen. „Ich habe erst mit einem kleinen Bohrer den Schädelknochen geöffnet und dann mit einer speziellen Säge ein etwa 1,5 x 1,5 Zentimeter großes Stück herausgesägt und dadurch den Tumor entfernt – letztlich genauso wie bei einem Menschen.“
Der Katze ging es direkt besser
Der Eingriff habe, wie die beiden Medizinerinnen berichten, zum bestmöglichen Ergebnis geführt. Lilly habe zehn Minuten nach der Operation die Augen geöffnet und sei bereits wenige Stunden später wieder aufgestanden und gelaufen. „Vorher konnte sich Lilly kaum auf den Beinen halten und ist laufend zur Seite umgekippt. Das war schon an dem Abend vorbei – sie ist gerade gelaufen. Am Tag danach habe ich sie mit zu mir ins Büro genommen und auf einmal saß sie auf der Fensterbank. Vor der Operation war es undenkbar, dass sie den Sprung geschafft oder überhaupt gemacht hätte“, berichtet Funcke.
Erfreuende Videos von der gesunden Katze
Keine Frage: Auch von Lilly auf der Fensterbank gibt es ein Handyvideo. „Das habe ich gleich den Besitzern geschickt“, so Funcke. Lilly gehört einer Familie aus Holzwickede (NRW). Nach dem Eingriff im März kommt sie Ende Juni wieder zu einer Kontrolluntersuchung nach Bramsche. „Ich habe in der Zwischenzeit ganz viele Filme erhalten, auf denen zu sehen ist, wie Lilly die Treppe hochrennt oder andere Abenteuer anstellt – es geht ihr hervorragend“, berichtet Funcke. Auch Juliane Schroeteler wird mit Lilly-Videos bemustert. „Ein Operateur wünscht es sich natürlich, dass es Patienten hinterher besser geht“, sagt Schroeteler. „Videos erhalte ich normalerweise nicht, weil ich Patienten nach Eingriffen ja laufend zur Verlaufskontrolle sehe. Aber in diesem Fall ist es natürlich schön, dass gefilmt wird.“